# taz.de -- Flugzeugabschuss über der Ukraine: Der letzte Flug von MH17 | |
> Am Donnerstag um 16.20 Uhr Ortszeit verschwand die Passagiermaschine vom | |
> Radar. Wenig später meldeten die Separatisten einen Flugzeugabschuss. | |
Bild: Gedenkveranstaltung in Petaling Jaya, Malaysia. | |
BERLIN taz | Malaysia Airlines Flug MH17 von Amsterdam-Schiphol nach Kuala | |
Lumpur hob am Donnerstag mit leichter Verspätung ab, um 12.14 Uhr statt 12 | |
Uhr. An Bord: 298 Menschen, davon 283 Passagiere. Die im Internet | |
gespeicherten Radaraufzeichnungen zeigen eine Flugroute nach Osten, quer | |
durch Deutschland, Polen und schließlich südöstlich in den Luftraum der | |
Ukraine. Die letzte registrierte Position, geloggt um 15.20 Uhr (16.20 | |
Ortszeit), ist Breitengrad 48,0887 und Längengrad 38,6359, in 33.000 Fuß | |
(10.000 Meter) Höhe – genau über der Horkogostraße in der ostukrainischen | |
Kleinstadt Pelahiiwka östlich von Donezk. Noch wenige Minuten, und das | |
Flugzeug hätte russischen Luftraum erreicht. | |
Stattdessen ging zwei Stunden später die Eilmeldung um die Welt: | |
Malaysisches Flugzeug über der Ostukraine abgestürzt. | |
Etwa zehn Minuten nach dem letzten Signal des Flugzeugs hatten den | |
ostukrainischen Separatisten nahestehende Internetmedien den Abschuss einer | |
Antonow-Transportmaschine des Typs AN-26 des ukrainischen Militärs | |
gemeldet. „Gerade haben wir ein AN-26-Flugzeug abgeschossen“, berichtete | |
Igor Strelkow, der „Verteidigungsminister“ der Separatisten, auf einem | |
russischen sozialen Netzwerk. „Die Trümmer liegen hinter dem Kohleschacht | |
Progress. Wir haben ja gewarnt: Fliegt nicht durch unseren Himmel.“ | |
Es gibt außerdem ein Handyvideo, das den Absturz von MH17 zeigen soll und | |
mittlerweile von den ukrainischen Behörden verbreitet worden ist. Mehrere | |
Männer telefonieren in einem Dorf. „Ich habe gerade gesehen, wie ein | |
Flugzeug abgeschossen wurde. Wir können sehen, wie Teile herunterfallen. Es | |
ist hinter dem Progress-Schacht“, sagt einer. „Ich hörte einen Knall und | |
wusste nicht, was es ist“, antwortet ein anderer. | |
Auf dem Video ist dichter schwarzer Rauch zu sehen, der hinter den Häusern | |
aufsteigt. „Wow, was für ein Knall“, geht das Gespräch weiter. „Wow, gut | |
getroffen.“ „Gut, dass sie alle diese Raketen da hingebracht haben. Ich | |
glaube, es wurde von einer Rakete getroffen.“ | |
## Die Maschine wird gesucht | |
Zeigt dieses Video den Absturz von MH17? Das bleibt unklar. Die ukrainische | |
Regierung hat darüber hinaus drei angebliche abgehörte Telefonate | |
veröffentlicht. Im ersten um 16.40 Uhr erstattet Igor Besler, Kommandeur | |
einer Separatisteneinheit, dem Oberst Wasili Geranin vom russischen | |
Militärgeheimdienst Bericht. „Wir haben gerade ein Flugzeug abgeschossen“, | |
sagt er und nennt den Ort. „Die Piloten, wo sind die Piloten?“, fragt | |
Geranin. Man sei dabei, die Maschine zu suchen, so Besler. | |
Etwa 40 Minuten später telefoniert ein Major der Separatisten am Absturzort | |
mit einem unbekannten Gesprächspartner: „Es war hundertprozentig ein | |
Passagierflugzeug“, sagt er. „Viele Leute?“, wird er gefragt. „Was für… | |
Flugzeug?“ Der Major antwortet: „Habe ich noch nicht sichergestellt. Ich | |
überblicke nur den Bereich, wo die ersten Leichen heruntergefallen sind. Es | |
gibt die Reste von Sitzen und Leichen.“ „Ist von den Waffen irgendetwas | |
übrig?“, wird er gefragt. „Absolut nichts. Zivile Sachen, medizinisches | |
Zeug, Handtücher, Klopapier.“ | |
Ein drittes Gespräch: „Im Fernsehen sagen sie, es war ein AN26-Transporter, | |
aber auf dem Flugzeug steht ’Malaysia Airlines‘. Was macht das auf | |
ukrainischem Gebiet?“ „Das heißt, dass sie Spione transportierten. Sie | |
sollten nicht fliegen. Es ist Krieg.“ | |
Wenn all diese Mitschnitte authentisch sind, was eine unabhängige | |
Untersuchung klären müsste, würde dies darauf hindeuten, dass die | |
Separatisten das Flugzeug abschossen – aus Versehen, weil sie es für eine | |
