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# taz.de -- Niederlande vor dem Halbfinale: Quatsch mit Käse
> Louis van Gaal lässt defensiv spielen. Ist das Verrat an holländischen
> Fußballidealen, einfach nur pragmatisch oder Avantgarde im globalen
> Maßstab?
Bild: Unaufgeregter Pragmatiker: Bondscoach Louis van Gaal.
Natürlich musste er wieder auftauchen, der Geist des totaal voetbal.
Während großer Turniere ist das in den Niederlanden ein wiederkehrender
Reflex. Meist beklagt man seinen Verlust – selbst wenn die orange
gewandeten Protagonisten sich wie zuletzt als erstes Team fürs Achtelfinale
qualifizieren und auf dem Weg dorthin dem amtierenden Weltmeister eine
traumatisierende Klatsche verpassen. Ästhetik ist nun mal ein Anspruch an
sich selbst, so wie der Gewinn von Titeln in Deutschland.
Diesmal war der Geist schon da, bevor die WM begann: Dass Louis van Gaal
der Elftal wenige Wochen vor der WM ein 5-3-2- System verpasste, was
umgehend eine Welle pikierten Unverständnisses hervorrief.
Auch nach dem erfolgreichen Start ins Turnier gab es Kritik von Experten
wie Co Adriaanse. Ex-Oranjespieler Ronald De Boer sagte, 5-3-2 täte den
Augen weh. Sein Zwillingsbruder, Ajax-Coach Frank, räumte immerhin ein, es
sei ein „schreckliches Scheißsystem, wenn man dagegen spielt“, und stellte
sogleich einen entsprechenden Trend für den gewöhnlichen Ligafußball in
Aussicht.
Soweit alles wie gehabt, könnte man sagen. Der Verlauf der Debatte ähnelt
dem von 2010, als die Kritik am Stil Bert van Maarwijks auch erst am Ende
der K.-o.- Runde verstummte. Auffällig aber ist, dass sich auch
internationale Beobachter einmischen und dabei bemerkenswerte Maßstäbe ans
niederländische Team anlegen. Der Däne Morten Olsen etwa, dem als
ehemaliger Spieler und Trainer selbst Totaal-voetbal-Kredibilität anhaftet,
äußerte vergleichsweise kühl: „Die Niederlande versuchten immer, den Ball
festzuhalten, das ist jetzt anders.“
## „Verrat an der eigenen Essenz“
Ganz andere Kategorien bemühte dagegen Jorge Valdano, der argentinische
Weltmeister von 1986: Oranje sei durch sein Image zu Angriffsfußball
verpflichtet. Den aktuellen Stil nannte Valdano „Verrat an der eigenen
Essenz“, denn schließlich sei es wichtiger, eine Schule zu kreieren als den
WM-Titel zu gewinnen. Seine Aussagen belegen vor allem eins: Der
niederländische Offensivstil dient bis heute als romantische
Projektionsfläche. Aus der dessen Bewunderer ableiten, die Niederländer
hätten ihrem Stil treu zu bleiben.
Natürlich liegt der Gedanke an César Luis Menotti nah und an seine
Prototypen vom schönen, spielerischen „linken“ Fußball und seinem „rech…
Counterpart, kalt, berechnend, ergebnisfixiert. An diese Befunde des
WM-Trainers Argentiniens von 1978 erinnerte neulich Volkskrant-Autor Martin
Sommer, als er über den Fußball als Spiegel gesellschaftlicher Zustände
sinnierte. Gibt es also einen Zusammenhang zwischen der Abkehr vom voetbal
totaal und dem Verlust einer anderen „holländischen Schule“, der von
„Toleranz und Internationalismus“?
Natürlich sind das ein paar schöne Bilder: die wuscheligen
Siebziger-Jahre-Matten des doppelten Johan (Cruyff und Neeskens), die
ersten Coffeeshops, Amsterdam als Sehnsuchtsort, Ausgangspunkt des
Hippietrail und Hausbesetzermekka. Und heute? Coffeeshops werden
geschlossen, das kraken (Hausbesetzen) ist illegal, die Niederländer wählen
Marktradikale mit Law-and-Order-Ambitionen oder gleich die
Rechtspopulisten. Kein Wunder, dass die Elftal die Humorlosigkeit der
inspirationsarmen Austeritätsgesellschaft ausdrückt?
„Lächerlich“, findet Henk Spaan, Redakteur der literarischen
Fußballzeitschrift Hard Gras, solche Parallelen. „Sie werden immer im
Nachhinein gezogen. Cruyff ist demnach ein Produkt der Provogesellschaft,
während er in Wirklichkeit ein konservativer Mann war und ist. Ich finde
gerade, dass Louis van Gaal der innovativste Coach des Turniers ist, der
jeden Gegner mit einer anderen Variante des 5-3-2 bedenkt. Und aus
taktischen Erwägungen den Torwart auszuwechseln, gab es noch nie im
Fußball. Was um Himmels Willen hat das mit Wilders zu tun?“
## Entwicklung zum Resultatfußball
Tatsächlich vernachlässigt diese Perspektive mehrere Aspekte. Die
internationale Entwicklung geht seit langem Richtung Resultatfußball. Auch
andere vermeintliche Offensivteams haben dem inzwischen Tribut gezollt. Die
Flut an 1:0-Spielen hat dem African Cup of Nations nicht unbedingt
gutgetan. In Brasilien wird seit Langem debattiert, ob der schöne Stil dem
Ergebnis geopfert werden darf.
Zum anderen sind da die internen Entwicklungen: Ajax Amsterdam, als
Offensivexponent beinah noch legendärer als das niederländische Team,
bekommt langsam Erfahrung darin, mit unaufregendem Kick die Ehrendivision
zu gewinnen. Und dem aktuellen Vizemeister, Feyenoord Rotterdam, war ein
5-3-2-System in der vorigen Saison der Schlüssel zu wichtigen
Auswärtssiegen. Mit fünf Spielern – vier davon defensiv – im WM- Kader gi…
Feyenoord auch als „Hoflieferant Oranjes“.
Louis van Gaal selbst sieht alles ganz unaufgeregt. Seine Ausrichtung sei
nicht defensiv, sondern reaktiv, sagte er schon in der Vorrunde. Für ihn
ist die Taktik die reine Pragmatik: „Wir haben nicht die Spieler, um etwas
anderes zu spielen.“
9 Jul 2014
## AUTOREN
Tobias Müller
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