| # taz.de -- Situation im Donbass: „Hass auf alles, was ukrainisch ist“ | |
| > Europäische Werte? Sind uns fremd. Aber auch als Teil Russlands können | |
| > wir uns den Donbass nicht vorstellen. Ein Gastbeitrag aus Donezk. | |
| Bild: Zu viel Blut sei vergossen worden, als dass der Donbass noch Teil der Ukr… | |
| Bei der Revolution in der Ukraine im Februar konnte ich nicht dabei sein – | |
| ich lag mit einem gebrochenen Unterschenkel im Krankenhaus. Trotzdem habe | |
| ich am ganzen Körper gezittert, weil ich begriffen habe, dass dies der | |
| Anfang vom Ende der Ukraine und der Beginn eines Bürgerkrieges sein würde. | |
| Sobald ich wieder laufen konnte, fuhr ich nach Donezk und später nach | |
| Slawjansk. | |
| Am Ende bin ich in Kramatorsk geblieben. Ich stamme aus dem Osten der | |
| Ukraine und habe Philologie studiert, seit 2003 arbeite ich als Journalist. | |
| Ich halte es für meine Pflicht, mich hier aufzuhalten und die virtuelle | |
| Realität der ukrainischen Medien, die die Weltöffentlichkeit | |
| desinformieren, zu bekämpfen. | |
| Die Handlungen der ukrainischen Armee und der Extremisten sind einen | |
| zweiten Nürnberg-Prozess wert. Sollte ich diesen Prozess je erleben, werde | |
| ich dort als Zeuge aussagen. So lange aber versuche ich, objektiv über die | |
| Ereignisse zu berichten. | |
| Ich halte meine Tätigkeit für sehr wichtig und wertvoll. Im Gegensatz zur | |
| Mehrheit der Journalisten abstrahiere ich die Ereignisse nicht. Ich führe | |
| ein Leben wie jeder andere Bewohner von Kramatorsk und bin im Epizentrum | |
| des Geschehens. | |
| Ich unterstütze in erster Linie keine Politiker – unabhängig davon, ob ihr | |
| Programm meine Ideale widerspiegelt oder nicht – sondern einfache Menschen. | |
| Die Einwohner des Donbass haben die Bildung der Volksrepublik Donezk nicht | |
| unterstützt, weil sie Teil Russlands sein möchten, sondern weil sie die | |
| sogenannten europäischen Werte als abstoßend empfinden – die Subkultur des | |
| Maidan, den Ultranationalismus der Westukrainer und die Vorbehalte | |
| gegenüber allem, was russisch ist. Wir brauchen hier kein Europa oder | |
| Amerika, das ist etwas Fremdes für uns. | |
| Die Menschen hier erleben gerade erneut die Schrecken des Zweiten | |
| Weltkriegs. Mit dem Unterschied, dass sie heute von ehemaligen Landsleuten | |
| ermordet werden. Menschen sterben auf eine zynische und brutale Art. | |
| In Slawjansk gibt es fast kein Mobilfunknetz und kein Internet mehr. Es | |
| gibt große Probleme mit der Versorgung von Wasser und Elektroenergie. | |
| Anstatt einen Dialog zu führen, hat die ukrainische Regierung sieben | |
| Millionen Menschen im Donbass, ohne mit der Wimper zu zucken, zu | |
| Terroristen erklärt und beschlossen, sie methodisch zu vernichten. Wie soll | |
| man das nennen, wenn nicht Genozid? | |
| Man kann die Aufständischen keine Terroristen nennen. Die meisten von ihnen | |
| haben erst vor wenigen Wochen Waffen bekommen. Davor hatten sie höchstens | |
| ein altes russisches SKS-Gewehr aus dem Jahr 1953 oder eine Kalaschnikow, | |
| die sich vier bis fünf Männer teilten. Zu Beginn der Gefechte haben sie | |
| sich mit Stöcken und Molotowcocktails gewehrt. | |
| Es sind größtenteils Zivilisten, die kämpfen. Die meisten sind aus | |
| Kramatorsk oder der Umgebung, nur etwa fünf Prozent sind Freiwillige aus | |
| Russland – frühere Armeeangehörige, normale Bürger, Abenteuerlustige. Und | |
| Kosaken, die auch aus der Westukraine kommen. Je mehr Zivilisten sterben, | |
| desto größer wird die Zahl der Aufständischen. | |
| Der Donbass ist traditionell eine russische Region, die eine gespaltene | |
| Beziehung zur Ukraine hat. Praktisch jeder hier hat enge Bindungen zu | |
| Russland und hat dort Verwandte und Freunde. Einige verdienen Geld dort, | |
| und zwar nicht in Moskau oder St. Petersburg, sondern im benachbarten | |
| Rostow am Don. Hier leben viele fromme russisch-orthodoxe Menschen. Es ist | |
| eine konservative Gesellschaft, die ihre Traditionen aufrechterhält. | |
| Bevor die Ukraine damit begann, die Bewohner des Donbass massenweise | |
| umzubringen, hätte der Konflikt noch verhindert werden können. Etwa durch | |
| die Ausweitung der Selbstbestimmung. Jetzt aber ist bereits zu viel Blut | |
| vergossen worden, als dass die Einwohner den Donbass eine Region in der | |
| Ukraine sehen könnten. Sie werden die Taten der ukrainischen Strafkommandos | |
| nie verzeihen. | |
| Das Beispiel der Krim verlockt dazu, die Probleme durch einen Anschluss an | |
| Russland zu lösen. Die Realität aber hat schnell gezeigt, dass diese Idee | |
| nicht weit führt. Ich glaube, dass der Donbass heute nur noch unabhängig | |
| existieren kann, gleichzeitig aber enge Beziehungen zu Russland braucht. | |
| Die Unabhängigkeit wird von praktisch allen Einwohnern unterstützt. Mit | |
| jedem Tag aber, an dem Menschen sterben, wächst das Verlangen, sich in Kiew | |
| für die grausamen Taten zu rächen. | |
| Viele Menschen im Donbass haben einen Hass auf alles entwickelt, was | |
| ukrainisch und westlich ist. Es gibt aber auch einige, die gleichgültig | |
| sind. Am kleinsten ist die Gruppe derer, die befürworten, was die Ukraine | |
| tut. | |
| Protokoll: Andrej Nesterko | |
| 5 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Jurij Kowaltschuk | |
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