Militärmaschine hielten. | |
Die ukrainischen Behörden sagen, das Flugzeug sei von einer | |
Boden-Luft-Rakete der Art „Buk“ getroffen worden. Über diese Raketen der | |
Typen SA-11 und SA-17, die bis zu 22.000 Meter hoch steigen, verfügen | |
sowohl die russischen als auch die ukrainischen Streitkräfte. Nach | |
russischen sowie eigenen Angaben erbeuteten die Separatisten in der | |
Ostukraine am 29. Juni eine Buk-Raketenstellung der ukrainischen | |
Streitkräfte. Fotos davon zirkulierten am Donnerstagmittag im Internet. | |
Nach dem Absturz behaupteten die Separatisten, sie hätten keine | |
Buk-Raketen. Die ukrainischen Behörden wiederum verbreiteten am Freitag | |
weitere angebliche Telefonate der Separatisten: „Wir haben schon eine Buk | |
verfickt, wir werden’s abschießen“, sagt einer. | |
## Mindestens drei Fahrzeuge beteiligt | |
Unüberlegt kann man eine solche Rakete nicht abschießen. „Für den Einsatz | |
des Flugabwehrraketensystems Buk braucht es mindestens drei Fahrzeuge“, | |
schreibt der Schweizer Militärexperte Jürg Vollmer: „Ein Suchradar, ein | |
Kommandofahrzeug sowie ein Transportfahrzeug als mobile Raketenstart-Rampe | |
für die Lenkwaffen und für den Feuerleit-Radar. Der Feuerleit-Radar | |
’bestrahlt‘ das Ziel und die Rakete folgt den vom Flugzeug reflektierten | |
Mikrowellen. Die Raketen des BUK-Systems tragen einen 70 Kilo schweren | |
Fragmentations-Gefechtskopf, der wenige Meter vor dem Flugzeug von einem | |
Radar-Näherungszünder ausgelöst wird. Das Flugzeug wird von den Fragmenten | |
durchlöchert und stürzt ab.“ | |
Die britische Rüstungsexperten Tom Cheshire und Justin Bronk führen aus: | |
„Wenn die Crew Flug MH017 in rund 85 Kilometer Entfernung ortete, hätte sie | |
fünf bis zehn Minuten Zeit gehabt, das Flugzeug zu erfassen, zu feuern und | |
dann den Standort zu wechseln. Das Buk benutzt Radar, nicht Infrarot. Es | |
wäre schwierig, ein Kampfflugzeug für ein Passagierflugzeug zu halten. Aber | |
militärische Transportflugzeuge sehen so ähnlich aus. Oder die Crew zielte | |
auf ein anderes Flugzeug in der Gegend und geriet aus Versehen an MH017.“ | |
Zur Klärung muss laut Experten als Erstes ein Buk-Radarsignal geortet | |
werden. Russische Stellen berichteten am Freitag, sie hätten am Donnerstag | |
ukrainische Buk-Signale erfasst – unklar ist, wo. | |
## Flugschreiber gesichert | |
Dann müssen die Flugschreiber und Fluginstrumente ausgewertet werden. Ein | |
Mitarbeiter Strelkows erklärte am Freitag, seine Truppen hätten acht der | |
zwölf „Aufzeichungsinstrumente“ der Maschine gesichert – darunter | |
vermutlich die zwei Flugschreiber. Diese würden jetzt nach Moskau | |
geschickt. | |
Wenn das stimmt – was Russland bestreitet –, wäre es ein Problem. Unter | |
internationalen Luftfahrtrichtlinien führt bei einem Flugzeugabsturz die | |
Regierung des Landes, in der sich der Absturz ereignete, die | |
Untersuchungen. Also in diesem Fall die Regierung der Ukraine. Anspruch auf | |
Mitwirkung haben auch Malaysia als Eigentümer des Flugzeuges, die USA als | |
Heimat des Herstellers Boeing und die Niederlande als Abflugland. Nicht | |
aber Russland. | |
Die Untersuchung am Boden gestaltet sich schwierig. Rettungsmannschaften | |
unter Bewachung bewaffneter Separatisten drangen am Donnerstagabend an die | |
Absturzstelle vor, ebenso Anwohner der Gegend, die Wertgegenstände | |
mitnahmen. Ob internationale Ermittler Zugang erhalten, müsse noch | |
besprochen werden, hieß es von Separatistenseite. Die OSZE nahm am Freitag | |
mit den Separatisten Gespräche darüber auf, ob Beobachter über einen | |
„Korridor“ zum Flugzeugwrack kommen könnten, und schickte ein erstes | |
30-köpfiges Team per Hubschrauber zur Absturzstelle. | |
Am Boden liegen jetzt Wrack- und Leichenteile über 15 Kilometer verstreut. | |
Die beiden Enden der Maschine liegen 9 Kilometer voneinander entfernt. | |
Mitarbeit: khd | |
18 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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