# taz.de -- Afghanistans junge Generation: Revolution bis zum Jahr 1400 | |
> 50 politische Gruppen wollen die alte Garde in Afghanistan ablösen. Nicht | |
> zur Stichwahl im Juni, sondern über viele Jahre und alle Gräben hinweg. | |
Bild: Collage vom Afghan Youth Voices Festival in Kabul. | |
„Wir brauchen euch“, ruft Ahmad Kawus Hazrati, 31 Jahre, seinen in | |
Deutschland lebenden Landsleuten zu. An diesem Dienstagabend erklären er | |
und drei weitere Vertreter von afghanischen Jugendbewegungen etwa 20 | |
Deutsch-Afghanen, wie sie die korrupte Politikergarde in ihrem Heimatland | |
ablösen wollen. Das Treffen hat die Heinrich-Böll-Stiftung an der Uni | |
Hamburg organisiert. Die Zuhörer sind skeptisch. Hazrati streckt ihnen die | |
Hand entgegen: „Ihr habt studiert, ihr könnt was, wir wollen euch | |
einbeziehen!“ | |
Fast 13 Jahre nach dem Sturz der Taliban ist in den Städten Afghanistans | |
eine junge, gebildete Schicht gewachsen, die genug hat vom Raketen- und | |
Bombenhagel. Sie will die eingefahrenen Machtstrukturen aufbrechen und die | |
alten Männer mit ihrer dunklen Vergangenheit und den langen Bärten ablösen. | |
Laut UN sind 70 Prozent der Afghanen unter 25 Jahre alt. „Wir müssen dieses | |
Potential nutzen“, sagt Hazrati. „Wir wollen die jungen Leute | |
zusammenbringen“. | |
Als „Afghanische Jugend“ bezeichnen sich die etwa 50 Jugendgruppen, die in | |
den letzten beiden Jahren gegründet wurden und die Politik modernisieren | |
wollen. | |
## Zwei Wahldurchgänge, viele Gruppen | |
Da sind etwa Gran Hewad, 31, und Hazrati vom Bündnis Afghanistan 1400, aus | |
dem eine Partei hervorgehen soll, die auf Frieden und einer demokratischen | |
Verfassung beruht. Da ist der Wissenschaftler Reza Fazli, 29, vom Netzwerk | |
Afghanistan Analysis and Awareness, das die erste Runde der Wahlen zum | |
Präsidenten überwacht hat. Am Donnerstag gab die Wahlkommission nach 5 | |
Wochen Auszählung bekannt, dass in die Stichwahl am 14. Juni der Ex-Außen | |
und der Ex-Finanzminister gehen. Da ist Abdullah Athayi, 28, vom Solidarity | |
Network for Change, das nach einem Bombenanschlag Blumen verteilt hat. | |
Ihre Protagonisten sind nicht in den Bergen zu Hause, sondern in den Cafés | |
der Metropolen, wo sie beim Tee über die Zukunft Afghanistans diskutieren. | |
Sie kommen nicht mit Turban und langen Gewändern, sondern im Anzug, so wie | |
Hazrati: Er hat Wirtschaft in Kabul studiert, war Studentensprecher seines | |
Instituts und forschte dort über Frauenrechte und die Rolle der NGOs beim | |
Aufbau der Zivilgesellschaft. Heute arbeitet er für die afghanische | |
Zentralbank. | |
## Wandel über Jahre statt Umsturz | |
Was er und seine Mitstreiter da vorhaben, ist eine Revolution. Sie zünden | |
zwar keine Sprengsätze wie die Taliban, sie skandieren auch keine | |
Sprechchöre wie die Demonstranten auf dem Maidan oder dem Tahrir-Platz. | |
„Unsere Geschichte hat uns gelehrt, dass ein radikaler Umsturz schnell im | |
Chaos endet“, sagt Hazrati. Kooperieren statt konfrontieren, lautet ihr | |
Credo. Schritt für Schritt bereiten sie den Generationswechsel vor, | |
vernetzen sich untereinander, treten in Talkshows auf und treffen sich mit | |
Diplomaten und Politikern, um Lobbyarbeit für die Jugend zu machen. | |
Ihre Gegner residieren in den Provinzhauptstädten und verteidigen ihre | |
Macht mit Hilfe von Privatmilizen. Oder sie morden, wie die Taliban, die | |
Fazli zufolge rund 30.000 Jugendliche rekrutiert haben. Afghanistan 1400 | |
hat gerade mal 200 Mitglieder, 500 weitere Anträge werden gerade geprüft. | |
Kann ihre Mission überhaupt gelingen? | |
„Die Taliban-Jugend läuft immer noch dem etwa 55-jährigen Anführer Mullah | |
Omar hinterher“, sagt Fazli. „Sie hat kein junges Vorbild!“ Hazrati sagt: | |
„Wir müssen sie finden, mit ihnen reden und sie für ein friedliches | |
Afghanistan gewinnen.“ | |
## Der radikale Nachwuchs kommt vom Land | |
Doch wie schwierig das ist, hat er bei einem Treffen mit Jugendlichen der | |
Jamiat al-Islah erlebt, einer fundamentalistischen Bewegung, die | |
Verbindungen zu den Taliban hat. Sie kamen und sagten Sätze aus dem Koran | |
auf, erzählt er, beim nächsten Treffen waren sie schon nicht mehr dabei. | |
„Sie benutzen ihren Kopf nicht, sie berufen sich nur auf Gott“, sagt | |
Hazrati, der selbst gläubig ist. „Aber ich habe ihnen gesagt: Versteckt | |
euch nicht! Wenn ihr für Afghanistan seid, dann kommt und redet mit uns!“ | |
Die Radikalen rekrutieren den Nachwuchs meist auf dem Land, wo die Menschen | |
ums Überleben kämpfen, Bildung Nebensache ist – und Modernisierer nur | |
schwer Zugang zu den Leuten finden. „Anfangs schimpften sie aggressiv über | |
die ausländischen Truppen“, berichtet Hazrati von einem Treffen mit Leuten | |
vom Land. Dann haben wir ihnen Bücher über Politik und Wirtschaft | |
mitgebracht, sagt er. „Und ein Jahr später brachten sie sich mit eigenen | |
Ideen ein.“ | |
Die meisten Gruppen finanzieren sich ausschließlich über Mitgliedsbeiträge. | |
„Wir wollen unabhängig bleiben, um Raum für alle zu schaffen“, sagt Fazli. | |
Der Bewegung Afghanistan 1400 haben sich Gläubige und Nichtgläubige | |
angeschlossen, ein Drittel der Mitglieder sind Frauen, alle drei in | |
Afghanistan verbreiteten Ethnien sind vertreten. Die Zahl „1400“ im Namen | |
bezieht sich auf das persische Sonnenjahr - aktuell haben wir das Jahr | |
1393. Die 1400 soll Hoffnung machen. „Es wird noch sechs oder sieben Jahre | |
dauern, bis wir die alte Generation ablösen“, schätzt Hazrati. „Wir haben | |
Zeit, um uns gut darauf vorzubereiten.“ | |
16 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Julia Maria Amberger | |
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