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# taz.de -- Finale Champions League: Kühle Zehn
> Real Madrid siegt im Drama von Lissabon. Doch die Herzen gehören den
> tapferen Verlierern von Atletico. Nur eine Winzigkeit fehlte zur
> Sensation.
Bild: Reals Sergio Ramos hält sich im Konfettisturm an der Trophäe fest
LISSABON taz | Eigentlich überlässt man an solch großen Abenden den Siegern
das Schlusswort. Die Verlierer gratulieren vorab und verdünnisieren sich
dann rasch. Im Estadio da Luz von Lissabon jedoch war Diego Simeone der
letzte Auftritt vorbehalten. Nachdem bereits Real Madrids Trainer und
Triumphator Carlo Ancelotti arg nüchtern dieses hochdramatische
Champions-League-Finale seziert hatte, trat der Coach von Atlético Madrid
vor die Presse und wurde ebenso wie später bei seinem Abgang mit warmem
Applaus bedacht. Da war Bewunderung im Raum zu spüren. Bei Ancelotti hatte
niemand die Hände gerührt, obwohl Reals 4:1 nach Verlängerung durchaus
verdient war.
Eine Winzigkeit hatte nur gefehlt, und Atlético hätte die
Kräfteverhältnisse des europäischen Fußballs auf den Kopf gestellt. Sergio
Ramos hatte in der dritten Minute der Nachspielzeit dem Starensemble Real
das Trauma erspart, vom kleinen Stadtrivalen um den so lang ersehnten
zehnten europäischen Titel gebracht zu werden. Simeone erklärte: „Natürlich
bin ich sauer, aber ich bin nicht traurig. Wir haben alles getan.“ Trotz
der frischen Enttäuschung haderte er nicht etwa mit der überlangen
Nachspielzeit und er wollte auch nicht auf irgendwelche Scharmützel dieser
Partie näher eingehen. Stattdessen schaute er von ganz weit oben auf dieses
Finale herab: „Im Leben wie im Fußball hat man an dem einen Tag noch alles
und am nächsten dann plötzlich nichts mehr. Man muss aber immer
weitermachen.“
Kollege Ancelotti mag zuvor gespürt haben, dass gegen diese Herzensbrecher
von Atlético auch nach Spielende nur schwer anzukommen ist. Es klang fast
schon ein wenig wie das Werben des Siegers um Anerkennung, als er sagte:
„Man kann sagen, wir hatten Glück. Man kann aber auch sagen, dass wir bis
zum Schluss gekämpft haben.“
Als Helden der Arbeit wurden die Spieler von Real Madrid bislang in der Tat
eher nicht verehrt. Früher huldigte man ihrer Grazie auf dem Rasen („weißes
Ballett“) und zuletzt ihrem Hochgeschwindigkeitsfußball, wie er im
Halbfinale gegen Bayern München in Perfektion vorgetragen wurde. Im Estádio
da Luz Lissabon wurden sie jedoch zu Kämpfern – wenn auch nicht ganz
freiwillig. Ihnen wurde das Spiel von Atlético aufgezwungen. „Die
Königlichen“ mussten sich plagen und schuften. Sie rackerten und rangen um
jeden Ball.
## Keine ästhetische Freude
Dabei durften sie den aktiveren Part übernehmen. Das war ganz im Sinne
ihres Gegners. Aber das perfekt organisierte und aufopferungsvoll kämpfende
Team von Diego Simeone, das gern aus der Defensive heraus agiert, ließ Real
meist nur in die Räume vordringen, wo ihre Bemühungen meist wirkungslos
verpufften. Atlético verstand es an diesem Abend einmal mehr, im Kollektiv
selbst Weltklassefußballer in Schach zu halten.
Ästheten bereitet das Team von Simeone mit seiner Art, Spiele zu diktieren,
gewiss keine Freude. Das war auch am Samstag nicht anders. Oft agierte
Atlético am Rande der Legalität. Fouls, die in der ersten Hälfte häufig den
Spielfluss unterbrachen, gehören da zum taktischen Repertoire. Die sieben
Gelben Karten nahm man dafür gern in Kauf.
Am Ende war der übermächtige Kontrahent genötigt, es mit der Brechstange zu
versuchen – bei Real auch Sergio Ramos genannt. Der athletische
Abwehrspieler wurde nach vorne beordert und erweckte Real nach einem
Eckball wieder zum Leben. Atlético-Verteidiger Juanfran dagegen meinte
hernach: „Das Tor hat uns umgebracht.“
In der Verlängerung zollte der Außenseiter in der Tat seinem Kräfte
aufzehrenden Stil Tribut. So konnten Gareth Bale, der auf links für viel
Schwung sorgende Marcelo und Ronaldo per Elfmeter mit ihren Toren zum 4:1
die Kräfteverhältnisse bis zur Unkenntlichkeit verzerren.
## Keine grenzenlose Ausgelassenheit
Dem Champions-League-Spezialisten Carlo Ancelotti war das sicher einerlei.
Zweimal reckte er als Spieler den Henkelpott in die Höhe und dreimal nun
als Trainer. Das ist noch keinem Kollegen von ihm gelungen. Und dennoch war
von dieser historischen Strahlkraft in Lissabon wenig zu spüren. Ancelotti
erzählte: „An meinem ersten Arbeitstag stand ich mit unserem Präsidenten
Florentino Pérez im Trophäen-Raum des Santiago Bernabéu und sagte ihm, dass
der fehlende Pokal hier dringend hermuss. Heute haben wir dieses Vorhaben
in die Tat umgesetzt.“ Mit anderen Worten: der Trainer hat seinen Auftrag
erfüllt – nicht mehr und auch nicht weniger.
Auch die Spieler fielen nicht geradezu durch grenzenlose Ausgelassenheit
auf. Gut, Ronaldo jubelte nach seinem Elfmetertor in der 120. Minute zum
4:1 derart, dass man glauben mochte, er hätte die Champions League und „La
Decima“ allein entschieden. Und natürlich purzelten die Spieler nach
Schlusspfiff freudetrunken übereinander. Wenig später jedoch spulten die
meisten Realprofis das Interviewmarathon nach der Partie fast schon
geschäftsmäßig ab.
Auch Sami Khedira, der nach langer Rekonvaleszenz von Beginn an mitmachen
durfte und defensiv überzeugte, erzählte in gedämpftem Tonfall etwas von
„riesengroßer Freude“. Als er auf den Gegentreffer angesprochen wurde, bei
dem er im Kopfballduell Atléticos Diego Godin unterlegen war, reagierte er
patzig: „Ich glaube, nach so einem Spiel brauchen wir nicht über Fehler
diskutieren.“ Den Fragesteller ließ er einfach stehen.
Nur der erleichterte Torhüter Iker Casillas, der Godins Treffer durch einen
Fehler beim Herauslaufen begünstigt und damit fast die Blamage von Real
verschuldet hatte, gab in aller Ausführlichkeit Auskunft über seine
Glücksgefühle.
25 May 2014
## AUTOREN
Johannes Kopp
## TAGS
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