# taz.de -- Kampf um die Gülle: Die Angst der Mäster | |
> Niedersachsens Massentierhalter stecken in einem ruinösen Preiskampf. Nun | |
> fürchten sie das Güllekataster des grünen Landwirtschaftsministers | |
> Christian Meyer. | |
Bild: Schlimm für die Tiere, schlecht fürs Grundwasser: Massentierhaltung in … | |
HANNOVER taz | Niedersachsens grüner Landwirtschaftsminister Christian | |
Meyer sitzt am Montagabend im „Carrots & Coffee“ am Wedekindplatz in | |
Hannover – doch für die wunderschönen Altbauten, die das Viertel prägen, | |
hat Meyer kaum einen Blick. Der 38-Jährige kämpft um eines seiner zentralen | |
politischen Projekte: das sogenannte Güllekataster. Bundesweit einmalig | |
will der 38-Jährige damit erfassen lassen, wo der Flüssigmist der fast neun | |
Millionen Schweine und der mehr als 2,6 Millionen Rinder, wo der | |
„Trockenkot“ der Hunderte Millionen Hühner landet, die zwischen Weser und | |
Küste gehalten werden. | |
Die Konzentration der Bestände in den Schweinezüchterhochburgen in der | |
Region Weser-Ems, in Landkreisen wie Vechta, dem Emsland oder der | |
Grafschaft Bentheim ist eine ernsthafte Gefahr für die Wasserversorgung. | |
„Die Gefahr, Wasser aus unseren Brunnen nicht mehr zu Trinkwasser | |
aufbereiten zu können, droht akut“, warnt etwa der Hydrologe Egon Harms, | |
der beim Oldenburgisch-Ostfriesischen Wasserverband (OOWV) arbeitet. | |
Grund dafür sind die Exkremente der Millionen Nutztiere: Die landeten | |
bisher viel zu oft als Dünger auf den umgebenden Äckern, enthalten aber | |
Phosphor und Nitrat. Das gelangt auch in tiefere Grundwasserschichten – und | |
wird im menschlichen Körper in potenziell krebserregendes Nitrit | |
umgewandelt, während Phosphor zu Algenblüten in Flüssen und Seen führt und | |
Gewässer umkippen lässt. | |
## Das "Landvolk" nennt es "Wirtschaftsdünger" | |
Bei vegetarischen Häppchen präsentiert Minister Meyer Journalisten deshalb | |
Grundzüge eines Erlasses, mit dem das seit Amtsantritt der rot-grünen | |
Landesregierung umstrittene Güllekataster umgesetzt werden soll. Der Grüne | |
will die Datenbank mit vorhandenen Daten füttern lassen. Diese sollen etwa | |
aus Anträgen auf Subventionen, bereits vorgeschriebenen „qualifizierten | |
Flächennachweisen“, Meldungen an die Veterinärämter und Baugenehmigungen | |
der Ställe stammen. Auf Druck des „Landvolk“-Bauernverbands wird das | |
allerdings nur auf freiwilliger Basis geschehen: Auch für Landwirte müsse | |
der Datenschutz gelten, hat dessen Chef Werner Hilse immer wieder | |
gefordert. | |
Denn für den „Landvolk“-Präsidenten und seine Massentierhalter ist allein | |
die Benutzung des Wortes „Gülle“ ein Tabu. Stattdessen sprechen sie von | |
„Wirtschaftsdünger“. Als der Grüne Meyer Anfang Mai bekräftigte, sein | |
Güllekataster werde umgesetzt, forderte Hilse sogar eine Entschuldigung von | |
dem Minister: Der Landtag habe sich doch auf die Einführung einer | |
„Nährstoffdatenbank“ geeinigt. | |
Die Empfindsamkeit der Agrarlobbyisten hat handfeste wirtschaftliche | |
Gründe. Deutlich werden die beim Besuch des Hofes des | |
Kreislandvolkpräsidenten Cloppenburg, Hubertus Berges. In Cappeln bei | |
Lohne/Dinklage präsentiert der Landwirt Teilnehmern einer Pressereise auf | |
den ersten Blick bäuerliche Idylle: ein uraltes Bauernhaus, ein nach | |
Vorgaben des Denkmalschutzes nachgebauter, noch nicht belegter | |
Schweinestall. Hinter der Hecke des gepflegten Gartens schnaubt ein Pferd. | |
