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# taz.de -- Public Viewing an der Copacabana: Ostsee, Alter. Usedom!
> An der Copacabana betrachteten tausende Brasilianer bei Regen und Donner
> ihr großes Verderben. Es war so trist wie Usedom.
Bild: Copacabana? Ostsee? Auch egal.
RIO DE JANEIRO taz | Die Deutschen kamen und das Wetter war scheiße und
alles wirkte wie Ostsee und so kam es auch. Brasilianerinnen und
Brasilianer hielten sich, im Sand sitzend, zitternd vor Kälte in den Armen
und es war nicht die Angst vor dem Spielbeginn, es waren die grauen,
schweren Wolken über dem Strand, es war der drohende Regen, der den
feinkörnigen Sandstrand hier an der Copacabana zu schlammigem, schwerem
Grund zu machen drohte. Eine Heimat wie Usedom, wie eine Insel, deren Enden
abbrechen, die immer kleiner wird, und das Spiel hatte noch gar nicht
begonnen.
Wenn man Brasiliens Ausscheiden überhaupt irgendwo sehen wollte, dann muss
es wohl hier gewesen sein, in einem billigen und durchsichtigen Regencape
an der Copacabana. Die Stimmung finster, es sind tausende da, und es ist
bereits dunkel, obwohl es gleich erst zu dämmern beginnt und es ist
wirklich war: Kurz vor dem Anpfiff, kurz nach dem die Deutschen ihre
Nationalhymne so zaghaft singen und die Brasilianer die ihre so stolz
intonieren, grollt es also donnernd vom Himmel in einem großen Wumms und
hier stehen sie nun, Brasilianer, Deutsche und alle möglichen anderen, und
sie jubeln dem Donner zu, dem Gewitter, es fehlt nur der Blitz und dann,
sofort schon, ertönt der Anpfiff.
Da wusste noch niemand, was gleich passieren würde, aber es würde so
kommen, sicher.
Ein paar Deutsche sind auch da, vielleicht vierzig da vorne im Pulk, unter
ihnen der Bernd. Sie stehen da vorn in der Menge und singen Lieder, denn
sie sind ja das Wetter gewöhnt und schon beginnt das Spiel und schon war
dies die elfte Spielminute und wen kümmert nun schon der Regen, es steht
eins zu null.
Minute 15, gerade tröpfelt es nur, und einige ziehen sich nun ihre Kapuzen
vom Kopf, huch, es sind ja noch mehr Deutsche da, und dann Minute 23: Die
großen, fast schwarzen Wolken stehen nun über dem Fan-Fest, der Regen
tröpfelt, die schwarzen Vögel dort oben sind keine Geier, sondern, wie auch
immer sie heißen, es gibt sie hier stets. Sie fliegen gewöhnlich bei
Sonnenschein hier an der Copacabana über den Strand, zu dutzenden im Kreise
auf und nieder, und lauern auf Nahrung und Müll, den sie fressen können.
Klose trifft. Deutschland, Tor.
Deutschland, Tor.
Brasilianer weinen.
Jetzt gehen schon manche nach Hause.
Tor. Tor.
Sind wohl doch Geier. Jetzt gehen viele.
Bernd, der eine Deutsche, hat schon aufgehört zu jubeln. Er findet, das
geht so nicht. Gewinnen, okay, aber Brasilien derartig entthronen? Neben
ihm aber stehen dutzende Deutsche und singen „Einer geht noch, einer geht
noch rein“, so als wäre das hier Mallorca und Hochsommer.
Bernd singt nicht mit, er findet, das gehört sich jetzt nicht mehr.
Es steht bereits 5:0.
Jetzt gehen noch mehr Brasilianer nach Hause. Es beginnt, in Strömen zu
regnen.
Einer macht noch ein Erinnerungsfoto mit deutschen Fans, dann geht er auch.
Ein anderer sagt: „Ich gehe nicht, ich glaube.“
Die, die noch da sind, klatschen ab jetzt für deutsche Tore. Es ist
Halbzeit und an der Küste entlang, da, wo die Wellen auf den regenfeuchten
Sand schlagen, fliegt ein Polizeihubschrauber auf und ab, leuchtet mit
Suchlicht den Strand ab.
Beim 6:0 sind fast keine Brasilianer mehr da.
Es ist das 7:0 als die Stimmung kippt. Jene Brasilianer, die noch da
geblieben sind, klatschen nun für Deutschland.
Lukas, Zahnspange im Mund, jubelt von ihnen am lautesten, er ist 16 und
stolzer Brasilianer, sagt er, und auf seiner Spielekonsole spielt er immer
Deutschland, sagt er, aber heute war er für Brasilien, sagt er, aber jetzt
jubelt er für Deutschland, sagt er, weil das anständig sei und nötig und
jetzt muss Deutschland Argentinien schlagen, sagt er, dann fällt das 7:1,
aber alle wissen, dass dies ein nasser Tag war, von Beginn an ein grau
verhangener Abend und nun bricht die Nacht ein, und was sie nicht wissen
ist, dass Usedom eine deutsch-polnische Insel ist, die immer kleiner wird,
und an den Enden abbricht und dass es schlimm ist an der Ostsee, so grau
und nass und beklemmend und so war es hier heute auch.
9 Jul 2014
## AUTOREN
Martin Kaul
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