| # taz.de -- Nachhaltiges Kopenhagen: Das Zukunftsschaufenster | |
| > City-Räder, Schwimmbäder im Hafen, Bio-Hotdogs – die dänische Hauptstadt | |
| > könnte bis 2025 die erste CO2-neutrale Metropole der Welt werden. | |
| Bild: In manachen Szenevierteln ist Bioware mittlerweile Standard: Nyhaven in K… | |
| Die Neuen machen ganz schön was her: Ganz in Weiß, mit eingebautem | |
| schwarzem Touchscreen-Tablet unter dem Lenker, stehen zwanzig | |
| „Bycyklen“-Räder in Reih und Glied an ihrer Ladestation vor dem | |
| Kopenhagener Rathaus – die jüngste Generation der City-Räder. Alle sind sie | |
| mit Elektromotor ausgestattet, der bei Bedarf in drei Stufen zugeschaltet | |
| werden kann, und mit Reifen, denen kein Stein etwas anhaben kann. Per GPS | |
| kann der Fahrer auf dem stabilen Tablet in Dänisch oder Englisch | |
| navigieren, Informationen zu Sehenswürdigkeiten abfragen oder das Rad | |
| abschließen. Auch der Ladestand der Batterie wird hier angezeigt. Es | |
| empfiehlt sich, hinzusehen: Wer sich versehentlich auf ein leergenuckeltes | |
| Fahrzeug schwingt, kann bald ins Schwitzen kommen: Die Dinger sind ziemlich | |
| schwer. | |
| Aufgeladen werden sie an den Ausleihstellen, bezahlt wird per Kreditkarte, | |
| umgerechnet drei Euro pro angefangener Stunde. Wer sich registrieren lässt, | |
| ist mit zehn Euro per Monat und einem pro Stunde dabei. 250 der weißen | |
| Blickfänger sind auf Kopenhagens Straßen unterwegs, 2000 sollen es Ende | |
| nächsten Jahres sein. Entnehmen und zurückgeben kann man sie an bisher 20 | |
| Plätzen, weitere sollen dazukommen. | |
| Kopenhagen versteht sich schon seit einigen Jahrzehnten als Labor | |
| zukunftsweisender Ideen. Zwar kann auch Dänemarks Hauptstadt nicht zaubern, | |
| wenn es um Verkehr, nachhaltige Architektur, Abfallmanagement und | |
| Lebensqualität geht. Aber sie wartet immer wieder mit blitzgescheiten | |
| Lösungen auf. Seit die Stadt am Öresund von der Europäischen Kommission zu | |
| „Europas Grüner Hauptstadt 2014“ ernannt wurde, nutzt sie die | |
| Aufmerksamkeit verstärkt, ihre Versuche und ihre Erfolge in Sachen | |
| „nachhaltiges, lebenswertes Gemeinwesen“ ins rechte Licht zu rücken. Und | |
| sie prunkt gern mit durchaus neiderregenden Zahlen. | |
| Denn die neuen Stadtfahrräder sind nur das Vorzeigetüpfelchen auf dem „i“ | |
| der Verkehrsplanung. Ein großer Teil der Errungenschaften fällt dem | |
| Besucher zunächst gar nicht ins Auge. Bereits jetzt strampeln mehr als ein | |
| Drittel aller Einwohner jeden Morgen auf zwei Rädern zur Arbeit oder in die | |
| Schule. 390 Kilometer Fahrradwege durchziehen die Stadt. | |
| Derzeit sprenkeln Baustellen das Gesicht Kopenhagens wie Pigmentflecken: | |
| Eine neue Ring-Metro mit 17 Stationen ist im Bau, ein weiterer wichtiger | |
| Schritt, den Autoverkehr zurückzudrängen. Finanziert wird er mit Einnahmen | |
| aus dem Verkauf von Flächen im Nordhafen, wo ein komplettes neues Wohn- und | |
| Arbeitsviertel für 40.000 Menschen entsteht. „Ökologisch, lebendig, mit | |
| Platz für jedermann“ wird es sein, versteht sich – Autos sollen dort keine | |
| wesentliche Rolle mehr spielen. So kommt die Stadt ihrem ehrgeizigen Ziele | |
| immer näher, 2025 als erste CO2-neutrale Metropole der Welt zu glänzen. | |
| ## Ökologischer Umbau | |
| Permanente Erneuerung ist das erklärte Ziel der Planer. So ermöglichten es | |
| das Ende der B&W-Schiffswerft 1995 und das Verschwinden der großen | |
| Industrie, die Wasserqualität im Hafen grundsätzlich zu verbessern. Aus | |
| einer chemieverseuchten Brühe wurde sauberes Nass, so sauber, dass heute an | |
| drei Orten im Hafen Schwimmbäder aufgemacht wurden, in denen die | |
| Kopenhagener begeistert planschen. Als Beweis für die Reinheit des Wassers | |
| wurde an der Langebro, mitten in der Stadt, sogar eine kleine Muschelzucht | |
| angelegt, Versuchsauftakt zu einer Reihe moderner Aquafarming-Anlagen. Und | |
| auf der „Eurovisions-Fanmeile“ in der Fußgängerzone Stroeget schenkten | |
| Freiwillige stolz das „weltbeste Wasser, das aus einem Hahn kommt“ aus. | |
| Alle Bereiche soll der ökologische Umbau umfassen. Was in Sachen | |
