| # taz.de -- Überaschungsteam Costa Rica: Mit Tom Bartels auf Safari | |
| > Bei der ARD weiß man: Costa Rica ist der sympathische Underdog, | |
| > profitiert aber vom Klima. Das ist Blödsinn. Was ist dann das Geheimnis? | |
| Bild: Wie süß, diese Costa-Ricaner, hier nach dem Sieg über Italien. | |
| Ja, das macht eine Weltmeisterschaft erst richtig weltmeisterlich: Ein paar | |
| tanzende und singende Exoten aus einem Dritte-Welt-Land, die fröhlich ein | |
| paar Sensationen landen, ehe sie sich tränenreich verabschieden und die | |
| Erwachsenen unter sich bleiben. Halb ist diese Sympathie für die Underdogs | |
| ein sehr menschliches Gefühl und Bestandteil jeder Weltanschauung (jeder | |
| ist für David, sofern er nicht gerade selber Goliath ist), halb ist sie | |
| Paternalismus, Exotisierung und Kitsch. | |
| Bei Fußball-Weltmeisterschaften waren oft afrikanische Teams in der Rolle | |
| des sympathischen Underdogs, nun ist Costa Rica das neue Afrika. [1][Seit | |
| dem 1:0 gegen Italien] und der Qualifikation fürs Achtelfinale scheint | |
| keine Nachrichtensprecherin ohne gönnerhaftes Lächeln über Costa Rica reden | |
| zu können. Selbst der Staatspräsident habe mitgefeiert, meldet die Deutsche | |
| Presse-Agentur. Was für ein lustiges Völkchen aber auch. | |
| Schon während des Spiels entzückt sich ARD-Kommentator Tom Bartels im | |
| Tonfall eines Safaritouristen über die „Ausgelassenheit“ der Costa-Ricaner. | |
| Für ihren Erfolg weiß er indes nur eine Erklärung, die er in der zweiten | |
| Halbzeit nicht oft genug wiederholen kann: das Wetter. | |
| Man kann es sich gut vorstellen, wie Bartels auf der Pressetribüne sitzt, | |
| mit Jack-Wolfskin-Basecap oder khakifarbenem Safarihut, innerlich darüber | |
| fluchend, dass er nach 20 Jahren im Geschäft immer noch solche | |
| Volontärsjobs machen muss und sich mit dem Gedanken an die Caipi danach | |
| tröstet – und an das [2][Deutschland gegen Ghana], das er ebenfalls | |
| moderieren wird. | |
| ## Der Klimaquatsch | |
| Im nordostbrasilianischen Recife ist es bei Anpfiff 13 Uhr Ortszeit. 29 | |
| Grad, 70 Prozent Luftfeuchtigkeit. „Das ist ihr Klima“, weiß Bartels, als | |
| ob die costa-ricanische Liga, wo fast die Hälfte des WM-Kaders beschäftigt | |
| ist, ihre Spiele zur Siesta austragen würde. Auch seine Kollegen Matthias | |
| Opdenhövel und Mehmet Scholl wiederholen nach dem Spiel die so beliebte wie | |
| blödsinnige Behauptung, die lateinamerikanischen Teams seien aus | |
| klimatischen Gründen im Vorteil. | |
| Allenfalls erklärt die schwüle Hitze von Recife, warum die Italiener (waren | |
| das nicht Südländer?) so schlecht, aber nicht, warum die Costa-Ricaner so | |
| gut waren. Das hat andere Gründe. Zum Beispiel: die exakte Gegneranalyse | |
| und eine maßgenaue Taktik. Das können nicht nur [3][Joachim Löw] und sein | |
| Fachreferent Urs Siegenthaler, das kann – für die ARD-Leute offenbar | |
| unvorstellbar – auch ein Trainer, der Jorge Luis Pinto heißt und aus | |
| Kolumbien stammt. | |
| Die taktische Grundausrichtung seiner Mannschaft wirkt arg defensiv: Ein | |
| 5-4-1, mit einer ungewöhnlichen Fünferkette in der Abwehr, einem sich | |
| schell nach vorne verschiebenden Mittelfeld und nominell einzigem Stürmer. | |
| Costa Rica lässt den Gegner kommen, um nach der Balleroberung mit wenigen | |
