# taz.de -- Schriftsteller über die israelische Linke: „Es ist Zeit, kämpfe… | |
> Der Nahostkonflikt „hat ein jüdisches Ghetto geschaffen“, sagt der Autor | |
> Nir Baram. Ein Gespräch über Clowns und Feiglinge der israelischen Linken | |
> – und Hoffnung. | |
Bild: Bombenalarm in Tel Aviv: Israelis suchen Schutz in einem Einkaufszentrum | |
taz: Herr Bram, wieder eskaliert der Nahost-Konflikt, wieder fliegen | |
Raketen, fliegen Kampfflugzeuge, sterben Menschen. Sie sind Schriftsteller, | |
verstehen sich als linker Israeli - wie hoffnungslos sind sie, was die Lage | |
ihres Landes angeht? | |
Nir Baram: Als israelischer Bürger, der in Israel lebt und hier auch | |
bleiben will, muss ich daran glauben, dass es Hoffnung auf einen Wechsel | |
gibt. Aber dieser Wechsel wird nicht aus dem Nichts kommen. Es ist ein | |
Puzzlespiel, an dem wir mitwirken müssen. | |
Aber wer setzt das erste Teilchen? | |
Das müssen wir machen, die Veränderung muss von unten kommen. Wir - auch | |
die Linke - haben die vollständige Trennung von Israelis und Palästinensern | |
akzeptiert. Keiner kann sich vorstellen, mit den Palästinensern jemals | |
zusammen zu leben, auf dieselbe Schule zu gehen, das Land mit ihnen zu | |
teilen. Immer wurde uns eingeredet, es gebe einen unüberwindbaren Gegensatz | |
zwischen uns und ihnen. Daraus ist ein Rassismus erwachsen, den wir nie | |
bekämpft haben. | |
Im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt wird hier immer wieder von der | |
Zweistaatenlösung geredet. Glauben sie noch an die? | |
Irgendwann kann man darüber reden, aber jetzt sind wir erst einmal selbst | |
dran. Wir dürfen die Trennung von Juden und Palästinensern nicht länger | |
akzeptieren, nicht die physische durch die Trennmauer, und auch nicht die | |
in unseren Köpfen. Politiker, die staatlichen Institutionen, sie alle haben | |
diese angeblich unüberwindbare Trennung in unseren Köpfen verankert. Wir | |
und sie können nicht miteinander. Das will ich ändern. | |
Wozu hat diese Trennung geführt? | |
Sie hat ein jüdisches Ghetto geschaffen. Darin sitzen wir und glauben an | |
unsere Rechtschaffenheit, unsere moralische Überlegenheit, daran, dass | |
alles gut und richtig ist, was wir machen. Wir müssen das hinterfragen. | |
Sehen sie Politiker, die diesen Wandel befördern könnten? | |
Nein. Die Politiker der Linken sind eine Kombination aus Clowns und | |
Feiglingen. Wenn Yitzchak Herzog zum Beispiel ... | |
... der Vorsitzende der linken Arbeitspartei... | |
...im Fernsehen redet, dann hört es sich so an: Das jüdische Volk muss | |
dieses tun, das jüdische Volk muss jenes tun. Gibt es Spitzenpolitiker in | |
normalen Ländern, die über ihre Landsleute reden und dabei beständig 20 | |
Prozent von ihnen ignorieren? Das ist vergiftetes Denken - auch in der | |
Linken. | |
Welche Rolle spielt Premierminister Benjamin Netanjahu? | |
Er ist Teil des Problems, seine Regierung befördert den Rassismus. Sein | |
Regime steht auf zwei ideologischen Säulen: Einmal auf dem Holocaust, der | |
immer präsent gehalten wird. Er ist immer da. Und dann tut Netanjahu alles | |
dafür, unsere Stärke zu reklamieren. Das ist eine gefährliche Kombination - | |
weil er die Israelis so überzeugt, dass sie andauernd Angst haben, sich vor | |
dem nächsten Auschwitz fürchten müssen. Und dass es der einzige Weg sei, | |
das wir das niemals mehr erleiden müssen, stark zu sein, zu kämpfen. Und | |
die Leute glauben daran. Noch. Denn ich habe das Gefühl, dass sie | |
skeptischer werden. | |
In den vergangenen Jahren sind rechte Parteien stärker geworden. | |
Die rechten Partei sind so stark, weil sie mit ihrer Sprache und Ideologie | |
die Juden zusammenschweißen. Juden gegen die Palästinenser, Juden gegen | |
Nicht-Juden, Juden gegen den Rest der Welt. Wir gegen alle. Diese Sprache | |
verstehen sie, denn das wird uns eingetrichtert seit der Grundschule, in | |
der Armee, in Zeitungen. | |
Und die Linke? | |
Redet weiter von der Zwei-Staaten-Lösung und vom Frieden. Aber das ist | |