| Architektur künftig angesagt sein könnte, zeigt der „Dome of Visions“, der | |
| für ein halbes Jahr neben dem „Schwarzen Diamanten“, der markanten | |
| Königlichen Bibliothek, errichtet wurde. Über eine filigrane | |
| Holzkonstruktion spannt sich eine transparente Halbkugel aus recycelbarem | |
| Plastik, im Inneren geben Rosmarinbüsche und ein Olivenbaum den grünen | |
| Rahmen für Diskussionen, Theateraufführungen und Ausstellungen ab. | |
| In nur 14 Tagen ist die zehn Meter hohe Käseglocke auf- oder abgebaut. Sie | |
| dient als „Kulturzentrum auf Zeit“, in Baulücken oder auf vorübergehend | |
| nicht nutzbaren Flächen, und soll vor allem die Diskussion befeuern: Wie | |
| baut man heute nachhaltig? Wie kriegt man Alltagsleben und ehrgeizige | |
| Klimaziele unter, im wahrsten Sinne, ein Dach – gerade in einer Stadt, die | |
| um 10.000 Einwohner pro Jahr wächst? | |
| ## Prominente Köche | |
| Grüne Zeitenwende – da darf die Frage nach Essen und Trinken nicht außen | |
| vor bleiben. Schon vor zehn Jahren verkündeten einige Köche in Kopenhagen | |
| einen Richtungswechsel: zurück zu den Wurzeln – in neuer Form! | |
| Skandinavische Produkte rückten auf einmal in den Mittelpunkt des | |
| Interesses. Köche wie René Redzepi begannen, mit Schafsmilch und | |
| Sauerampfer zu experimentieren, mit Tiefseekrabben von den Färöern, | |
| dänischem Rhabarber und Moschusochensfilet aus Grönland. Sein Restaurant | |
| „Noma“ wurde eben zum vierten Mal zum besten der Welt gewählt – ein Erfo… | |
| der breit in die Gesellschaft ausstrahlte und die Diskussion um regionale | |
| und biologische Küche beflügelte. | |
| Heute wird in den Kantinen der Schulen, Altenheime und Behörden Kopenhagens | |
| bereits zu 75 Prozent Biokost serviert. Viele der neu entstandenen 180 | |
| Mikrobrauereien setzen auf Ökobier. Und dass es auch eine Ökovariante des | |
| berühmten dänischen Hotdog gibt, versteht sich da schon fast von selbst. | |
| In manchen Szenevierteln ist Bioware inzwischen eine | |
| Selbstverständlichkeit: Im „Coffee Collective“ in der angesagten | |
| Jaegerborggade tüftelt Röstmeister Peter Dupont an neuen Mischungen für | |
| Feinschmecker genauso intensiv wie an fairen Handelsbeziehungen zu | |
| Produzenten. Ein paar Häuser weiter sitzen im Keller von „Groed“ junge | |
| Männer mit Basecap, Vollbärten und klugen Freundinnen und löffeln | |
| Vierkornmüsli, italienisches Risotto oder Apfelgrütze: Der 24-jährige Lasse | |
| Andersen macht sich seit drei Jahren um Brei in jeder Form verdient – und | |
| das so erfolgreich, dass er gerade in der neuen, hochfeinen Markthalle | |
| Torvehallerne einen Ableger eröffnen konnte. „Röde Gröde med flöde“, | |
| Dänemarks zungenbrechender Klassiker Rote Grütze mit Sahne in der | |
| Biovariante als Modesnack – darauf muss erst mal einer kommen. | |
| ## Die Zukunftsmacher | |
| Auch Matthew Orlando hat seinen letzten kulinarischen Schliff im schon | |
| erwähnten „Noma“ erhalten. Im vergangenen Sommer eröffnete der schlaksige | |
| Wahl-Däne aus Kalifornien auf der „Eurovisions-Insel“ Refshaleöen sein | |
| Restaurant „Amass“. Vor der Glasfassade zieht er in Holzkästen | |
| Bronzefenchel, Kapuzinerkresse und Bohnenkraut, dahinter hat er mehrere | |
| Bienenvölker angesiedelt: „Urban Gardening“, die Gärten in der Stadt, sind | |
| ein wichtiges Element im Konzept einer lebenswerten Metropole. | |
| Zwischen seinen Kräutern plaudert der Mann, den manche schon jetzt zu den | |
| besten Küchenchefs der Welt zählen, über Regenwurmzucht, die Konstruktion | |
| von Hochbeeten und das beste Mischungsverhältnis für Kompost, und das mit | |
| der gleichen Hingabe, mit der er und seine Crew später in der offenen Küche | |
| den geräucherten Seehasen mit frittierten Algen anrichten und das | |
| Rinderfilet mit Buttermilchsoße und Giersch. | |
| Die Zukunftsmacher von Kopenhagen – kein Zweifel, sie bewegen einiges zum | |
| Besseren in der Stadt am Öresund. Und deshalb gilt: nicht mäkeln. Sondern | |
| erst einmal nachmachen – London, Paris und Berlin! | |
| 31 May 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Franz Lerchenmüller | |
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