# taz.de -- CBGB-Festival am Times Square: Das Altern des Undergrounds | |
> Mit einem fulminanten Festival in New York läutet der legendäre Punkclub | |
> CBGB seine Rückkehr ein. Und changiert dabei zwischen Nischenkultur und | |
> Mainstream. | |
Bild: Ein Club, der von seinen Geschichten lebte: Das Klo im CBGB. | |
NEW YORK taz | Es dürfte kaum zwei unterschiedlichere Orte in New York City | |
geben als den Times Square, mitten in Manhattan, und den legendären | |
Punkclub CBGB in der Lower East Side. Das 1973 gegründete und 2006 | |
geschlossene CBGB war ein dunkler Schlauch, eng, stickig, die Toiletten mit | |
Graffitis übersäht, die Wände zugekleistert. | |
Am Times Square ist alles erleuchtet, Werbeclips laufen auf riesigen | |
LED-Bildschirmen, alles regt zum Kaufen an, der ganze Ort strahlt in | |
überzeugter und überzogener Urbanität. Im CBGB regierte die Vergangenheit. | |
Der von Hilly Kristal (1931–2007) gegründete Club lebte von seinen | |
Geschichten, und jedes Poster an der Wand erzählte eine andere. Am Times | |
Square, wo die Werbung schneller wechselt als die Ampelphasen, gibt es nur | |
das Neue, die ewige Gegenwart. | |
Umso merkwürdiger ist es, dass am Wochenende zwischen den Büros von Sony | |
und dem Studio von MTV auch zwei Bühnen mit dem Logo des CBGB standen. Mit | |
einem großen, ja fast größenwahnsinnigen Festival wurde die fulminante | |
Rückkehr des Clubs eingeläutet, der in den nächsten Monaten eine neue | |
Heimat in New York City finden soll. Das Programm war beeindruckend: Vier | |
Tage lang, 300 Bands in 30 Locations, dazu eine Filmreihe und eine | |
Konferenz, eröffnet vom ehemaligen Nirvana-Bassisten Krist Novoselic. | |
Während sich das Festival redlich bemühte, neuen und jungen Bands eine | |
Bühne und damit eine Öffentlichkeit zu geben, dominierte dennoch der Ruhm | |
vergangener Tage. Die 1983 gegründete Band Guided by Voices spielte bei | |
über 30 Grad im Central Park, Agnostic Front (gegründet 1982) traten in der | |
Webster Hall mit einem Reenactment ihrer legendären Platte „Live at CBGB“ | |
auf, und am Times Square durfte der ehemalige Bassist von Guns N’ Roses, | |
Duff McKagan, mit seiner Band Loaded gegen das Hupen der Taxis ankämpfen. | |
## Messerstecherei im Backstage-Bereich | |
Überschattet wurde das Festival von einer Messerstecherei im Rahmen des | |
Konzerts der ebenfalls in die Jahre gekommenen Band Cro Mags. Der frühere | |
Bassist und Mitgründer der Band, Harley Flanagan, griff am Freitag den | |
aktuellen Bassisten Michael Couls sowie William Berario im | |
Backstage-Bereich der Webster Hall mit einem Messer an und wurde | |
anschließend verhaftet. Das Konzert musste zum Unmut hunderter Besucher | |
abgesagt werden. | |
Als der Gründer des CBGB 2007 starb, war das Unternehmen, dessen T-Shirts | |
heute in jedem „alternativen“ Laden von Berlin bis Tokio verkauft werden, | |
gut 3 Millionen Dollar schwer. Die Megalomanie des Festivals, organisiert | |
von einer Gruppe Investoren aus dem Umfeld des früheren CBGB, entsprach | |
also durchaus den verfügbaren Mitteln. Trotzdem geht von dem Club und | |
seinem berühmten Logo bis heute die Aura des Undergrounds aus. | |
Davon wollte auch das Wiedereröffnungsprojekt profitieren, wenngleich die | |
Organisatoren einräumten, dass sich der historische Moment des CBGB | |
freilich nicht wiederholen lasse. Kaum überraschend gingen die meisten | |
kleineren Bands in der Breite des sowieso schon reichhaltigen | |
Kulturangebots New Yorks unter. Das Publikum der Open-Air-Konzerte am Times | |
Square und im Central Park glich eher der Klientel von Rock am Ring als der | |
Kundschaft des CBGB. Wer heute die letzten Punkclubs in New York | |
frequentiert, wie das ABC No Rio, war dort vermutlich nicht anzutreffen. | |
## Bye-bye, Anarchismus | |
Darin drückt sich die ambivalente Rolle des Undergroundmythos aus. | |
Einerseits lässt sich die Glorifizierung des Kleinen, Rauen und | |
vermeintlich Authentischen hervorragend verkaufen. Anderseits verschleiert | |
der Kult um DIY und Independent, dass sich die meisten kleineren Bands | |
nichts sehnlicher wünschen als ein größeres Publikum und professionelle | |
Verhältnisse zur Produktion und Konmsumtion ihrer Musik. | |
Kein Wunder also, dass sich die Themen der Konferenz wie | |
Einführungsseminare für aufstrebende Musikmanager lesen („Wie vermarkte ich | |
meine Musik für Film und Fernsehen?“); umso skurriler wiederum, dass Krist | |
Novoselic Nirvanas Wechsel auf ein Majorlabel während seiner Eröffnungsrede | |
mit den Worten „Bye-bye, Anarchismus“ kommentierte, als hätte es sich bei | |
der Band um ein revolutionäres Kollektiv gehandelt, das seine Seele an | |
Geffen Records verkauft. | |
Das CBGB hatte am Wochenende jedenfalls nicht mehr mit verschmähten | |
Majorlabels oder zu hohen Mieten zu kämpfen wie noch sein Gründer Hilly | |
Kristal, sondern mit den wirklichen Giganten am Times Square: Während der | |
Aufführung des Musicals „Mamma Mia“ mussten die Boxen der CBGB-Bühne stumm | |
bleiben. | |
9 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Robert Zwarg | |
## TAGS | |
Independent | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neues Album von Tune-Yards: Auf charmant selbstvergessene Art | |
Die kalifornische Künstlerin Merrill Garbus alias Tune-Yards macht auf | |
„Nikki Nack“ aus surrealen Settings geniale Songs. | |
Festival Way Out West: No excess, please! | |
Adrett gekleidete Menschen trafen sich beim Festival Way Out West, um in | |
Göteborg Kraftwerk und Blur zu lauschen. Bier, Wurst und Stagediver suchte | |
man vergebens. | |
Jüdische Wurzeln im Rock'n'Roll: Punk, jetzt religiös? | |
Wie wichtig war der jüdische Hintergrund für Entstehung und Symbolik des | |
Punk? Sehr, meint Steven Lee Beeber mit Hinblick auf Manhatten, die Ramones | |
und Lou Reed. | |
Kein Koffer mehr in New York: Goodbye then? | |
New York war die Stadt des 20. Jahrhunderts. Zeit zu gehen. Ein | |
persönlicher Abschied. |