nicht die Antwort. Wir müssen die Leute überzeugen, dass man in dieser | |
vergifteten Atmosphäre nicht leben kann. | |
Sie wollen die Werte der Gesellschaft verändern, um den Konflikt zu lösen. | |
Das klingt nach einem langen Weg. Glauben sie, dass viele Israelis so | |
denken? | |
Wenn ich das, was unsere Armee in den letzten Tagen in Gaza angerichtet | |
hat, mit dem vergleiche, was bei der letzten Operation im Jahr 2012 war, | |
dann sehe ich zwei wesentliche Veränderungen. Ich sehe diesmal keine | |
Euphorie darüber, dass die Armee Ziele in Gaza bombardiert. Und ich sehe | |
keine Glorifizierung der Soldaten. Die israelische Gesellschaft wird müde. | |
Und sie ist enttäuscht. Ihr wird vor jeder Militäroperation versprochen, | |
danach werde alles besser sein als vorher. Aber das ist nicht so, es kehrt | |
keine Ruhe ein. Auf jede Operation folgt die nächste. Das ist der | |
Teufelskreis, den wir durchbrechen müssen. | |
Vor wenigen Tagen wurde ein palästinensischer Junge ermordet - von | |
jüdischen Israelis, wohl aus Rache für den Mord an drei jungen jüdischen | |
Israelis. | |
Ich glaube, dass gerade der Mord an Mohammed Abu Chedair die Öffentlichkeit | |
schockiert hat. Weil viele hier, auch jemand wie Justizministerin Tzipi | |
Livni, dachten, Juden könnten so etwas gar nicht tun. Dann ist es doch | |
passiert - und hat die Atmosphäre zumindest der liberalen Israelis | |
verändert. Gerade unter jungen Menschen meiner Generation erlebe ich das. | |
Wir, die wir doch die Guten sind, die moralisch Überlegenen! Es ist an der | |
Zeit, kämpferischer zu werden. | |
Als ich vor gut zehn Jahren eine Zeit in Israel lebte, hatte die Deutsche | |
Botschaft in Tel Aviv sehr viel mit Israelis zu tun, die aufgrund deutscher | |
Vorfahren deutsche Pässe beantragten. Es war die Zeit der zweiten Intifada, | |
die Leute wollten sicher gehen, ihr Land eines Tages verlassen zu können | |
und anderswo in Frieden zu leben. Haben Israelis heute wieder Grund, ihr | |
Land zu verlassen? | |
Ich höre von vielen, dass sie darüber nachdenken. Weil sie meinen, Israel | |
lasse sich nicht verändern. Wenn sie 20 Jahre nach vorne denken, sehen sie | |
keine positive Zukunft für Israel. Ich und meine Freunde bleiben. Es ist | |
unsere Sprache, unser Land, wir sind nicht bereit, den Kampf aufzugeben. | |
Sie leben seit zehn Jahren in Tel Aviv, in der Nähe des Rabin-Platzes. | |
Dort, wo am 4. November 1995 Premierminister Yitzchak Rabin ermordet wurde. | |
Damit endete damals eine große Verheißung auf friedliche Zeiten. Wie haben | |
Sie das erlebt? | |
Ich war 19. Es war ein riesiger Schlag für mich, für uns. Wir hatten | |
Hoffnung, Israel und den Nahen Osten ändern zu können. Ein optimistisches | |
Gefühl. Wir haben es verloren, durch Rabins Tod und als die | |
Friedensverhandlungen in Camp David 2000 scheiterten. Die Linke wurde | |
unsicher und ängstlich. Und was jetzt passiert, der Mord an Mohammed Abu | |
Chedair und die rassistischen Krawalle überall, diese ganze Atmosphäre ist | |
die Folge. Weil wir den Rassismus nie entschieden bekämpft haben. Jetzt | |
müssen wir handeln. Wir dürfen den Mord nicht vergessen und müssen die | |
Öffentlichkeit fragen: Ist das das Leben, das Du willst? In diesem Ghetto | |
zu leben, ist das das Beste? | |
Die Hamas schickt Raketen, manche fliegen bis Tel Aviv. Haben Sie heute | |
Angst dort? | |
Nein. Vor 20 Minuten heulten die Sirenen, wir gingen runter ins Treppenhaus | |
und standen dort mit den Nachbarn, dann war es vorbei. Hamas wird Israel | |
immer wieder anreifen, Israel wird sich verteidigen. Aber was hier | |
passiert, kann man nicht vergleichen mit dem, was in Gaza passiert, wo | |
schon Dutzende gestorben sind. Wir sind die Stärkeren, wir sollten die | |
Besatzung beenden. Ich habe keine Angst, ich bin einfach nur sehr, sehr | |
traurig. | |
14 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Felix Zimmermann | |
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