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# taz.de -- Altonaer Bahnhof kommt weg: Eine erstaunliche Stille
> Der Kopfbahnhof Altona verschwindet. Mit ihm ein Ort, wo das Gerenne
> endet. Und man Dinge über die Endlichkeit erfährt.
Bild: Unten links ist Endstation: der Altonaer Bahnhof heute.
HAMBURG taz | Es ist kein großes Unglück, dass der Kopfbahnhof Altona
verschwindet, es ist vermutlich nicht einmal ein mittleres, in der
Kategorie des Unglücks eher im Rang der Bedrohung des Hüpfkäfers als des
Schmelzens der Polarkappen. Es ist bedauerlich für die Langsamen unter uns,
aber interessant vor allem als Phänomen der Beschleunigung und als eine
Absage an eine Stein gewordene Form der Festlegung.
Der Altonaer Bahnhof wird voraussichtlich 2023 durch einen Bahnhof am
Diebsteich ersetzt werden, was keinen Verlust an Schönheit bedeuten wird,
denn alles, was schön war am Altonaer Bahnhof, ist 1979 durch
Betonfertigteile ersetzt worden.
Was mit ihm verschwindet, ist ein Kopfbahnhof und damit ein Bahnhofstyp,
der laut Bahnchef Grube „nicht mehr ideal“ ist, was eine Umschreibung dafür
ist, dass er Zeit und somit Geld kostet. Denn im Kopfbahnhof endet die
Fahrt unwiderruflich. Die Züge verlieren Zeit, weil sie in den Bahnhof
hinein- und hinausfahren müssen; bei solchen, die man nicht schlicht als
Wendezug umdrehen kann, muss die Lok gewechselt werden und schließlich
können die Züge nur mit gedrosselter Geschwindigkeit einfahren. Der
Kopfbahnhof verlangsamt und das macht ihn zur Quecke im Garten der Bahn,
die ihn, wo immer es möglich ist, durch den reibungslosen Durchgangsbahnhof
ersetzt.
Der Altonaer Bahnhof ist hässlich mit seiner hingeklatschten Betonfassade,
im Inneren sind die üblichen Bäckereiketten, Imbisse und ein Elektrogigant
und das Einzige, was man in Erinnerung behält, ist der ungewöhnlich große
und gezwirbelte Schnurrbart des Bahnmitarbeiters am Service-Point.
Zu Zeiten, als man Bahnhöfe wie Kathedralen baute, trennte man sie in
Empfangshalle und Bahnhalle und die Reisenden wurden, so beschreibt es
Wolfgang Schivelbusch in seiner „Geschichte der Eisenbahnreise“,
vorbereitet auf den Wechsel vom Stadt- in den Eisenbahn-Raum. Denn ein
ungebremster „Eintritt der industriellen Apparatur Eisenbahn in die Stadt
wäre zu diesem Zeitpunkt zu schockierend“. Doch je mehr die Stadt selbst
industriellen Charakter annahm, desto weniger Grund gab es für ein
vorgeschaltetes Empfangsgebäude: Das Tempo draußen glich sich dem drinnen
an.
Heute ist es nicht mehr die industrielle Anmutung, die den Bahnhof mit
seinem Vorplatz verbindet, aber ähnlich sind sie sich doch: So wie man das
alte Bahnhofsgebäude gegen den Widerstand der Bevölkerung abgerissen hat,
so hat man es auch mit dem alten Bismarckbad getan und an seine Stelle
einen gesichtslosen Neubau gesetzt.
Nein, das Bemerkenswerte des Altonaer Bahnhofs ist nicht in seiner
Empfangshalle zu suchen, die keine ist. Es liegt weiter hinten, an den
Gleisen, vor allem am späteren Abend. Dann steigt man mit ein paar
Mitreisenden aus, vielleicht einem Flaschensammler und den Schaffnern, die
Koffer hinter sich herziehen, deren Rollen man in der Stille hören kann. Es
ist tatsächlich still an diesem Bahnhof mitten in der Stadt. Und nie sieht
man jemanden rennen, denn hier ist nichts zu erreichen, höchstens eine
S-Bahn, ein rumpeliger Regionalzug, wenn überhaupt.
Es gibt auch tagsüber einen solchen Moment, ganz hinten an den Gleisen,
wenn die Motorräder auf den Autoreisezug auffahren. Oft sieht man sie
selbst gar nicht, sondern nur einen großen Halbkreis von Menschen, Frauen,
Männern, Jungen, Alten, Wohlhabenden und weniger Wohlhabenden. Da muss
etwas passiert sein, ein Unglück, denkt man, aber es ist gar nichts
passiert, außer dass dickliche fröhliche Männer in Ledermontur Schlange
stehen, um mit ihren Motorrädern auf den Zug zu rollen. Es ist ein schöner
Moment, auch für Menschen, die Motorräder nicht mögen, und plötzlich
scheinen alle diese Leute sehr viel Zeit zu haben, vielleicht kommt sie aus
den Auspuffrohren dieser sehr dicken Motorräder, wer weiß das schon.
Man fällt aus der Zeit an diesem Ort, dessen Daseinszweck die
Beschleunigung ist. Es ist sonderbar und bezeichnend, dass uns die
Abwesenheit von auffälliger Eile den Eindruck von Langsamkeit vermittelt.
Altona ist „Ziel- und Endbahnhof“, so sagen es die Schaffner, während sich
der Zug durch die letzte Kurve schlängelt. Manchmal scheint auch gar kein
Schaffner mehr anwesend, aber sicher ist das ein Irrtum und nicht mit den
Statuten der Bahn vereinbar. Man scheint sich selbst überlassen und weiß
doch, dass man gerade in einen sicheren Hafen einläuft: wann sonst fände
man sich in einem so tröstlichen und zugleich unwahrscheinlichen Zustand.
Unwahrscheinlich und rar ist auch die Klarheit des Endes: Altona,
Endbahnhof. Wir leben in einer Zeit, in der die Verneinung der Endlichkeit
eine Frage der Selbstachtung scheint. Wer sich mit dem Ende von Kraft,
Jugend, Möglichkeiten abfindet, der hat sich aufgegeben. Und hier heißt es:
Altona, Punkt. Ohne Verlängerung, ohne Bonus-Track. Das ist wieder eine
dieser Sonderbarkeiten: wie erleichternd sie sein kann diese Endlichkeit.
4 Jul 2014
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Altonaer Bahnhof
Stadtentwicklung Hamburg
Bahn
Altona
Stadtentwicklung
DB
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