# taz.de -- Kleiner Grüner Parteitag: Einfach gute Laune | |
> Die Ökopartei feiert sich in Berlin für ihren angeblich so großen Erfolg | |
> bei der Europawahl. Was die gute Stimmung stören könnte, wird | |
> ausgeblendet. | |
Bild: Gut drauf: Grüne Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth am Samstag in B… | |
BERLIN taz | Diesen Moment hatte sich die Grünen-Spitze in den Wochen vor | |
der Europawahl herbeigesehnt: endlich einmal wieder auf großer Bühne einen | |
Erfolg feiern und die Miesmacherei der Presse kontern. Nun, dank der | |
Europawahl, ist es so weit. | |
Samstagmittag, kleiner Grünen-Parteitag in den Berliner Uferhallen. Hier, | |
wo eine Woche nach der Bundestagswahl im vergangenen Herbst die große | |
innerparteiliche Abrechnung dargeboten wurde, soll jetzt endgültig die neue | |
Zeit beginnen. Jene nach der Krise. | |
„Das Tief der Bundestagswahl ist überwunden“, ruft Parteichefin Simone | |
Peter den Delegierten zu. Die Grünen, versichert sie, hätten ihr Wahlziel | |
trotz schwieriger Rahmenbedingungen „locker erreicht“. Das stimmt zwar nur | |
halb, schließlich wollten die Grünen nach 8,4 Prozent im Herbst unbedingt | |
zweistellig abschneiden und schafften mit 10,7 Prozent nur eine | |
Punktlandung. Aber für solche Spitzfindigkeiten ist beim Länderrat nicht | |
der Moment. Mit einer „knallgrünen“ Kampagne und „grünen Kernthemen“ … | |
die Partei ihre Wähler erreicht, lobt Peter. Auf dieser Basis müsse man bei | |
den Landtagswahlen aufbauen: „Wir wollen mehr, und wir können auch mehr.“ | |
Auch Parteichef Cem Özdemir bekräftigt, die Grünen würden gewählt, wenn sie | |
auf die Kernthemen setzten. Beim Thema Ökologie seien sie schließlich | |
„unverwechselbar“. | |
Als Höhepunkt sind vier Workshops angesagt, mit denen die Partei die | |
Programmdebatte anstoßen will. Sie drehen sich um nachhaltige | |
Wirtschaftspolitik, familienfreundliche Arbeitszeiten, Ernährung und den | |
Freiheitsbegriff – nichts, was den großen Richtungsstreit entfachen könnte. | |
Der schwelende Steuerstreit wird bewusst nicht offen ausgefochten. | |
Begründung: Es habe sich als falsch erwiesen, zu früh steuerpolitische | |
Entscheidungen zu treffen, die dann von der Realität überholt würden. | |
## Debatte über Ukraine | |
Gar nicht gut kam da der Versuch der stellvertretenden Fraktionschefin | |
Kerstin Andreae an, die Steuerdebatte doch per Handelsblatt-Interview | |
loszutreten. Sogar in ihrer Länderratsrede geht Parteichefin Peter darauf | |
ein und verbittet sich „unabgestimmte Schnellschüsse über die Medien“. Im | |
Leitantrag heißt es nun, die Finanzpolitik solle „in einem geordneten | |
Prozess“ weiterentwickelt, das Konzept erst zur nächsten Bundestagswahl | |
formuliert werden. | |
Stattdessen hat die Parteiführung eine Aussprache zur Ukraine angesetzt. | |
Exfraktionschef Jürgen Trittin verzichtet darauf, seine quer zur | |
Parteilinie liegende Idee einer neutralen Rolle für die Ukraine auf dem | |
Podium vorzubringen. Stattdessen entspinnt sich ein Schlagabtausch zur | |
Frage, ob in der Ukraine ein „Bürgerkrieg“ herrsche oder ein von Russland | |
geführter „Krieg“. | |
Nicht bei allen in der Uferhalle stößt die große Selbstvergewisserung der | |
Grünen-Spitze auf Begeisterung. Hinter vorgehaltener Hand beklagen einige | |
Langeweile. Ein Delegierter verteidigt die Grünen-Spitze mit einem bösen | |
Kompliment: „Einen Teig kann man nicht führen.“ | |
Ein Problem ist auch den Grünen-Strategen längst bewusst: Das Kernthema | |
Ökologie lässt sich heute schwerer vermarkten als zu Anti-AKW-Zeiten. Die | |
Umweltprobleme sind nicht kleiner geworden, aber komplizierter und | |
systemischer. Was genau die grüne Energiewende von jener des SPD-Ministers | |
Sigmar Gabriel unterscheidet – ist dem semiinteressierten Wähler im Detail | |
kaum noch zu vermitteln. | |
Irgendwann am Nachmittag geht der linke Finanzpolitiker Gerhard Schick ans | |
Mikro. Er zitiert eine Infratest-Umfrage nach der Europawahl: 50 Prozent | |
der Grünen-Anhänger wüssten gerade nicht so genau, wofür die Partei stehe. | |
„Wir müssen den Mut haben, die neuen Themen von morgen zu identifizieren | |
und auch Gegenwind auszuhalten“, verlangt er. Der Abgeordnete wünscht sich | |
„Freiraum, nach vorne zu denken“. Wenig später muss er sich an gleicher | |
Stelle korrigieren lassen. Die Umfrage laute anders, berichtigt ihn der | |
Parteiratskollege Malte Spitz: Es seien eigentlich 70 Prozent, die nicht | |
mehr wüssten, wofür die Grünen gerade stehen. | |
1 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
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