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# taz.de -- Kolumne Ich meld`mich: Im Westen nicht Neues
> Der Flug hat Verspätung. Kein Mensch, niemand. Der Flughafen Gjögur und
> die ultimative Geduldsprobe für nervöse Festlandseuropäer.
Bild: Nur ein einsamer Vogel...
10.30 Uhr. Flughafen Gjögur. Ankunft nach zwei Tagen Fußmarsch. Keine
Menschenseele. Aber es gibt Anzeichen, die den Ort als Flugplatz erkennen
lassen: Ölfässer, ein Windsack, eine Piste. Das Flugzeug nach Reykjavík
geht um 13.05 Uhr.
11.15 Uhr. Der Blick durchs Fenster in das winzige Abfertigungsgebäude
fällt auf eine Waage und einen Stapel Zeitschriften. Nichts deutet darauf
hin, dass hier in den letzten vier Wochen ein Flugzeug abgefertigt worden
wäre. Oder in etwa zwei Stunden abgefertigt worden sein wird. Ein schneller
Blick aufs Ticket: gilt für Donnerstag, den 10. Alles klar. Auch der Monat
stimmt.
11.30 Uhr. Gjögur liegt im Westen Islands am Rand der bewohnten Welt. Das
Flugzeug aus Reykjavík landet zweimal pro Woche. Zu Lande wegzukommen wird
schwer. Sehr schwer. Was verwundert, ist die Abwesenheit von Rucksäcken.
Sie und ihre Träger sammeln sich bevorzugt am Rand von Flughäfen am Rand
der bewohnten Welt.
11.45 Uhr. Immer noch keine Menschenseele. Wie wohltuend, dass Isländern
diese mitteleuropäische Hektik in Sachen Einchecken so vollkommen abgeht.
12 Uhr. Ein Auto. Ein Ehepaar mit zwei Kindern. Wissen sie vielleicht, wann
hier heute das Flugzeug …? Ach, auch Touristen? Aber die Uhrzeit? 12 Uhr.
Und, Pardon, das Datum? Donnerstag, der 10. Natürlich. Weniger gefestigte
Naturen könnten ihre Blicke als mitleidige deuten.
12.30 Uhr. Kein Mensch, niemand. Der Rucksack scheint höhnisch zu grinsen.
12.45 Uhr. Das Flugzeug aus Reykjavík müsste jetzt landen. Keine
Menschenseele. Stattdessen die Erleuchtung: Auf dem Flughafen von Gjögur
verzichtet man auf Bodenpersonal. Die Piloten selbst werden das Einchecken
vornehmen. Ungeheuer praktisch, diese Isländer.
13 Uhr. Zeit zum Nachdenken. Diese Berge ringsum. Haben über Äonen hinweg
aufwühlende menschliche Dramen miterlebt. Tausende. Was ist dagegen das
eines Wanderers, der mit blutenden Füßen und gebrochenem Herzen einen
hässlichen Rucksack zurück in die Zivilisation schleppt? Also wirklich!
13.15 Uhr. Das Flugzeug taucht brummend über den Bergen auf. Na bitte!
Zieht keine Schleife. Geht nicht tiefer. Folgt stur seinem Kurs.
Verschwindet. Haben Humor, die Isländer.
13.30 Uhr. Noch ein Auto. Ein alter Mann. Das Flugzeug? Die Abfertigung?
Das Personal? Er nimmt erst mal eine Prise Schnupftabak. Vielleicht
Verspätung, bietet er an. Niest kräftig, schließt das Fenster und braust
davon, nicht ohne eine Spur milden Tadels im Blick ob der vollkommen
deplatzierten Nervosität des Festlandeuropäers.
15 Uhr. Keine Menschenseele. Viel Zeit zum Nachdenken: Wenn die Leser
dieser Zeitung diese Geschichte je zu Gesicht bekommen sollten, wissen sie,
dass der Autor seinen Weg in die bewohnte Welt zurückgefunden hat.
Irgendwann und irgendwie. Oder zumindest seine Aufzeichnungen nicht
verloren gingen.
10 Mar 2014
## AUTOREN
Franz Lerchenmüller
## TAGS
Island
Flug
Einsamkeit
Sibirien
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Spiegel
Honduras
Touristen
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