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# taz.de -- Kolumne Ich meld' mich: Wundersamer Dosenmilch-Zauber
> Er kam auf einem Motorrad angeknattert, murmelte Gebete und speiste uns
> mit Kondensmilch. Und es war gut für die Reise!
Bild: Hauptsache man glaubt daran.
Bator Balschinowitsch war Mitte 50, von vertrauenserweckender Leibesfülle,
Techniker bei einer Telefongesellschaft und Schamane. Er kam auf einem
Motorrad angeknattert. Neben der Straße entzündete er ein Feuer und ließ in
einer geborstenen Eisenschale Kräuter, Kekse und ein Bonbon verglühen.
Aus einem Schälchen mit Dosenmilch spritzte er mit einem Löffel Tropfen in
jede Himmelsrichtung und murmelte Gebete. Jeder von uns nahm einen Schluck
von der Milch und steckte sich einen Keks in den Mund. Bator dagegen
steckte schmunzelnd ein paar Rubel ein und bretterte davon.
„Es ist gut für die Reise“, das war alles, was Sergej, der Bergführer,
darüber sagen wollte. Drei Tage später bestiegen wir den 3.500 Meter hohen
Munku Sardik im sibirischen Sajan-Gebirge. Alles andere als ein Spaziergang
– aber der Ausblick, hieß es, würde jede Mühe lohnen. Vom Sattel aus ging
es am Seil und mit Steigeisen weiter. Schneetreiben setzte ein, mühsam
stapften wir durch hüfthohe Verwehungen.
Doch irgendwann erreichten wir den steilen Grat, ein eisiger Wind pfiff auf
den letzten Metern und dann standen wir auf dem Gipfel des höchsten Berges
zwischen Altai und Kamtschatka. Schnee und Eiskristalle blendeten, kaum war
das orthodoxe Kreuz im treibenden Weiß zu erkennen. Gleich daneben ragte
ein buddhistischer Gebetspfahl mit steifgefrorenen Stoffbändern aus dem
Schnee. Münzen lagen als Geschenk an seinem Fuß, und in einer
festgebundenen Plastikflasche steckte ein zusammengerolltes Stück Papier,
das Gipfelbuch.
Kaum fünf Meter weit reichte die Sicht in der weißgrauen, wirbelnden Welt.
Plötzlich hob Sergej die Arme und begann in alle vier Himmelsrichtungen zu
murmeln. Und, welch ein Zufall, in genau diesem Augenblick riss der
Schneevorhang und gab für Sekunden den Blick frei auf das
sonnenbeschienene, rollende Hügelland der Mongolei im Süden. „Er hat
gesagt: ’Viel Glück, Sergej, und vertreib die Wolken‘“, murmelte unser
Bergführer beim Abstieg. War so. Tja. War genau so.
14 Jun 2014
## AUTOREN
Franz Lerchenmüller
## TAGS
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