# taz.de -- Die Wahrheit: Wenn der A-Train kommt | |
> Ist die Frau am Steuer auch noch die eigene Mutter, kann es in der | |
> Kindheit zu belastenden Erlebnissen kommen. | |
Meine Mutter hatte erst spät ihren Führerschein gemacht und fuhr ungern. | |
„Heute fährst du den Wagen aus der Garage“, sagte mein Vater, „damit du … | |
auch mal lernst.“ An seinem Hals traten die Sehnen hervor. Dick wie | |
Bremsseile. | |
Von jetzt auf nun mutierte sie zum Nervenwrack. Mutter bekam das Brötchen | |
nicht mehr hinunter, kam kaum heil in ihre Schuhe. Ihr Gang zum Auto | |
erinnerte an den der Marie Antoinette zum Schafott. „So, Rückwärtsgang | |
rein, und Kupplung gaaanz langsam kommen lassen.“ Abgewürgt. „Ich habe doch | |
gesagt: mit Gefüüühl!“ | |
Meine Mutter sah in den Rückspiegel, nickte noch einmal traurig – und trat | |
dann mit voller Wucht aufs Gaspedal, sodass der Wagen zunächst einen | |
erschreckten Satz machte und dann aus der Garage schoss wie eine | |
Gewehrkugel aus dem Lauf. Sie hatte leicht den Lenker verrissen, das | |
kostete uns den Scheinwerfer vorn links. Aber keiner achtete darauf. | |
Wir befanden uns auf gefährlichem Kollisionskurs mit der Hauswand. Mein | |
Vater griff beherzt ein und riss die Handbremse hoch bis zum Anschlag. Die | |
Eltern tauschten wortlos die Plätze, nachdem mein Vater den Schaden | |
inspiziert hatte. Und ich glaubte, ein zufriedenes Lächeln auf dem schönen | |
Gesicht meiner Mutter zu sehen. | |
So ganz war ihre Karriere als Fahrerin damit aber doch nicht vorbei. Meine | |
Eltern hatten ein Spargelfeld gepachtet, das ein paar Kilometer entfernt | |
lag. Während der Ernte musste Mutter jede zweite Woche morgens selbst | |
fahren, weil mein Vater zu dieser Zeit schon bei der Frühschicht war. Sie | |
überfuhr die Nachbarskatze – die wir dann im Wald entsorgten, damit keiner | |
etwas merkte –, rammte Bordsteine, und dann wäre es beinahe um uns | |
geschehen gewesen. | |
Wir waren heil hingekommen, hatten Spargel gestochen und machten uns nun | |
auf den Heimweg. Gleich nach der Feldausfahrt lag ein Bahnübergang. Mutter | |
fuhr an, der Wagen soff ab und wir rollten langsam auf die Schienen, kamen | |
dort zum Stehen. Ich schaute wild nach rechts und links. Ich wusste, der | |
A-Train würde kommen und mich holen. Ich würde mein kurzes, äußerst | |
intensives Leben in dreckiger Spargelstecherkluft aushauchen. | |
So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Sie war fahl wie der Tod und | |
nestelte am Schlüssel, versuchte, ihn zu drehen: erst gegen den | |
Uhrzeigersinn, es ging nicht, dann richtig herum, aber in ihrer Angst hatte | |
sie vergessen, die Kupplung zu treten. Der Wagen bockte, soff sofort wieder | |
ab, bockte erneut. Ich begann zu wimmern. „Sei still“, schrie sie mich an. | |
„Du bist an allem schuld! Weil du uns die Haare vom Kopf frisst, mussten | |
wir den Spargel anlegen!“ | |
Dann fiel ihr alles wieder ein, was sie in der Fahrschule gelernt hatte. | |
Sie trat die Kupplung, drehte den Schlüssel, gab Vollgas und machte die | |
Scheibenwischer an. Der Wagen heulte klagend auf. Mit durchdrehenden Reifen | |
schossen wir aus der Gefahrenzone. Ich schaute in den Seitenspiegel, | |
behielt den Bahnübergang im Auge. Nicht lange. Nur bis die Ampel auf Rot | |
schaltete und die Schranken sich senkten. | |
28 Apr 2014 | |
## AUTOREN | |
Frank Schäfer | |
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