| Stationen nach vorne zu spielen. In den besten Momenten erinnert es sie an | |
| das [4][überfallartige Spiel der Holländer], nur dass sie weniger über die | |
| Flügel kommen. Sie haben eben keinen Arjen Robben, wie insgesamt ihre | |
| individuelle Klasse bescheiden ist. | |
| ## Trainer mit Ideen | |
| Dafür hat ihr Trainer Ideen: Beim [5][3:1 gegen Uruguay] – nebenbei: auch | |
| nicht gerade am Polarmeer gelegen – spielte sein Team bei Freistößen, Ecken | |
| und aus dem Spiel heraus wieder und wieder hohe Flanken an der gegnerischen | |
| Innenverteidigung vorbei auf die linke Seite. Dort stand nämlich Uruguays | |
| Rechtsverteidiger Maxi Pereira, mit einer Körpergröße von 1,73m kein | |
| Kopfballspezialist. Einen der vielen Versuche köpfte der vorgerückte | |
| costa-ricanische Verteidiger Oscar Duarte zum vorentscheidenden 2:1 ein. | |
| Doch das Repertoire beschränkte sich nicht darauf; die beiden anderen Tore | |
| fielen nach schnellen, aber flach gespielten Spielzügen, einmal über die | |
| rechte Linie (Joel Campbell), einmal aus der Mitte (Marcos Urena). | |
| Gegen Italien bediente Costa Rica eine ganze Klaviatur, von brachialen | |
| Zweikämpfen in der ersten Halbzeit bis zu | |
| [6][Xavi-Iniesta-Gedächtnis-Fußball], den es in der zweiten Hälfte | |
| phasenweise zeigten. Auch nach der Führung beließen sie es nicht dabei, das | |
| Ergebnis zu verteidigen und zu kontern, sondern taten, was keiner | |
| italienischen und keiner von José Maurinho befehligten Mannschaft in dieser | |
| Situation in den Sinn kommen würde: Sie bauten bis zum Schluss immer wieder | |
| eigene Spielzüge auf. Und das war nicht naiv, sondern zweckmäßig: Sie | |
| ermüdeten die ohnehin müden Italiener und versuchten, mit einem zweiten Tor | |
| die Entscheidung herbeizuführen. | |
| Erst auf dieser Grundlage – ein Trainer, der sein Handwerk versteht und | |
| eine Mannschaft, die dessen Vorgaben zu befolgen weiß – können die übrigen | |
| Faktoren zur Geltung kommen: das „große Herz“ (Mehmet Scholl) oder der | |
| „Teamgeist“ (Giovane Elber). Dass deutsche Fernsehkommentatoren diese | |
| Leistung ignorieren, ist kein Zeichen von Inkompetenz, sondern kündet von | |
| Schlimmerem: Borniertheit. | |
| ## Plötzlich Favorit | |
| Wer Costa Rica ernst nimmt, findet genug Schwächen: Seine Technik wirkt oft | |
| hölzern, ihre am Gegner orientierte Spielweise ist reaktiv. Anderseits: Ihr | |
| Bester (Campbell) spielt in Piräus, der Rest bestenfalls für Clubs wie | |
| Brügge (Duarte) oder Mainz (Junior Diaz). Die müssen nicht versuchen, einem | |
| Gegner wie Italien ihre eigene Spielweise aufzudrängen. | |
| Am Dienstag, im Spiel gegen die bereits [7][ausgeschiedenen Engländer], | |
| würde ein Unentschieden genügen, um als Gruppensieger ins Achtelfinale | |
| einzuziehen. Ob dort der Gegner Elfenbeinküste, Japan oder gar Griechenland | |
| heißt – in dieses Spiel wird Costa Rica als Favorit gehen. Falls Pinto und | |
| sein Team mit dieser neuen Rolle zurechtkommen, kann es danach nur leichter | |
| werden. Dann dürften nur noch große Teams übrig sein. Aber wer sich gegen | |
| zwei, drei Ex-Weltmeister durchsetzt, braucht sich vor drei weiteren nicht | |
| zu fürchten – egal bei welchem Wetter. | |
| 22 Jun 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Deniz Yücel | |
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