## Schweinemast als knallhartes Geschäft | |
Doch hinter der Kulisse ist die Schweinemast ein knallhartes Geschäft: | |
Gerade einmal fünf Euro verdienten Mäster wie Berges an einem | |
schlachtreifen Tier, schätzen Biobauern. Die 3.700 Mastschweine, die Berges | |
120 Tage lang rund füttert, dürften danach bei 2,8 „Durchsätzen“ pro Jahr | |
einen Brutto-Jahresgewinn von 51.800 Euro bringen – vor Steuern. „Der neue | |
Stall, das Reetdach: Das kostet doch alles“, sagt Seniorchef Gerd Berges | |
leise. „Mit 1.000 Schweinen kommen wir da nicht mehr klar.“ Dabei setzt | |
Familie Berges auf hochtechnisierte Intensivhaltung: Die Fütterung erfolgt | |
computergesteuert, die Schwänze der Tiere sind „kupiert“, also | |
abgeschnittten: Da die Tiere auf engem Raum zusammengepfercht sind, besteht | |
die Gefahr, dass sie sich sonst gegenseitig die Schwänze anfressen. | |
Belastet wird die knappe Kalkulation auch durch die Entsorgung der Jauche: | |
Längst haben Landwirte wie Berges begonnen, die Exkremente von Güllebörsen | |
in die tierarmen Ackerbauregionen im Osten Niedersachsens karren zu lassen, | |
wo so Kunstdünger ersetzt werden kann. Vorgeschrieben wird das vom | |
Landwirtschaftsministerium per „Verbringungsverordnung“ – doch billig sind | |
die Transporte nicht: Fünf bis sechs Euro kostet die Entsorgung einer Tonne | |
Schweinegülle. | |
## „Mafiöses Agrarindustrie-Kartell“ in der Kritik | |
Zumindest in der Vergangenheit griff deshalb offenbar manch ein Landwirt | |
zum Betrug: Bescheinigungen über eine ordnungsgemäße Entsorgung seien für | |
drei Euro zu haben, berichteten Kritiker in der Unabhängigen Bauernstimme | |
noch 2012 – und sprachen von einem „mafiösen Agrarindustrie-Kartell“: | |
Schließlich landete die Gülle einfach auf oft schon überdüngten Äckern | |
nebenan. Auch heute schätzt selbst „Landvolk“-Chef Hilges die Zahl der | |
Betrüger auf fünf Prozent. | |
Landwirtschaftsminister Meyer droht deshalb schon jetzt mit Sanktionen. Wer | |
als Landwirt nicht freiwillig bei seinem Güllekataster mitmache, werde per | |
„Einzelfallprüfung“ scharf kontrolliert – und müsse bei Überdüngung s… | |
Äcker mit „Restriktionen bis hin zum Verlust der Baugenehmigung“ rechnen: | |
Die Betriebserlaubnis für den Stall wäre damit hinfällig, der Mäster müsste | |
massive Einnahmeausfälle verkraften. Trotzdem sei der Druck überfällig: | |
„Das Grundwasser unter 59 Prozent der niedersächsischen Landesfläche ist | |
belastet. Deutschland droht ein Vertragsverletzungsverfahren wegen der | |
Nichteinhaltung der Wasserrichtlinie der Europäischen Union“, warnt der | |
Minister. | |
Danach wird der Grüne noch deutlicher: „Langfristig“ sei eine | |
„flächenbezogene Tierhaltung“ das Ziel seiner Politik. Meyer will weg von | |
der Massentierhaltung: Landwirte sollen nur so viele Tiere halten dürfen, | |
dass sie deren Mist problemlos als Dünger auf ihren eigenen Äckern nutzen | |
können. | |
Massentierhalter dürften das nicht gern hören. Ihre Ställe waren teuer, | |
sind oft noch mit Krediten belastet. Ein Ausstieg etwa aus der Schweinemast | |
kommt für sie deshalb nicht in Frage: „Wir haben so viel investiert“, sagt | |
einer von ihnen, „da kann die nachfolgende Generation nicht einfach sagen: | |
’Mit Schweinen kann ich nicht‘.“ | |
20 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Wyputta | |
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