Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues Album von Tune-Yards: Auf charmant selbstvergessene Art
> Die kalifornische Künstlerin Merrill Garbus alias Tune-Yards macht auf
> „Nikki Nack“ aus surrealen Settings geniale Songs.
Bild: Bastelt mit einfachen Mitteln komplexe Songs mit Popappeal: Merrill Garbu…
Ihr neues Album „Nikki Nack“ ist Merrill Garbus, Gründerin und treibende
Kraft von Tune-Yards, wie einen Bürojob angegangen: Fünf Tage die Woche
ging sie morgens um neun Uhr in ihren Proberaum, mit Molly-Ann Leikins Buch
„How To Write A Hit Single“ und konkreten Aufgabenstellungen. Einmal waren
die analogen Drums dran, dann die digitalen. Und natürlich auch die
Gesangsmelodien, schließlich ist Garbus’ Stimme ihr großes
Alleinstellungsmerkmal.
Am Ende jedes Arbeitstages sollten dann wenigstens zwei Ideen auf einem
Demo verewigt sein. Garbus, davon zeugt nicht nur dieses strenge Regelwerk,
sondern auch die Texte auf ihrem neuen Album „Nikki Nack“ beweisen es, hat
es sich nicht leicht gemacht mit ihrem dritten Werk. Dabei hatte man bisher
den Eindruck, dass die Songs aus ihr geradezu heraussprudeln und ihre sehr
eigene Mischung aus Folk, Beats, R & B und Weltmusik auf ganz organische
Weise entsteht.
Das gilt für das mit Ideen vollgepackte und primitiv mit Diktiergerät
aufgenommene Debüt „Bird-Brains“ (2009) ebenso wie für den Nachfolger „…
kill“ (2011), der zwar professionell produziert ist, auf dem die
Konventionen des Pop gleichwohl immer noch liebevoll zerstückelt wurden.
## Yoko Ono als Fan
Bald hatte Garbus prominente Fans, Yoko Ono zum Beispiel oder RZA vom
Wu-Tang-Clan, und eine ständig wachsende Hörergemeinde – nicht zuletzt dank
ihrer Auftritte, die immer wieder für offene Münder beim Publikum sorgten.
Mittlerweile wird sie unterstützt von Bassist Nate Brenner, anfangs stand
sie ganz allein auf der Bühne. Nur mit ihrer Stimme, die croont oder jodelt
und dann wieder nach Souldiva klingt, mit einem Loop- und-Sample-Gerät und
ihrer Ukulele.
Vor den Augen des Publikums bastelte Garbus mit einfachen Mitteln komplexe
Songs mit Popappeal – und das auf eine charmant selbstvergessene, so
beiläufige wie hingebungsvolle Art. Und nun, nach dieser verblüffenden
Erfolgsgeschichte, eine Schreibblockade – und das Gefühl, von vorne
anfangen zu müssen „They say I’m the real thing (Oh no!) / I sound like the
real thing (OH NO!) / Singing real loud like the real thing (OH NO!)“. Zwei
Strophen weiter erweist sich das titelgebende „Real Thing“ dann zwar als
schon „curse“, doch die Freude über die Kraft ihrer Lungen will sie sich
davon nicht nehmen lassen: „Oh my god / I use my lungs (Bless my lungs!
Bless my lungs!).“
Es geht leicht daneben, wenn Künstler ihre Kunst und die Hürden, die sie
dafür nehmen müssen, zum Thema machen. Doch Garbus gelingt es nicht nur
hier, einem potenziell drögen oder anstrengenden Gegenstand einen
subjektiven und dabei entrückten, leicht surrealen Zugang abzuringen. So
entsteht sogar aus dem Umstand, dass viele US-Amerikaner Steuern für
Teufelszeug halten, ein überbordender Song. [1][Zur Single „Water
Fountain“] wurde Garbus nämlich von der verfallenden städtischen
Infrastruktur angeregt, zu der in den USA eben auch öffentliche
Trinkwasserhähne gehören. Herausgekommen ist ein tolles Stück, das zwischen
bösem Kinderreim und groovendem Dance-Track changiert.
## Wie aus der Serie „Portlandia“ entsprungen
Aufgewachsen ist die Tochter zweier Folkmusiker in Connecticut, studiert
hat sie dann am renommierten Frauen-College Smith in Massachusetts.
Mittlerweile lebt sie im nordkalifornischen Oakland. Ein Semester studierte
sie in Kenia, wo sie ihr Herz für kongolesischen Pop und afrikanische Musik
allgemein entdeckte. Nach dem Studium schlug sie sich allerdings erst mal
als Puppenspielerin durch. Ein bisschen liest sich die Biografie der
35-Jährigen, als hätten sich die Erfinder von „Portlandia“, der US-Serie,
in der das Milieu einer politisch korrekten, ökologisch bewussten
Mittelschicht in durchgeknallten Sketchen auf die Schippe genommen wird,
eine prototypische Indie-Musikerin ausgedacht.
