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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Trittin des Südens gesucht
> Sind Sie eigentlich ein Grüner Oberideologe, Winfried Hermann? Auf einen
> Obstsalat mit dem bekanntesten Verkehrsminister der Bundesrepublik.
Bild: Winfried Hermann glaubt an die Kraft des guten Arguments.
Als der Grüne Landesminister Winfried Hermann in Bad Mergentheim den
Spatenstich für eine Ortsumfahrung getan hatte, sprach ihn ein alter Mann
an. Ob der Herr Verkehrsminister wisse, wer diese Straße den Mergentheimern
versprochen habe, fragte der Alte und gab gleich die Antwort: Hans
Filbinger. Zu seiner Zeit als Innenminister. Also in den Sechzigern.
Hermann wusste das nicht, aber er erzählt es seither gern. Weil es seine
Sicht der Dinge bestätigt: Die CDU Baden-Württemberg hat über Jahrzehnte
eine Verkehrspolitik der haltlosen Versprechungen von Straßen gemacht. Er
hat nun den Wechsel zur nachhaltigen Mobilität eingeleitet, und der lautet
im Bereich Straßenbau: sanieren statt neu bauen. Erst mal zu Ende bauen,
was angefangen wurde. Nichts versprechen, was nicht finanziert ist.
Hermann interessiert sich nur für Fahrräder und weigert sich aus
weltanschaulichen Gründen, Straßen und Ortsumfahrungen zu bauen, obwohl sie
dringend gebraucht werden. Das ist die Sicht der CDU.
Der Minister sitzt in der Berliner Landesvertretung von Baden-Württemberg,
hat gut zu Mittag gegessen und beschäftigt sich jetzt mit einem Obstsalat.
„Der Witz ist“, sagt er halb grinsend, halb gequält, „dass die mir
vorwerfen, ich sei ein Oberideologe.“ Es sei andersherum: „So verbohrte,
verbiesterte Ideologen wie in der CDU-Landtagsfraktion triffst du sonst im
ganzen Land nicht mehr.“ Er selbst mache „ganz rationale Verkehrspolitik“.
## Leiden unter der Oligarchie der CDU
Hermann, 61, und noch immer überall als „Winne“ bekannt, hat eine
klassisch-baden-württembergische Anti-Establishment-Laufbahn hinter sich.
Zivildienst, Gymnasiallehrer, 1982 wegen Helmut Schmidt von der SPD zu den
Grünen. Litt immer unter der Oligarchie der CDU. Baute sich im
realodominierten Landesverband einen Markenkern als aufrechter „Ströbele
des Südens“ auf und platzierte sich verlässlich auf vorderen Listenplätzen.
Er hätte 2011 als angesehener Vorsitzender des Verkehrsausschusses im
Bundestag bleiben können. Aber er wollte endlich zeigen, dass er es nicht
nur besser weiß. Sondern es besser kann als die CDU.
Ob das faktisch so ist oder anders, ist sekundär. Primär geht es um die
Frage, ob der grüne Ministerpräsident Kretschmann nur ein Wimpernschlag der
Geschichte bleibt und nach der Wahl 2016 alles wieder seinen CDU-Gang geht.
Angesichts der parteiübergreifenden Zustimmung für den Ministerpräsidenten
soll nach dem Plan der CDU der Verkehrsminister in der Rolle des „Trittin
des Südens“ den Ökofundi-Malus liefern und die beliebte grüne Volkspartei
Richtung Bundesgrüne abschmelzen.
Erstens weil Autos und Straße im Land pars pro toto für Wirtschaft und
Wohlstand stehen. Zweitens weil Hermann als oberster grüner
Stuttgart-21-Gegner von Anfang an Angriffsflächen bot. Drittens weil die
CDU in diesem Bereich mit der verkehrspolitischen Sprecherin Nicole Razavi
eine ernstzunehmende Angreiferin hat. Einen echten Treffer landete sie, als
sie behauptete, dass er 100 Millionen Euro an Bundesmitteln für Straßenbau
nicht abgerufen habe. Wenn Hermann das gegenrechnet, bleiben 6 Millionen
Euro, und er erklärt es als grundsätzlichen Bruch mit dem CDU-System des
Bauens auf Verdacht.
„Man spürt einfach, dass Hermann mit Straßen und Automobilen auf Kriegsfuß
steht“, sagt Razavi am Telefon. Der Unterschied zwischen grüner und
CDU-Verkehrspolitik? „Grüne Verkehrspolitik ist ideologisch geprägt,
bevormundend und will die Menschen stark beeinflussen.“ Ihre Politik
orientiere sich an den Bedürfnissen des ganzen Landes, der Menschen und der
Städte und des ländlichen Raums wie auch der Wirtschaft.
Razavi kennt sich im Ministerium aus, weil sie dort einst Referentin eines
Staatssekretärs namens Stefan Mappus war. Sie ist besorgt darüber, wie dort
heute mit bestimmten CDU-Mitgliedern umgegangen wird. Hermann denkt, das
seien ihre Informanten. Sie beklagt Verschwörungstheorien. Er beklagt, dass
die CDU ihre Methoden fälschlicherweise nun auf ihn projiziere. „Die CDU,
die selbst Dreck am Stecken hat, versucht mit ihrem dreckigen Stecken mir
etwas von dem Dreck anzuhängen.“ Die beiden haben sich ziemlich ineinander
verkeilt.
In Wahrheit liegen sie wohl nicht so weit auseinander, wie sie tun. Genau
deshalb wird eine Entweder-oder-Schicksalsentscheidung ausgerufen. Weshalb
sie im Staatsministerium bisweilen halb skeptisch in seine Richtung
schauen, ob was hängen bleibt. Manchmal ist Hermann selbst verwundert. „Es
ist schon komisch, wenn man als Grüner betonen muss, dass man Rekordsummen
aus Bundesmitteln im Straßenbau umgesetzt hat“, sagt er. Er ist ja wirklich
Fahrradfahrer, nicht nur auf Werbefotos wie Parteikollegen. Und er glaubt
tatsächlich, dass die Grünen als führende Regierungspartei ein Land in der
Realität politisch und kulturell transformieren – und wiedergewählt werden
können.
„Es ist vielleicht mein größter Irrtum, dass ich immer noch an die Kraft
des guten Arguments in der Politik glaube“, sagt er seufzend. Dass das so
ist, bestätigen Weggefährten. Manche halten ihn deshalb für naiv. Aber,
keine Sorge: Der Mann hat Jahrzehnte in der düster-kalten Schlangengrube
der Grünen überlebt. Den wirft so leicht nichts um.
31 May 2014
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Grüne
Verkehrspolitik
Baden-Württemberg
Europa
Grüne
Grüne
Ildikó von Kürthy
Deutsche Bahn
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