| # taz.de -- Bedrohte Biodiversität: Taxonomen werden verdrängt | |
| > Die Systematik der Arten werde hierzulande vernachlässigt, beklagen | |
| > Biologen. Und das, obwohl wir erst sehr wenig über die Biodiversität | |
| > wissen. | |
| Bild: Suche nach neuen Wirkstoffen: Grünalgen im Labor. | |
| BERLIN taz | Wenn der Ökologe Rudolf Amann an die Biologie hierzulande | |
| denkt, dann sieht er vor allem eines: immer größer werdende Wissenslücken. | |
| „Wir sind dabei, zunehmend unsere Artenkenntnis zu verlieren.“ Das muss | |
| sich ändern, meint der Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für | |
| Meeresmikrobiologie in Bremen – und legt als Leiter einer Arbeitsgruppe der | |
| [1][Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina] ein | |
| [2][Positionspapier vor, das die Taxonomie wieder in die ersten Reihen der | |
| Forschung katapultieren will.] | |
| Von dort sei die beschreibende Biologie nämlich trotz ihrer Bedeutung für | |
| die Ökologie und die Gesundheit in den letzten Jahren verdrängt worden, | |
| erklärt Amann – mit verheerenden Folgen für das Wissen über Pflanzen und | |
| Tiere: „Jedes Jahr fällt der Prozentsatz an Biologen, die in der | |
| Teildisziplin ihre Doktorwürde erlangen, weiter ab.“ Es gäbe derzeit nur | |
| mehr einige tausend Systematiker in Deutschland. Das sei einerseits der | |
| Genomforschung und der Neurobiologie zuzuschreiben, die in den letzten | |
| Jahrzehnten mit dem Großteil an Mitteln und Aufmerksamkeit bedacht worden | |
| wären. | |
| Seine Kollegin in der Arbeitsgruppe, Susanne Renner, sieht das genauso: | |
| Zwar habe man große technische Fortschritte in der Genomik und Proteomik | |
| gemacht. So könne man mit der heutigen computergesteuerten | |
| Sequenziertechnik weitaus schneller als früher etwa die DNA, | |
| Stoffwechselprodukte, RNA-Moleküle und Proteine von Organismen | |
| aufschlüsseln. | |
| „Vor 20 Jahren hat man für die Sequenzierung der menschlichen DNA noch über | |
| 10 Jahre gebraucht“, erläutert die Mikrobiologin und Direktorin des | |
| Botanischen Gartens in München der taz. Weit über 100 Wissenschaftler haben | |
| an dem Projekt gearbeitet, Millionen seien dafür geflossen. Heute brauche | |
| man für das Ganze nicht mehr als einen Tag. Doch „ohne die Taxonomen“, sagt | |
| Renner, „bleiben das nur ein Haufen Buchstaben.“ Es brauche diese Experten | |
| und deren mühevoll erarbeitetes Wissen, um das entschlüsselte und | |
| sequenzierte Material zu klassifizieren, ihm einen Namen zuzuordnen und | |
| Stammbäume aufzustellen. | |
| Vieles liege aber auch an dem Image der Taxonomie, räumt Amann ein, der | |
| selber in der Teildisziplin promovierte: „Seien wir doch mal ehrlich, die | |
| Taxonomie gilt als verstaubt und langweilig.“ Um den Nachwuchs wieder für | |
| die Systematik zu begeistern und dem Verfall der Artenkenntnis Einhalt zu | |
| gebieten, müssen daher speziell auf die Taxonomie ausgerichtete | |
| Graduiertenschulen in Deutschland finanziert werden, fordern die | |
| Wissenschaftler um Amann. | |
| Dort soll eine integrative Taxonomie im Zentrum der Lehre stehen, sprich | |
| eine, die die Brücke zwischen der Genomanalyse und der Taxonomie schlägt. | |
| Vor allem müssen auch wieder taxonomische Forschungsprojekte auf nationaler | |
| Ebene finanziert werden. Zum Beispiel solche, die die Erforschung von | |
| Bakterien sowie den kleinen Algen und Pilzen vorantreiben – in diesem | |
| Bereich herrsche nämlich tatsächlich noch großes Unwissen, so Amann. Denn | |
| „während die höher entwickelten Pflanzen und Tiere in Mitteleuropa zu 99 | |
| Prozent weitgehend erforscht sind, sind nur 11.000 im Bereich dieser | |
| sogenannten niederen Organismen derzeit bekannt“. | |
| Zwar gäbe es schon nationale taxonomische Projekte wie die „German Barcode | |
| of Life“-Initiative, doch diese arbeiten nur daran, „für die häufigsten | |
| 20.000 Tier- und Pflanzenarten Deutschlands genetische Fingerabdrücke zur | |
| Artidentifikation in Form von Barcodes zu erfassen“, heißt es in dem Papier | |
| der Leopoldina. Es gilt, diese Projekte auszuweiten und die kleinen | |
| Organismen mit einzubeziehen. | |
| ## Die Finanzierung fehlt | |
| Konkret müssten Gelder von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zur | |
| Verfügung gestellt werden, die an verschiedenen Standorten wie etwa dem | |
| Wattenmeer, an der Küste, im Buchenwald und in den Alpen die Bestimmung und | |
| Charakterisierung von dort anzutreffenden Lebenswelten finanzieren. „Das | |
| wird sich rechnen – wir werden garantiert tausend neue Arten beschreiben | |
| können“, meint Amann. | |
| Was uns dem Ziel, die Artenvielfalt in ihrer Gesamtheit zu beschreiben, | |
| sicherlich einen Schritt näher bringt, sei auch ein Projekt, das ein Mehr | |
| an Wissen für andere Bereiche bringt, setzt der Ökologe hinzu. Man denke | |
| nur an den Klimawandel: „Eine vollständigere Erfassung aller Arten | |
| Mitteleuropas unter Einbeziehung von Tieren, Pflanzen, Protisten, | |
| Kleinalgen, Pilzen und Bakterien würde in der Tat wichtige Hintergrunddaten | |
| – eine sogenannte base line – für die Erforschung der Auswirkungen des | |
| Klimawandels auf die Biodiversität liefern.“ | |
| Viel steht auf dem Spiel, pflichtet Johannes Vogel, Botaniker und Direktor | |
| des Naturkunde Museum in Berlin, Amann bei: „Es gilt, die Menschen wieder | |
| für die Artenvielfalt zu begeistern.“ | |
| 18 Jul 2014 | |
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| ## AUTOREN | |
| Laura Flierl | |
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