| # taz.de -- Die Wahrheit: Heiteres Beruferaten | |
| > Die Zeiten von Lembkes „Welches Schweinderl hätten's denn gern?“ sind | |
| > passé. Doch auch aktuell ist die Frage nach der beruflichen Sozialisation | |
| > wichtig. | |
| Bild: Dudelt nachts krank vor sich hin, das Hirn. | |
| Damals, als die Fotos noch mit einem Zackenrand auf die Welt kamen, lief im | |
| Fernsehen die legendäre Sendung „Was bin ich?“, bei der ein Team von | |
| „Ratefüchsen“ fragend herausfinden musste, was der Gast für einen Beruf | |
| ausübte. Der Clou: Es durften nur Fragen gestellt werden, die mit ja oder | |
| nein beantwortet werden konnten. Der Doppelclou: Der Gast musste, um den | |
| Ratemäusen zu helfen, eine „typische Handbewegung“ machen. Ja, die Sendung | |
| war extrem unglamourös. | |
| Aber man konnte dann in der Glotze Leute sehen, die mit bedeutungsvollen | |
| Gesichtsausdruck einen imaginären Schalter umlegten, und die Spannung stieg | |
| kurz darauf enorm. Das war die Zeit, als es noch keine | |
| Systemadministratoren, Controller und Key-Account-Manager gab. Deren | |
| langweilige Handbewegungen sieht jeder sowieso den ganzen Tag. Heute wäre | |
| die Hilfestellung für die Ratehamster: „Sagen Sie einen typischen Satz!“ | |
| Aber mit „Leg mir mal die Dateien rüber“ oder „Ich will die Zahlen vom | |
| letzten Quartal“ sind wir dann auch noch nicht viel weiter. | |
| „Heitere Berufsberatung“ fände ich eine noch lustigere Sendung. Der | |
| Kandidat wird an den Stuhl gekettet und muss bohrende Fragen beantworten, | |
| zum Beispiel, warum er unbedingt Literaturwissenschaft studieren möchte, | |
| obwohl er gar nicht gerne liest. Die ehrliche Antwort wäre wohl sehr oft: | |
| „Weil mir nichts Besseres einfällt.“ (Der naheliegende Kommentar: „Etwas | |
| Besseres als den Tod findest du überall!“, steht nur noch den Belesensten | |
| der Kommilitonen zur Verfügung.) Sonderpunkte von mir gäbe es für: „Weil | |
| ich gerne mal einen Satz mit ’Wie Gadamer schon sagte‘ beginnen möchte. Und | |
| das geht nur an der Uni. ’Wie Gadamer schon sagte: Ich hätte gern ein | |
| Viertelpfund Wurst. Und räumen sie bitte mal die Kontingenz aus der | |
| Fleischtheke.‘ Wie klingt denn das?“ | |
| Gelegentlich muss ich auch selbst Berufe raten, weil es im Geschäftsleben | |
| aus der Mode gekommen ist, sich mit seinen Funktionen vorzustellen. Wie | |
| Gadamer schon sagte, ist ja eh bald alles wurscht. Ist der Mann in der | |
| Hipsterhose in der schicken Berliner Firma Bürochef oder | |
| Werkstattpraktikant? Oder eine Art männliches Mädchen für alles, falls es | |
| das gibt? Auf meine ungeschickte Nachfrage reagiert er cool: „Ich bin | |
| Entropie-Bekämpfer.“ | |
| Das, finde ich, ist ein schöner Beruf. Ich glaube, er hat eine große | |
| Zukunft. Wenn ich es mir leisten könnte, hätte ich ständig einen | |
| Entropie-Bekämpfer an meiner Seite. Gibt es irgendwo ein Reservat für | |
| aussterbende Berufe? Mit einzelnen Gehegen? Bei „Technisch überholt“ wartet | |
| das Fräulein vom Amt, als das meine Oma noch gearbeitet hat, im Gehege „Das | |
| Internet ist schuld“ sitzen Lexikonredakteure, Buchverleger, | |
| Plattenmanager, Journalisten und die halbe Kulturindustrie. | |
| Andere schöne Berufe sterben niemals aus, zum Beispiel Grüßaugust, | |
| Pausenclown und Frühstücksdirektor. Für alle braucht man dieselbe | |
| Qualifikation, nämlich keine, und kann es trotzdem weit bringen. Eigentlich | |
| ideal für Literaturwissenschaftler. Hat Gadamer bestimmt auch schon so | |
| gesehen. | |
| 8 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Susanne Fischer | |
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