| # taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Der alte, weise Mann | |
| > Sind sie linksliberal, Harald Martenstein? Ein politischer Gesinnungstest | |
| > für den berühmten und gefährlichen „Zeit“-Kolumnisten. | |
| Bild: Harald Martenstein – ein gefährlicher Publizist? | |
| Mir ist zu Ohren gekommen, dass es eine kleine Gruppe gefährlicher | |
| Publizisten in Deutschland geben soll, die die linksliberale Aufklärung | |
| durch abweichende Gedanken gefährdet. Zu dieser Gruppe gehört auch Harald | |
| Martenstein, der berühmte Kolumnist der Zeit. Um die Sache zu klären, fuhr | |
| ich sofort zum Anhalter Bahnhof, Berlin, um ihn in einem anliegenden | |
| Wirtshaus zu prüfen und die eine Frage zu stellen: Sind Sie linksliberal, | |
| Herr Martenstein? | |
| Aber zunächst noch der biografische Hinweis, dass Martenstein 60 ist, aus | |
| Mainz kommt und in den 70ern erst Trotzkist war, dann bei der DKP und | |
| schließlich Sponti. Den Kommunismus gab er bereits während der öden Abende | |
| in der DKP-Ortsgruppe verloren. | |
| Nun zu seinen Kritikern. Das ist etwa die Grünen-nahe, aber ideologisch | |
| komplett unabhängige Böll-Stiftung. Sie arbeitet laut Statut u. a. für | |
| Zivilcourage, streitbare Toleranz und demokratische Willensbildung. Seit | |
| einem Text über Genderforschung listet sie Martenstein in den Top Three der | |
| gefährlichsten journalistischen „Gender-Gegner_innen“. Gleich nach Volker | |
| Zastrow (FAS). „Mein Gott, wie oft habe ich die Brüder gewählt“, sagt | |
| Martenstein, „und das ist der Dank.“ | |
| Nachdem Martenstein sich gegen Transgender-Toiletten ausgesprochen hatte, | |
| wurde er von Stefan Niggemeier, der ja auch als eine Art Böll-Stiftung | |
| auftritt, der „Ignoranz“, der „Intoleranz“, des „Desinteresses an Fak… | |
| und damit des Bild-Zeitungs-Niveaus angeklagt. Bild-Vergleiche sind stets | |
| ein Beweis für Kompetenz, Toleranz und Recherchekraft. Zusammengefasst: Aus | |
| Sicht seiner politischen Kritiker_innen ist Martenstein ein alter, weißer, | |
| heterosexueller Mann, der sich seine Machtposition als reaktionärer | |
| Minderheitendiskriminierer nicht nehmen lassen will. | |
| ## Gender-Gegner_innen | |
| Man muss allerdings als Demokrat akzeptieren, dass es eine Mehrheit von | |
| Lesern geben dürfte, die Martenstein schätzt und seinen Humor als | |
| tiefsinnige Auseinandersetzung mit der tragikomischen menschlichen Existenz | |
| versteht. Seine Lesungen sind voll. Jetzt gerade, auf dem Weg vom Wirtshaus | |
| zum Café, bleibt ein Bauarbeiter stehen und ruft: „Hallo, Herr Martenstein. | |
| Sie kennen mich nicht, aber ich kenne Sie – von Bildern.“ Martenstein | |
| blickt leicht wirr hinter seinem Schnurrbart vor. Er sieht wirklich aus wie | |
| auf seinen Bildern. Dann sagt der Mann: „Alles Gute für Sie, Herr | |
| Martenstein.“ Da kann ein normaler Leitartikler lange warten, dass ein | |
| Bauarbeiter „alles Gute für Sie“ sagt. | |
| Was macht er, dass die einen ihn richtig gut finden und die anderen nicht? | |
| Martenstein sagt, zwei gleich gute Journalisten könnten zu zwei völlig | |
| unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Das andere sei, dass er den Kopf | |
| komplett von den üblichen Meinungen leere, bevor er sich einem Thema | |
| annähere. Als wäre er gerade mit einer Sternschnuppe auf der Erde gelandet. | |
| Vor allem, wenn er den Eindruck hat, dass die Machtverhältnisse eben nicht | |
| mehr so sind, wie bestimmte Lobbygruppen tun. Die Macht von längst | |
| emanzipierten Minderheiten zeige sich dadurch, dass sie jetzt auch „eine | |
| Zielscheibe von Humor“ sein könnten. „Der alte, weiße Mann macht jetzt da… | |
| was alle Machtlosen tun: er spottet über die Mächtigen.“ Er stehe im Grunde | |
| in der Nachfolge der Schwarzen, die auf den Baumwollplantagen ihre Lieder | |
| gesungen hätten. | |
| Eine linksliberal noch unübliche Weltsicht. Daher kommen wir jetzt mal | |
| besser zum Gesinnungstest. Seine Position zum Veggieday? „Freiwillig ja, | |
| Gesetz nein“, brummt Martenstein. Aha: neue Grünenliberalität. Frauen über | |
| 50? „Toll.“ Er überlegt. „Ich möchte aber nicht, dass sich Frauen unter… | |
| jetzt diskriminiert fühlen.“ Total korrekt. Klimakatastrophe? Jetzt redet | |
| er übers Wetter. Das ist bei Linksliberalen häufig so. Würde er in ein | |
| „Café Mohrenköpfle“ gehen? „Jederzeit, wenn der Kaffee gut ist.“ Hm. | |
| Ingesamt ein unklares Bild. Ja sind Sie denn nun linksliberal, Herr | |
| Martenstein? Martenstein zögert keine Sekunde. „Ich habe keine Ahnung.“ | |
| Eine Sternschnuppen-Antwort. Für die einen ist sie das Ende der Aufklärung. | |
| Für die anderen ist sie der Anfang. Entscheiden Sie selbst. | |
| 28 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Peter Unfried | |
| ## TAGS | |
| Harald Martenstein | |
| Minderheitenrechte | |
| Queer | |
| Harald Martenstein | |
| Europa | |
| Robert Habeck | |
| Ildikó von Kürthy | |
| Pep Guardiola | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Zoff in der „Zeit“: „Lachen Sie doch auch mal“ | |
| Harald Martenstein schreibt eine humoristische Kolumne über zwei | |
| „Zeit“-Autorinnen. Er fühlte sich von ihrem Text provoziert. | |
| Kolumne Die eine Frage: Juhuu! | |
| Im Wochenrückblick ist die neue Generation der Grünen nur peinlich. Früher | |
| hatten wir Peter, Paul und Mary. Heute haben wir Terry, Ska und Jan | |
| Philipp. | |
| Kolumne Die eine Frage: Aldimilch als Ausbruch | |
| Das Aldi- und Wurst-Bekenntnis des schleswig-holsteinischen Umweltministers | |
| Habeck führt zur wichtigen Frage: Dürfen Grüne keine Ökos sein? | |
| Kolumne Die eine Frage: Die Jägerschnitzelfrau | |
| „Ich bin auf Partys immer die Betrunkenste“, sagt Ildiko von Kürthy. Aber | |
| warum verweigern Sie One-Night-Stands? Im Café mit der Bestsellerautorin. | |
| Kolumne Die eine Frage: Darf man die Bayern lieben? | |
| Wer für grandiosen Fußball brennt, kommt an Josep Guardiolas FC Bayern | |
| München nicht vorbei. Da hilft weder Nörgeln noch Mäkeln. |