# taz.de -- Der sonntaz-Streit: Angst um Frankreich? | |
> Der rechtsextreme Front National hat in Frankreich die Europawahl | |
> gewonnen. Nur ein Denkzettel, sagen die Wähler. Wirklich? | |
Bild: Marine Le Pen, glücklich am Wahlabend. | |
Zwei Plakate hängen hinter ihr an der blauen Wand, als sich Marine Le Pen | |
in der Europawahlnacht vor der Presse aufbaut. Darauf zu sehen sind Büsten | |
der französischen Freiheits- und Nationalikone Marianne - mit phrygischer | |
Mütze, abgeschnitten kurz über der Brust. Sie wird von roten und blauen | |
Buchstaben umrahmt: „Front National. Premier Parti de France“. Le Pen | |
verkündet stolz, die Wahl ihres Front National zur „Ersten Partei | |
Frankreichs“ sei ein „Zeichen“, dass Frankreich nicht mehr von außen | |
regiert werden wolle. | |
Der „Erdrutschsieg“ (FAZ) des Front National hatte sich angekündigt. Zu | |
mutlos agiert die Regierung unter Premier François Hollande seit ihrem | |
Antritt vor zwei Jahren. Das Volk verübelt den Sozialisten ihren | |
Zickzackkurs in der Wirtschaftskrise. Reformen zeigen kaum Effekte, die | |
Arbeitslosenquote ist auf fast elf Prozent angestiegen und damit doppelt so | |
hoch wie in Deutschland, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei 23,4 Prozent. | |
Schon bei den Kommunalwahlen Ende März wurde die Regierungspartei deshalb | |
abgestraft. Bei der Europawahl (14 Prozent) hat die sozialistische Partei | |
nun einen historischen Tiefpunkt erreicht. Um die konservative | |
Oppositionspartei UMP ist es kaum besser bestellt (20,8 Prozent bei der | |
Europawahl, sieben Prozent weniger als 2009). Die Führung der Gaullisten | |
verstrickt sich seit der Wahlniederlage 2012 und dem Rückzug Nicolas | |
Sarkozys in innerparteilichen Grabenkämpfen. | |
Ganz im Gegensatz dazu der Front National: Mit seiner Ausländer-, Politik- | |
und Europafeindlichkeit hat er sich die Wut vieler Unzufriedenen zunutze | |
gemacht. Le Pen und ihre rechten Mitstreiter verkörpern genau jene | |
Entschlossenheit und Entschiedenheit, jene klaren Positionen, die viele bei | |
den Volksparteien vermissen. Der FN kanalisiert die in Frankreich | |
grassierende Angst vor „la déclin“, vor dem Abdriften Frankreichs in die | |
weltpolitische Bedeutungslosigkeit. | |
## Ein „politisches Erdbeben“ | |
Eine Stimme für Front National bedeutete für viele auch eine Stimme gegen | |
das politische Establishment. Laut einer Umfrage des Instituts Ipsos kurz | |
vor der Wahl erklärten 69 Prozent der Front-National-Wähler, mit ihrer | |
Stimme der Regierung einen „Denkzettel“ verpassen zu wollen. 57 Prozent der | |
Wahlberechtigten blieben gleich zuhause. Vor allem diesen gefrusteten | |
Protest- und Nichtwählern müssen sich Sozialisten und Gaullisten in den | |
nächsten Monaten zuwenden. | |
Nicht unwahrscheinlich, dass man dabei mit rechter Rhetorik auf Stimmenfang | |
geht. [1][Siehe Nicolas Sarkozy, der als Innenminister die für einen hohen | |
Migrantenanteil bekannten Vorstädte „mit dem Kärcher ausfegen“ wollte.] | |
[2][Oder Manuel Valls, der neue Premier, der immer mal wieder Stimmung | |
gegen „nicht integrierbare“ Roma macht.] | |
Jener Manuel Valls sprach nach der Wahl von einem „politischen Erdbeben“. | |
Die Vokabel dürfte mit Bedacht gewählt sein. Denn ein Beben kann auch als | |
Chance begriffen werden. So wie das gewaltige Erdbeben von Lissabon 1755. | |
Nach der großen Zerstörung begannen sofortige Rettungs- und | |
Wiederaufbaumaßnahmen, mit beispielhafter Solidarität und europäischer | |
Hilfe erneuerte man die Stadt, planvoll und erdbebensicher. Das | |
schreckliche Erdbeben war auch Anlass zur Modernisierung in Politik, Kultur | |
und Wissenschaft. | |
Verglichen damit war der Erdrutschsieg des Front National nur ein | |
tektonisches Ausrufezeichen. Doch vielleicht öffnen die 25 Prozent, der | |
Aufstieg des FN zur „Premier Parti de France“, vielen die Augen, vielleicht | |
schaffen sie Zusammenhalt und Besinnung der demokratischen Kräfte. | |
Was meinen Sie: Muss man Angst um Frankreich haben? Bringt der „Denkzettel“ | |
Sozialisten und Gaullisten zur Räson? Oder wird der Front National weiter | |
dazugewinnen? Diskutieren Sie mit! Die sonntaz wählt unter den | |
interessantesten Kommentaren einen oder zwei aus und veröffentlicht sie in | |
der taz.am wochenende vom 31. Mai/1. Juni 2014. Ihr Statement sollte etwa | |
900 Zeichen umfassen und mit dem Namen, Alter, einem Foto und der | |
E-Mail-Adresse der Autorin oder des Autors versehen sein. Schicken Sie uns | |
eine Mail an: [email protected]. | |
27 May 2014 | |
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## AUTOREN | |
Christoph Farkas | |
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