# taz.de -- Die Wahrheit: In Plüschhandschellen | |
> Einbrüche hinterlassen bei Betroffenen tiefe Spuren, viele sind zutiefst | |
> verstört. Ein Leidtragender berichtet. | |
Immer neue Meldungen über eine stetig wachsende Zahl von Einbrüchen | |
verunsichern die deutsche Bevölkerung. Viele Opfer dieser Verbrechen werden | |
nicht nur materiell schwer geschädigt, noch schlimmer sind oft die | |
psychischen Folgen. Viele Betroffene müssen sich in eine Therapie begeben, | |
um das Trauma zu überwinden. Einer von ihnen ist Tim K., der auch fast ein | |
Jahr nach der Tat noch immer unter Angstzuständen und Depressionen leidet. | |
Mit Tränen in den Augen berichtet er von dem schrecklichen Geschehen: | |
„Es war Sommer und ich wollte mir ein bisschen Stoff besorgen, um | |
ordentlich zu feiern, aber mir fehlte leider das Geld. Mein Kumpel Sven gab | |
mir da den Tipp, dass man in der Urlaubszeit in der Vorstadt günstig einen | |
kleinen Bruch machen kann, weil die ganzen Leute in den Ferien sind. Ich | |
fahr ja nie weg im Sommer, dazu fehlt mir die Kohle. Das Geld brauch ich | |
halt für meine Gehirnferien. Ich fahre also raus an den Stadtrand, dorthin, | |
wo die Reichen wohnen und ich sonst nie bin. | |
Ganz früh bin ich da, weil ich mir denke: Guckst du mal, wo Leute vor der | |
Garage ihre Urlaubssachen ins Auto packen. Und bald sehe ich wirklich ein | |
junges Pärchen, wie sie ihren Kombi vollstopfen und sogar noch so eine von | |
diesen Kisten, die wie ein Sarg aussehen, aufs Dach hieven. Ich schau mir | |
die Sache so lange an, bis ich sicher bin, dass sie auch wirklich | |
wegfahren. Ich hätte aber schon misstrauisch werden sollen. Die hatten da | |
eine Hecke ums Grundstück, akkurat auf Kante getrimmt. Was soll das? Wer | |
was Eckiges will, kann sich doch gleich eine Mauer hinsetzen lassen! Eine | |
Alarmanlage hatten sie jedenfalls nicht. | |
Nachts bin ich wiedergekommen, mit ein bisschen Werkzeug in der Jacke, und | |
mit Sven, der draußen die Augen offenhielt. Über die Hecke kam ich | |
problemlos, ein automatisches Licht ging an, als ich über den Rasen | |
flitzte, aber die Terrassentür war kein Problem für mich. Ich sah mich | |
drinnen um und bekam gleich einen Schock. Im Hausflur standen da ein | |
Dutzend Schuhe exakt in Reih und Glied, wie eine Armee von Fußstapfen | |
bereit zum Abmarsch. Und daneben als Hausschuhe noch so lustige Tierfüße. | |
Mir wurde schon übel. | |
Ich warf einen Blick in die Küche: Poster mit exotischen Gewürzen an der | |
Wand, eine Kaffeemaschine so groß wie ein Schiffsmotor, aber kein | |
vernünftiges Bier im Kühlschrank, dafür Bionaden in allen Sorten. Und alles | |
so widerlich sauber, als würden die ihre Wände und Möbel einmal täglich | |
ablecken. | |
Mein Kumpel Sven arbeitet als Paketbote, der hatte mir schon öfter erzählt, | |
dass so Leute wohnen, die sich für glücklich halten. Ich wollte es nicht | |
glauben. Im Wohnzimmer bin ich dann durch die Schränke und Regale gegangen. | |
Es war grausam. Musik: Grönemeyer, Unheilig und der Soundtrack von | |
„Amélie“. Bücher: Frank Schätzing, „Shades of Grey“ und Thilo Sarraz… | |
Gesellschaftsspiele, Dutzende Gesellschaftsspiele! Wozu braucht man so | |
etwas? Haben die keinen Bock mehr, miteinander zu schlafen und spielen | |
stattdessen „Die Siedler von Catan“? Ich hab dann einen Gummibaum | |
umgeschmissen, einfach, weil die Aggression raus musste. | |
Das Schlafzimmer hätte ich mir wirklich sparen sollen. Aber ich dachte, sie | |
könnten ihre Wertsachen vielleicht unter der Matratze versteckt haben. Da | |
kam nun aber alles zusammen: Ein Teddy im Ehebett! Im Nachtschränkchen „Der | |
perfekte Liebhaber“ und „Die perfekte Liebhaberin“, natürlich nur das | |
zweite angelesen. Dann ein Album mit erotischen Fotografien, wie man sie | |
zum Hochzeitstag im Fotostudio machen lässt. Aber das Schlimmste: | |
Handschellen, Handschellen mit rosa Plüschüberzug. Ich musste mich | |
hinsetzen und losheulen. Das war einfach zu viel. | |
Ich dachte: Mein Leben ist ja schon übel, aber wie traurig ist denn erst | |
das hier? Ich hab dann selbst die Polizei gerufen. Die waren nett und haben | |
mich aufs Revier mitgenommen. So etwas komme hier in der Gegend öfter vor, | |
meinten sie. Ich bin mit Bewährung davongekommen, denn ich habe dem Richter | |
hoch und heilig versprochen, so etwas nie wieder zu machen. Diesen Anblick | |
könnte ich nicht noch einmal ertragen. Ich hab sogar mit den Drogen | |
aufgehört, damit ich gar nicht erst wieder in Versuchung komme. Nur die | |
Erinnerungen, diese schrecklichen Erinnerungen, die werde ich wohl nie | |
wieder los.“ | |
23 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Michael Bittner | |
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