# taz.de -- Museumsgründer über 25 Jahre Tiananmen: „Kampf gegen die Gehirn… | |
> Lee Cheuk-yan, Museumsgründer in Hongkong, über die Angst vor der | |
> Wahrheit über den 4. Juni, die KP, Chancen auf Demokratie und Widerstände | |
> gegen seine Arbeit. | |
Bild: 5. Juni 1989: ein Mann gegen vier Panzer. | |
taz: Sie haben in Hongkong ein Museum über Tiananmen gegründet. Warum? | |
Lee Cheuk-yan: Seit den Ereignissen in Peking ist inzwischen ein | |
Vierteljahrhundert vergangen, also eine neue Generation herangewachsen. Die | |
Erinnerungen der Älteren verblassen. Wir wollen die historische Wahrheit | |
bewahren und einen Erinnerungskampf gegen das Vergessen, gegen die | |
Gehirnwäsche führen. In China sind alle Diskussionen über den 4. Juni | |
verboten. Anfang Mai wurden fünf Personen verhaftet, die dazu eine | |
Veranstaltung machten. Uns selbst überrascht, wie sehr das Museum von | |
Chinesen vom Festland angenommen wird, da wir nur in Hongkong dafür werben. | |
Ein Besucher sagte mir, in China werde per Weibo (Anmerkung: chinesisches | |
Twitter) dafür geworben, nicht über den zensierten Begriff „4. Juni“, | |
sondern als „35. Mai Museum“. Wir wollen die junge Generation aus Hongkong | |
und China aufklären und für unsere Aktionen mobilisieren. | |
Steht in chinesischen Schulbüchern nur die offizielle Version von einem | |
„kontrerrevolutionären Aufstand“ oder gar nichts? | |
Die Ereignisse werden überhaupt nicht erwähnt. Wenn Schüler fragen, was | |
damals mit ihren Eltern passierte, wird nur von Unruhen oder ähnlichem | |
gesprochen. Nie wird gesagt, wieviele Menschen getötet wurden. Manche | |
werfen uns vor, wir würden nicht die ganze Wahrheit zeigen, schließlich | |
seien damals auch Soldaten getötet worden. Doch wer die genaue Zahl der | |
Opfer wissen will, muss Chinas Kommunistische Partei fragen, die daraus | |
immer noch ein großes Geheimnis macht. Die Partei hat einen sehr großen | |
Propagandaapparat, aber selbst der wagt nicht, den 4. Juni zu erwähnen. Das | |
zeigt die Angst vor der Wahrheit. | |
Was müsste sich in China ändern, damit dort über den 4. Juni diskutiert | |
werden kann? | |
Die jetzige Herrschaft von Partei- und Staatschef Xi Jinping ist | |
autoritärer als die seiner Vorgänger der letzten 25 Jahre. Das ist jetzt | |
die 3. Führungsgeneration seit 1989, doch wir sehen keine Verbesserung der | |
Menschenrechtslage. Die Nervosität der Führung zum Jahrestag ist größer als | |
je zuvor. Alle „Mütter des Tiananmen“ stehen unter Aufsicht. Ihre Ikone | |
Ding Zilin darf sich nicht in Peking aufhalten. Solange die Menschenrechte | |
unterdrückt werden, sehe ich nicht, dass die Wahrheit ans Licht kommt. | |
Dafür müsste die Partei ihren Fehler der Bewertung des 4. Juni eingestehen. | |
Das hieße sich in Richtung Demokratie zu bewegen und dass die Forderungen | |
der Studenten damals richtig waren. | |
Wie kam es dazu, das Museum über den 4. Juni aufzubauen? | |
Wir fingen 2011 mit einem temporären Museum an und machten sehr ermutigende | |
Erfahrungen: Viele Hongkonger, Festlandschinesen und Schulklassen haben es | |
besucht. So entstand die Idee eines dauerhaften Museums, und wir begannen | |
Geld zu sammeln. | |
Wann konnten Sie schließlich eröffnen? | |
In diesem Frühjahr vor dem 25. Jahrestag. Das Museum hat nur 75 | |
Quadratmeter und kostete 900.000 Euro. Wir können nur wenige Gegenstände | |
zeigen. Wir versuchen eine Zeitachse darzustellen vom 15. April bis nach | |
dem 4. Juni 1989. Dann zeigen wir die Unterstützung der Hongkonger für die | |
Demokratiebewegung, so dass junge Leute lernen können, was damals | |
passierte. Wir zeigen Videoclips der Mütter vom Tiananmen, in denen manche | |
von ihnen erstmals die Geschichte ihrer getöteten Männer und Kinder | |
erzählen. Dann haben wir eine Sektion, die wir „4. Juni damals und heute“ | |
nennen. Wir dokumentieren, wie Hongkonger Politiker damals das Massaker | |
verurteilten und heute Chinas Kommunistische Partei loben, wie Hongkongs | |
Regierungchef C.Y. Leung. Heute fordert er den Friedensnobelpreis für Deng | |
Xiaoping. | |
Haben Sie viele original Gegenstände aus der Zeit im Museum? | |
Wir wollen auch Gegenstände zeigen, aber dafür brauchen wir noch ein gutes | |
Sicherheitskonzept. Wir zeigen vor allem Fotos. Die Mutter eines getöteten | |
Schülers gab uns seinen Helm, den eine Kugel durchschlagen hatte. Vor drei | |
Wochen bekamen wir eine Kugel, die sich jemand erst zum 20. Jahrestag | |
rausoperieren lassen konnte. | |
Warum ist der 4. Juni 1989 so wichtig für Hongkong? | |
Wir haben in Hongkong einen rechtlichen Schutz für unsere Autonomie, doch | |
letztlich unterstehen wir dem gleichen Regime. Das versucht seit Jahren mit | |
einem Anti-Subversionsgesetz unsere Freiheiten einzuschränken. Bisher | |
konnten wir das erfolgreich abwehren, einmal protestierten sogar eine halbe | |
Million Menschen. Peking kontrolliert die politischen Reformen, die wir | |
hier in Hongkong diskutieren. Chinas Regierung hat uns Reformen | |
versprochen, ist aber nicht aufrichtig. Warum sollten wir von einem Regime, | |
dass Demokratie in China unterdrückt, erwarten, dass es sie in Honkong | |
erlaubt? Wenn wir in Hongkong Demokratie haben wollen, müssen wir dafür | |
sorgen, dass auch China sich dafür öffnet. Die damalige Bewegung in China | |
wollte das gleich wie wir. Wollte China wirklich Demokratie haben, wäre | |
Hongkong eine Chance, damit zu experimentieren. So ist Hongkong der | |
Lackmustest, ob Chinas Führung wirklich Demokratie will. | |
Gibt es Widerstände in Hongkong gegen das Museum? | |
Ja. Wir sind wohl Hongkongs einzige Eigentümer eines Gewerberaums, die | |
verklagt werden, weil anderen ihr Geschäftsmodell nicht passt. Der Fall ist | |
bei Gericht anhängig. Uns wird vorgeworfen gegen den Hauskodex zu | |
verstoßen, der nur Büroräume vorsieht. Dabei haben viele Büros in Hongkong | |
einen Showroom. Die verkaufen kommerzielle Produkte, wir politische | |
Botschaften. Showrooms verbieten wäre für eine Businessstadt wie Hongkong | |
eine Ironie. Doch hätten wir den Museumsraum gemietet, wären wir längst | |
gekündigt worden. | |
4 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Sven Hansen | |
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