| # taz.de -- Die Wahrheit: Den eigenen Interessen folgen | |
| > Mitten in der Nacht zur nächsten Insel übersetzen, weil die Kollegen | |
| > keine Lust haben zu ermitteln – da hilft nur, ein altes skandinavisches | |
| > Adventslied. | |
| In der Nacht zum 22. kam der Funkspruch „Wir haben hier etwas Bewegliches, | |
| das eigenen Interessen folgt.“ „Geh doch mal rüber und sieh nach“, trugen | |
| meine Kollegen mir auf. Sie fanden, dass ich viel Bewegung brauchte, daher | |
| wurde ich dauernd überall hingeschickt. Dass ich dabei nie etwas Effektives | |
| auszurichten vermochte, nahm man in Kauf, weil alle anderen zu faul zum | |
| Laufen waren. | |
| Also ging ich „rüber“, was bedeutete, mitten in der Nacht von einer Insel | |
| zur nächsten überzusetzen. Um meine gegen eine solche Zumutung | |
| revoltierenden Nerven zu beruhigen, sang ich das alte skandinavische | |
| Adventslied „Schalte aus mein Licht, schalte aus mein Licht, aber das alte | |
| Gernsgrölp-Forsthaulen nicht.“ Niemand wusste, was „das alte | |
| Gernsgrölp-Forsthaulen“ sein sollte, doch das hinderte mich wenig am | |
| Singen. | |
| Als ich auf der anderen Insel ankam, wurde soeben das Nachtlicht | |
| ausgeschaltet. Das erschwerte mir das Auffinden des Ortes, an dem ich | |
| „nachsehen“ sollte. Es musste ein Gebäude sein, in dem wahrscheinlich eine | |
| wissenschaftliche Einrichtung oder so etwas untergebracht war. Meine | |
| Berufstätigkeit hatte, wie ich vermutete, auf irgendeine Weise mit | |
| Forschung zu tun, allerdings war mir nie etwas Genaueres darüber mitgeteilt | |
| worden. Tatsächlich stieß ich früher oder später auf ein Gebäude. Es war | |
| sogar das richtige, denn wie ich nach meinem Eintreten sah, wurde ich von | |
| Menschen in grauen Kitteln erwartet. Ich hatte das Gefühl, sie zu kennen. | |
| Vielleicht war ich früher schon einmal bei ihnen gewesen. | |
| „Na, wo ist es denn, das Bewegliche, das eigenen Interessen folgt?“, fragte | |
| ich mit spöttischem Unterton. Peinlich betreten antwortete man mir, es sei | |
| augenblicklich nicht auffindbar, werde aber intensiv gesucht. In der | |
| Zwischenzeit wollte ich so viele Informationen wie möglich sammeln. „Können | |
| Sie mir etwas über die ’eigenen Interessen‘ sagen, die dieses Bewegliche | |
| verfolgt?“ | |
| Man konnte es nicht. Stattdessen wurden andere Interessen aufgezählt, von | |
| denen man irgendwo gehört oder gelesen hatte, unter anderem „Fleisch | |
| essen“, „Holz hacken“ und „Unaussprechliches tun“. Doch das brachte m… | |
| keinen Schritt weiter. Als hätte ich nichts Besseres, Wichtigeres und | |
| Sinnvolleres zu tun gehabt! Viel lieber wäre ich meinen eigenen Interessen | |
| nachgegangen. Mürrisch fuhr ich fort, Informationen zu sammeln: Welcherart | |
| war das Gebäude, in dem ich mich befand, überhaupt? Die Männer und Frauen | |
| in ihren grauen Kitteln wirkten unsicher. | |
| „Schwer zu sagen“, meinten sie, „wir zeigen Ihnen mal den Plan.“ Ich ab… | |
| war es leid und erwiderte: „Zeigen Sie mir lieber das Bett.“ Wenn man mich | |
| schon in tiefster Nacht herüberschickte, wollte ich auch etwas davon haben. | |
| Ich kroch unter die Bettdecke und begann, mich in den Schlaf zu singen: | |
| „Schalte aus mein Licht, schalte aus mein Licht, aber das alte | |
| Gernsgrölp-Forsthaulen nicht.“ Doch bei der zweiten Strophe wurde ich des | |
| Umstands inne, dass ich nicht allein im Bett war. Da war etwas Bewegliches, | |
| und es folgte eigenen Interessen. | |
| 18 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Eugen Egner | |
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