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# taz.de -- Debatte über Hitlers Hetzschrift: Nazi-Bibel bald ungeschützt
> Die Urheberrechte für Hitlers "Mein Kampf" laufen ab, und Niedersachsen
> wirbt bereits für eine wissenschaftlich-kritische Edition.
Bild: Heikler Bestseller: Erstausgabe von "Mein Kampf".
HANNOVER taz | Niedersachsens grüne Justizministerin Antje
Niewisch-Lennartz plädiert dafür, die Veröffentlichung von Hitlers
rassistischer Hetzschrift „Mein Kampf“ künftig auch in Deutschland zu
tolerieren – wenn die Ausgabe mit einer kritischen, wissenschaftlich
fundierten Kommentierung versehen ist. Bereits heute sei das Machwerk im
Ausland und im Internet „praktisch an jeder Ecke zu kaufen“.
Deshalb sei es sinnvoll, gezielt die Veröffentlichung einer kommentierten
Edition zu unterstützen, so Niewisch-Lennartz. Eine „eine aktive, kritische
Auseinandersetzung“ mit der Propagandaschrift sei derzeit nicht möglich.
Hitler hatte „Mein Kampf“ 1924 in Haft zu Papier gebracht. In der
Hetzschrift ist der mörderische Antisemitismus des Diktators ebenso
angelegt wie der bereits als „Rassenkrieg“ bezeichnete Überfall auf die
Sowjetunion, den die deutsche Wehrmacht ab Juni 1941 umsetzte.
Erschienen ist das Pamphlet im Zentralverlag der bis heute verbotenen
Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), dem Eher-Verlag
in München. Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm das Land Bayern dessen
Rechtsnachfolge – und verhinderte jede Veröffentlichung der
Hitler-Propaganda mit Hinweis auf die beim Freistaat liegenden
Urheberrechte.
Doch die laufen 70 Jahre nach Hitlers Tod aus. Ab dem 1. Januar 2016 gilt
das Machwerk als „gemeinfrei“ – rein urheberrechtlich betrachtet könnte
dann jedeR versuchen, den braunen Müll des Diktators zu Geld zu machen.
Am heutigen Donnerstag diskutiert deshalb die auf Rügen tagende
Justizministerkonferenz auf Antrag Bayerns über den weiteren Umgang mit dem
Machwerk. „Wir sind es den Opfern des Holocausts und ihren Angehörigen
schuldig, alles uns Mögliche zu tun, um eine Vervielfältigung und
Verbreitung dieser ideologischen Hetzschrift zu verhindern“, tönt Bayerns
Justizminister Winfried Bausback.
Seine Beamten glauben wie die Mitarbeiter des Bundesjustizministeriums, die
Verbreitung von „Mein Kampf“ sei auch nach Ablauf des Urheberschutzes durch
das Strafgesetzbuch verboten: Eine Veröffentlichung falle unter
„Volksverhetzung“ und sei durch den „Tatbestand des Verbreitens von
Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen“ strafbar, betonten
Sprecherinnen der Ministerien in München und Berlin gegenüber der taz fast
gleichlautend.
Allerdings arbeitet das renommierte Institut für Zeitgeschichte (IFZ) mit
Sitz in München bereits seit 2009 an einer wissenschaftlich-kritischen
Edition – mit Unterstützung der bayerischen Landesregierung. Der Freistaat
hatte das Projekt des IFZ, das als eine der wichtigsten
Forschungseinrichtungen zur Erforschung des Nationalsozialismus in
Deutschland gilt, zunächst mit 500.000 Euro gefördert.
Erst nach einer der berüchtigten Kehrtwenden des bayerischen
Regierungschefs Horst Seehofer (CSU) distanzierte sich dessen Staatskanzlei
Ende 2013 von dem Forschungsvorhaben, das auch vom Hitler-Biografen Ian
Kershaw, dem Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler und dem Ex-Generalsekretär
des Zentralrates der Juden in Deutschland, Stephan Kramer, unterstützt
wird: Nach Ablauf der urheberrechtlichen Schutzfrist Ende 2015 werde auf
Nachdrucke mit einer Anzeige wegen Volksverhetzung reagiert, drohten
Seehofers Beamte.
Der wissenschaftliche Leiter des IFZ-Projektes, Christian Hartmann,
appelliert an die Justizminister, kommentierte Veröffentlichungen von „Mein
Kampf“ zuzulassen. „Wir müssen uns fragen, welchen Eindruck wir als
Deutsche machen, wenn das Buch unkommentiert in der Welt bleibt“, sagt
Hartmann. Die wissenschaftliche Edition werde über 4.000 Anmerkungen
enthalten: „Wir nehmen das Buch total auseinander“, verspricht Hartmann.
Seine Chancen stehen nicht schlecht: Neben Niedersachsens Justizministerin
Niewisch-Lennartz macht sich der Verband der Historiker und Historikerinnen
Deutschlands für die kritische IFZ-Edition stark. Selbst in Bayern zählt
ein Machtwort Seehofers längst nicht mehr alles: Zwar sei auch
Landesbildungsminister Ludwig Spaenle „nach zwei Israel-Reisen und
Gesprächen mit Opfern des Nationalsozialismus“ zum Schluss gekommen, „kein
bayerisches Label“ auf der IFZ-Edition haben zu wollen, so dessen Sprecher
Ludwig Unger.
Die 500.000 Euro Fördergeld aber werden nicht zurückgefordert. „Pacta sunt
servanda“, sagt Unger – und betont, in Bayern gelte selbstverständlich die
„Freiheit der Wissenschaft“.
Über ein Verbot entscheiden werden künftig wohl Gerichte. Sie sollen „im
Einzelfall prüfen“, ob eine Veröffentlichung des Hitler-Machwerks
Volksverhetzung ist oder wissenschaftlichen Mehrwert bietet, heißt es aus
dem Bundesjustizministerium.
Die Grüne Niewisch-Lennartz jedenfalls wirbt jetzt für kommentierte
Editionen wie die der Münchener IFZ-Wissenschaftler: Die könnten dafür
sorgen, dass Hitlers Hetzschrift unter Umständen sogar „präventive Wirkung�…
entfalte.
25 Jun 2014
## AUTOREN
Andreas Wyputta
## TAGS
Hitler
Mein Kampf
Schwerpunkt Urheberrecht
Adolf Hitler
Theater
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
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