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# taz.de -- Arzneimittelreport 2014: Oft nicht besser, nur teurer
> Ärzte verschreiben trotz Risiken oft neue Medikamente. Unnütze Mittel
> kosten die Kassen Milliarden, klagt nun die Krankenkasse Barmer.
Bild: Mother's little helpers: Tabletten in der Vorratsbox.
BERLIN taz | Auf dem globalen Pharmamarkt werden die Karten neu gemischt.
Konzerne wie Pfizer, Bayer und Novartis investieren derzeit
Milliardenbeträge, um einzelne Sparten von Konkurrenten oder gleich ganze
Firmen zu übernehmen.
Diese Entwicklung schreite in beängstigendem Tempo voran, sagte Rolf-Ulrich
Schlenker, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der gesetzliche
Krankenkasse BARMER-GEK, am Dienstag in Berlin. Das habe Folgen. Denn mit
ihrer Macht versuchten die Konzerne immer neue, teure Medikamente auf dem
Markt zu platzieren, obwohl diese keine Vorteile böten.
Dieser Preistreiberei sollte mit dem Anfang 2011 in Kraft getretenen
Arzneimittel-Neuordnungsgesetz (Amnog) eigentlich ein Riegel vorgeschoben
werden. Das Gesetz sieht vor, dass freie Preisgestaltung nur bei
Medikamenten gestattet ist, denen von einer unabhängigen Kommission auf
Grundlage evidenzbasierter Untersuchungen ein therapeutischer Zusatznutzen
attestiert wird. Als scheininnovativ eingestufte Produkte können zwar in
den Leistungskatalog der Kassen aufgenommen werden, werden aber nicht höher
vergütet als bereits eingeführte Medikamente.
Das Gesetz lässt der Pharmabranche jedoch ein fatales Schlupfloch. Denn
bereits zugelassene Medikamente werden nicht mehr untersucht oder
gegebenenfalls neu bewertet. Auch dann nicht, wenn Erkenntnisse vorliegen,
dass sich der erwartete therapeutische Zusatznutzen nicht belegen lässt.
Diese Prüfung war zwar ursprünglich mal vorgesehen. Doch im
Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung wurde sie im November 2013 dann
– offensichtlich auf Druck der Pharmalobby – ausdrücklich zurückgenommen.
## Einen Hauch Skepsis gewünscht
Durch pseudoinnovative Medikamente entstehen der Gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) erhebliche Kosten. Allein für die rund 8,7
Millionen Versicherten seiner eigene Krankenkasse bezifferte BARMER-Vize
Rolf-Ulrich Schlenker die Summe, die durch den Einsatz von preiswerteren
Originalpräparaten und Generika eingespart werden könnte, auf 250 Millionen
Euro pro Jahr – auf die gesamte gesetzliche Krankenversicherung
hochgerechnet wären es 1,8 Milliarden Euro. Die Barmer fordert deshalb, das
Arzneimittel-Neuordnungsgesetz Gesetz auch auf ältere Medikamente
auszudehnen: Nur so ließen sich die Kosten senken.
Der Bremer Gesundheitsversorgungsforscher Gerd Glaeske, der mit seiner
wissenschaftlichen Mitarbeiterin Christel Schicktanz den Arzneimittelreport
verfasst hat, wies außerdem darauf hin, dass neue Medikamente auch
erhebliche gesundheitliche Risiken mit sich bringen könnten. Als
drastisches Beispiel zitiert sein Report ein „innovatives“ Therapeutikum
zur Blutverdünnung.
Dieses – im Vergleich zu älteren Präparaten sehr teure – Medikament wird
immer häufiger verschrieben, obwohl es Hinweise gibt, dass dadurch schwere,
so gut wie unstillbare Blutungen ausgelöst werden können. Glaeske wünschte
sich deshalb von Ärzten „einen Hauch Skepsis“ beim Einsatz neuer
Medikamente. Sowohl die Kosten-Nutzen-Relation als auch
„Schaden-Nutzen-Relation“ von Medikamenten sollte regelmäßig untersucht
werden.
Die Pharma-Lobby hört das gar nicht gerne. „Auch wenn man Aussagen jedes
Jahr wiederholt, werden sie nicht richtiger“, giftete der Bundesverband der
Pharmazeutischen Industrie. Die Barmer werfe mit „irgendwelchen
Prozentzahlen“ um sich und betreibe Stimmungsmache.
27 May 2014
## AUTOREN
Rainer Balcerowiak
## TAGS
Krankenkassen
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Medikamente
Arzneimittelgesetz
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Viagra
Nebenwirkungen
Gesundheit
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Pharmaindustrie
Gesundheitspolitik
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