| # taz.de -- Kolumne Zumutung: Wer rettet Maja? | |
| > Küsschen, Mama! Satt und sauber ist das Kind der neuen Laubennachbarn. | |
| > Aber sonst ist alles schrecklich. | |
| Bild: Die Laube: sieht irgendwie gemütlich aus. Kann aber wirklich brutal sein. | |
| Bedenkliches spielt sich jenseits meines Gartenzauns ab. Wo jahrelang die | |
| Laube von einem alten, stillen Mann genutzt wurde, hat neuerdings eine | |
| Berliner Familie ihr Lager aufgeschlagen. Die Herrschaften treffen | |
| regelmäßig am Freitagabend ein und werfen den Grill an sowie das Radio, | |
| sodass wir Nachbarn alle was davon haben. Und dann triezen sie Maja. | |
| Maja heißt die drei Jahre alte Tochter meiner neuen Nachbarn. Ich weiß das, | |
| weil in einem fort nach ihr geblökt wird. „Komm her, Maja!“ – „Maja, | |
| nicht!“ – „Maja, sei jetzt lieb!“ Für Freunde zeitgemäßer Pädagogik… | |
| emotionale Knochenmühle, durch die diese kleine Berlinerin gedreht wird, | |
| eine Prüfung. | |
| Erlaubt sich Maja zum Beispiel, vor dem Schlafengehen ein dem Alter | |
| entsprechendes Maulen anzustimmen, droht ihre Mama, sie augenblicklich, und | |
| zwar im Nachthemd, zur nahen S-Bahn-Station abzuführen. „Da kannst du dann | |
| allein nach Hause fahren, in dein Bett.“ Hat Maja keinen Appetit auf | |
| Nackensteak, muss sie ihren Saftbecher zurückgeben. „Wer nichts isst, muss | |
| auch nicht trinken.“ Hat sie sich wehgetan, wird sie aufgefordert, sofort | |
| das störende Heulen einzustellen. Hört Maja nicht auf, wird sie in die | |
| Laube verbracht, aus der ihr leises Schluchzen dringt. | |
| Es ist ein Elend, dessen stumme Zeugin ich hinter der Hecke bin. | |
| Letztes Wochenende nun hat es sich diese renitente Göre einfallen lassen, | |
| einzukacken. Eine schwere Provokation. Mit kippender Stimme blökte die | |
| Maja-Mutter: „Bist du noch ein Baby, ja?“ | |
| Hernach rief sie den Kindsvater herbei und forderte ihn auf, jetzt aber mal | |
| gemeinsam mit ihr „die Maja auszulachen“. Hahaha! Und Maja bekam den | |
| Befehl, sich jetzt mal „richtig zu schämen“. Schluchzen. | |
| Das Schauspiel hinter meinem Gartenzaun war derart grausig, dass ich mich | |
| fragte, welches Jugendamt eigentlich zuständig wäre – das Berliner oder das | |
| Brandenburger? Ich wünschte mir sehr, vom Schicksal nicht diese Raubeine | |
| als Nachbarn zugewürfelt bekommen zu haben. Sondern statt ihrer so ein paar | |
| richtig überkorrekte Erklärbär-Eltern aus dem innerstädtisch gelegenen | |
| In-Bezirk. | |
| Eigentlich bin ich eine Freundin des beherzten generationenübergreifenden | |
| Miteinanders. Kinder, finde ich, brauchen auch mal eine Ansage. Im späteren | |
| Leben kann es hilfreich sein, zu wissen, dass nicht alles in drei | |
| Durchgängen diskutiert und anschließend abgestimmt wird. Aber das hier, | |
| dieses Maja-Grauen, war weit mehr als nur ab und zu ein klarer Hinweis. | |
| Ich sann darüber nach, wie unterschiedlich pädagogische Standards | |
| ausgeprägt sein können. So ein komplett durchgefördertes Bionade-Kind samt | |
| semiaggressiven Eltern geht mir gegen den Strich. Dann doch lieber hart, | |
| aber herzlich. Nun fragte ich mich aber, was genau „hart“ meint, speziell | |
| im Fall Maja. Kein Jugendamt würde hier eingreifen. Dieses Kind war satt | |
| und sauber, seine Eltern verbrachten die Wochenenden mit ihr im Grünen. | |
| Zudem: Maja liebt ihre Eltern. „Küsschen, Mama!“, höre ich sie hinter der | |
| Hecke sagen. „Küsschen, Maja!“ sagt die. Ach, Scheiße, denke ich. | |
| 22 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Anja Maier | |
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