Dem US-Musikkritiker Chuck Klosterman waren Garbus’ Eckdaten jedenfalls
Klischee genug, um zu einem ordentlichen Tune-Yards-Bashing im bekannten
Popkultur-Blog „Grantland“ anzusetzen – offenkundig befremdet darüber, d…
„who kill“ die Jahresbestenliste der New Yorker Stadtzeitung Village Voice
anführte. Und über die hatten immerhin 700 Kritiker entschieden.
Klostermann macht kein Hehl daraus, das Album kaum zu kennen, prophezeite
aber, dass man es „eines Tages viel schlimmer finden wird, als es ist“, und
dass es wohl allenfalls als Treppenwitz der Popgeschichte, als Exempel
einer Zeitgeistverirrung in Erinnerung bleiben wird.
Sogar die Puppenspielerei und die alberne Schreibweise des Bandnamens führt
er ins Feld – wofür, erschließt sich allerdings nicht ganz. Last but not
least kommt Klostermann zum mutmaßlichen Kern seiner Irritation: Garbus’
seinem Eindruck nach androgynes Image lässt ihn ratlos zurück.
Offensichtlich hat man es auch in Nischen des Popbetriebs als Frau nach wie
vor besonders schwer, nicht in einer Schublade zu landen.
## Experimentierfreudig wie eh und je
Merrill Garbus und ihrem Projekt Tune-Yards kann das wohl wenig anhaben,
dazu ist ihr Ansatz zu eigenwillig, ihr Publikum viel zu verzaubert von den
Auftritten. Hat es denn nun aber mit dem Schreiben von Hits geklappt, steht
der Durchbruch in den Mainstream unmittelbar bevor? Zum Glück nur so halb.
Auf „Nikki Nack“ zeigt Merrill Garbus sich experimentierfreudig wie eh und
je, klingt aber trotzdem eingängiger – nicht zuletzt, weil die Songs
elektronischer und etwas entschlackter sind. Früher erschloss sich der
Popkern ihres Sounds erst beim zehnten Hören, jetzt zündet es schon im
dritten Durchgang. Oder eben sofort, wenn man das Glück hat, Tune-Yards
gleich bei der ersten Begegnung live zu erleben.
Um Garbus’ kreatives Potenzial, das zeigt das Album, muss man sich keine
Sorgen machen. Höchstens darüber, ob Tune-Yards es schaffen werden, die
eindrückliche Unmittelbarkeit ihrer Konzerte zu bewahren, wenn die Hallen
immer größer werden.
26 Apr 2014
## LINKS
[1] http://www.clipfish.de/musikvideos/video/4071085/tune-yards-water-fountain-…
## AUTOREN
Stephanie Grimm
## TAGS
Independent
Musik
Indie
Folk
House
Neues Album
## ARTIKEL ZUM THEMA
Neues Album von Tune-Yards: Der Klimawandel ist real
Das kalifornische Indieduo Tune-Yards hat sein neues Album „sketchy.“
veröffentlicht. Es ist ein polyrhythmisches Experiment in die
Selbstreflexion.
Neues Album von Tune-Yards: Ein Floh im Ohr
Irgendwo zwischen Sozialkommentar und Kinderreim: Die US-Indie-Band
veröffentlicht das Album „I can feel you creep into my private life“.
House-Sound von Caribou: Liebe und Mathematik
Liquider Elektronik-Sound für die ganz große Tanzfläche: Der kanadische
Produzent Dan Snaith alias Caribou und sein neues Album „Our Love“.
Neue Platte von The Bug: Gute Zeiten, schlechte Zeiten
Kevin Martin alias The Bug hat in Berlin zu sich selbst gefunden: Das Album
„Angels & Devils“ ist eine Emanzipation von seinem düsteren Image.
CBGB-Festival am Times Square: Das Altern des Undergrounds
Mit einem fulminanten Festival in New York läutet der legendäre Punkclub
CBGB seine Rückkehr ein. Und changiert dabei zwischen Nischenkultur und
Mainstream.
Festival "Trans Musicales" in Rennes: Renitente Raver
"Trans Musicales" - Nirvana oder Naughty By Nature traten hier erstmals in
Europa auf. Das Festival ist eine Börse für junge Bands und DJs aus
Frankreich und Übersee.
Klage gegen illegales Musikstreaming: Von Raubrittern und Leibeigenen
Der millionenschwere Rechtsstreit zwischen Universal Music und dem
Musikstreamingdienst Grooveshark offenbart vor allem eines: Die
Hilflosigkeit der Musiker.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.