# taz.de -- Flüchtlingsbiografie: Ein Leben auf Europas Straßen | |
> Der Sudanese Ashraf Y. soll von Niedersachsen nach Ungarn abgeschoben | |
> werden - obwohl dort menschenunwürdige Umstände herrschen. | |
Bild: Ashraf Y. droht die Abschiebung nach Ungarn. | |
HEIDERUH taz | Der 34-jährige Ashraf Y. soll am Mittwoch nach Ungarn | |
abgeschoben werden. Für ihn ist der Gedanke schrecklich: „Hier in | |
Deutschland habe ich mich zum ersten Mal wie ein Mensch behandelt gefühlt.“ | |
Seit 2008 lebt der Sudanese nun auf den Straßen Europas. Er war schon vor | |
Jahren aus dem Sudan geflohen. | |
Seit Anfang der 2000er Jahre gibt es in Kassala, im Osten des Sudan, Kämpfe | |
zwischen der arabisch dominierten Regierungsarmee und der mit der | |
innerarabischen Opposition National Democratic Alliance (NDA) verbündeten | |
südsudanesischen Volksbefreiungsbewegung (SPLA). Ashraf gehörte zur | |
Opposition, hat sich für Menschenrechte stark gemacht. | |
Daraufhin wurde er von der Regierungsarmee verfolgt. Über die ägyptische | |
Grenze floh er als Schafhirte verkleidet. In einem Fischerboot kam er über | |
das Mittelmeer nach Griechenland. Ashraf wollte nach Deutschland, er wollte | |
in seinem Beruf Tischler eine Anstellung finden. Im November 2013 kam er | |
an. | |
In Heideruh will man ihm helfen. Heideruh ist ein Wohn und Ferienheim in | |
Buchholz. Seit Dezember ist Heideruh als Flüchtlingsaufnahmelager | |
anerkannt. Statt in ein Erstaufnahmelager zu müssen, können Flüchtlinge | |
auch hier untergebracht werden, acht leben nun dort. Das Land Niedersachsen | |
zahlt die Miete, mehr nicht. | |
## Post von der Behörde | |
Erst seit April kommt ein Mitarbeiter der Diakonie im Auftrag des | |
Landkreises zur Sozialberatung – einmal pro Woche für zwei Stunden. Hier, | |
mitten in der Nordheide im Landkreis Harburg warten die acht Sudanesen auf | |
Post von der Behörde. Ashraf ist der erste, der abgeschoben werden soll. | |
Bei den anderen stehen die Entscheidungen noch aus. Manche haben ihren | |
Asylantrag in Italien gestellt, andere gleich in Deutschland. | |
Über Albanien, Serbien, Bosnien und Montenegro kam Ashraf nach Ungarn. Zur | |
Begrüßung kam er ins Gefängnis, das ist in Ungarn nichts Ungewöhnliches. | |
Prinzipiell werden Flüchtlinge inhaftiert, Flüchtlingsorganisationen wie | |
Pro Asyl prangern das seit Jahren an. | |
Nach sechs Stunden kam ein Dolmetscher. „Ich sollte entweder einen | |
Asylantrag stellen oder 600 Dollar zahlen – die Kosten für meine eigene | |
Abschiebung“, sagt Ashraf. Entweder nach Serbien, über das er Ungarn | |
betreten hat, oder zurück in den Sudan. | |
## Erzwungener Antrag | |
Nachdem er den erzwungenen Asylantrag mit einem Fingerabdruck unterzeichnet | |
hatte, kam er in ein Erstaufnahmelager in Debrecen. Von dort an ist der | |
Fall für die Behörden erledigt. Nach zwei bis sechs Monaten soll man das | |
Lager verlassen, wohin ist oft egal. Zwar gibt es die Möglichkeit, Geld für | |
eine Wohnung zu beantragen. Die Chancen, es auch bewilligt zu bekommen, | |
sind aber gering. Selbst wenn man eine bekommen hat, sind die Mietverträge | |
befristet. | |
Vom Staat gibt es in Ungarn circa 92 Euro monatlich zur Versorgung. 192 | |
Euro bräuchte man – laut dem deutschen statistischen Bundesamt – um dort | |
leben zu können. | |
Hinzu kommt das Problem, dass die Leistungen nur jeweils innerhalb eines | |
bestimmten Zeitraums beantragt werden können, nachdem das sogenannte | |
„Pre-Integration Camp“ verlassen wurde. Da Ashraf über einen längeren | |
Zeitraum nicht in Ungarn war, kann es sein, dass die Fristen abgelaufen | |
sind. Dann hat er keinen Anspruch auf Leistungen mehr. | |
## Gewalttätige Wachleute | |
In diesem Lager zu bleiben, ist aber auch keine Option. 19 Personen teilten | |
sich einen Raum, dauerhaft. Sanitäranlagen gibt es dort kaum, alles ist in | |
einem verwahrlosten Zustand. | |
Das Wachpersonal soll gewalttätig sein, in dem neusten Bericht des | |
ungarischen Helsinki Komitees, einem ungarischen Pendant zu Pro Asyl, wurde | |
das Lager angeprangert. „Als ich das Lager betrat, bekam ich mit einem | |
Schlagstock einen Schlag in den Magen“, berichtet Ashraf. Nach drei Tagen | |
ist er aus dem Lager geflohen und hat sich für 150 Dollar mit dem LKW nach | |
Deutschland bringen lassen. Das Geld dafür hatte er in Griechenland | |
gespart. Manchmal konnte er dort arbeiten. | |
In Deutschland hat er einen Asylantrag gestellt und kam durch die | |
Flüchtlingsverteilung nach Niedersachsen. Der Landkreis Harburg will ihn | |
abschieben, bisher haben das Verwaltungs und Oberverwaltungsgericht | |
Lüneburg diese Entscheidung bestätigt. | |
Dabei ist das nicht die Regel, andere Gerichte befinden die Umstände in | |
Ungarn als so menschenunwürdig, dass sie Flüchtlinge nicht mehr dorthin | |
zurück schicken. Das Verwaltungsgericht München, kam am 10. Januar zu dem | |
Schluss, dass eine Abschiebung nach Ungarn wegen der dortigen systemischen | |
Mängel nicht möglich ist. | |
## Niedersachsen ist nicht Herr des Verfahrens | |
Kai Weber vom Flüchtlingsrat Niedersachsen kennt das Problem: „Aus den | |
selben Gründen wird nicht mehr nach Griechenland zurück abgeschoben.“ Die | |
EU hat sich drauf geeinigt, die Dublin-Abschieberegelung, nach der | |
Deutschland das Recht hat, Flüchtlinge in das Erstaufnahmeland | |
zurückzuweisen, bei Griechenland auszusetzen. | |
Das Gericht Lüneburg sieht das anders, der Rückflug von Frankfurt am Main | |
nach Budapest ist schon gebucht. Ashrafs Anwalt, Dieter Priem, ist trotzdem | |
optimistisch. Er will versuchen, die Härtefallkommission einzuschalten. Das | |
Problem dabei ist, dass das Land Niedersachsen nur im Auftrag des | |
Bundesaußenamtes handelt. Also müsste der Bundespetitionsausschuss | |
angerufen werden. Ob das klappt, ist fraglich. | |
Einen Plan für Ungarn hat Ashraf nicht. „Ich würde versuchen, zurück in den | |
Sudan zu kommen. Dann sollen die mich lieber da erschießen. Tot sein, ist | |
mir lieber, als in Ungarn zu sein.“ | |
24 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Frida Kammerer | |
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