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# taz.de -- Die Wahrheit: Das große Hitlern
> Auch ohne schlichte Kolumnisten wie Harald Martenstein ist klar: Wir
> können gar nicht ohne Nazivergleiche. Das wusste ja schon Hitler.
Bild: Hitler geht immer: hochfrisierter Vergleich im russischen Regen.
Harald Martenstein ist gewiss der führende Kolumnist Deutschlands. Wie
keinem anderen gelingt es ihm, die Deutschen zum Schmunzeln, aber auch zum
Nachdenken zu bringen. Sein Stil ist auf so kunstvolle Weise schlicht,
seine Ironie nie zweideutig – man kann nur den Hut ziehen. Doch kommt es in
sehr seltenen Fällen auch einmal vor, dass Harald Martenstein sich irrt.
Dann ist konstruktive kollegiale Kritik gerechtfertigt.
Vor einer Weile veröffentlichte er eine Kolumne „Über Nazivergleiche“. Er
kritisierte in seinen Ausführungen, in der deutschen Öffentlichkeit gebe es
eine Inflation von Nazivergleichen. Und er schrieb: „Immer wenn ich
Nazivergleiche lese, denke ich: Da sind jemandem die Argumente ausgegangen.
Da war jemand intellektuell ein bisschen überfordert, deshalb musste er
Adolf Hitler zu Hilfe rufen.“ Schließlich erwog Martenstein, ob nicht ein
gesetzliches Verbot von Nazivergleichen angebracht sein könnte.
Hier aber ist Martenstein eindeutig über das Ziel hinausgeschossen. Wenn
unser Land eines nicht gebrauchen kann, dann doch wohl neue Denk- und
Sprechverbote! Leben wir nicht ohnehin schon in einer Gesellschaft, die von
der Political Correctness geknebelt wird? Harald Martenstein scheint nicht
zu bemerken, in welch finsterer Tradition er mit seiner leichtfertigen
Forderung steht. Wer war denn der Erste, der sich Hitlervergleiche verbat,
weil er sich für unvergleichlich hielt?
Natürlich: Hitler! Wenn auf dem Obersalzberg zum Beispiel mal einem
Besucher eine Bemerkung rausrutschte, in der er Hitler mit Mussolini
verglich, da wurde der Führer aber böse! „Dieser italienische Fettsack!“,
pflegte er dann zu brüllen. „Diese militärische Niete, die nicht mal
alleine mit Albanien und Griechenland fertigwird! Ich verbitte mir jeden
Vergleich mit diesem Operettenfaschisten!“
Hitler war aber durchaus kein genereller Gegner von Hitlervergleichen. Er
hielt nur sich selbst für den Einzigen, der dazu berechtigt sei, solche
Vergleiche anzustellen. So verglich er sich selbst gerne mal, zum Beispiel
mit Friedrich dem Großen. Es schmerzt, aber in dieser Hinsicht muss man
leider Harald Martenstein mit Adolf Hitler vergleichen.
## Die Bundesrepublik als Nazivergleich
Denn auch Martenstein hält offenbar nur sich selbst für berechtigt, sich
über das allgemeine Verbot von Nazivergleichen hinwegzusetzen. Schrieb er
doch jüngst auch Folgendes: „Übrigens: Hitler hat damals mit genau den
gleichen Argumenten, die jetzt Putin benutzt, die Tschechoslowakei
zerschlagen und das Sudetenland besetzt.“ Da schmunzelten die Deutschen.
Sprechen wir es doch mal offen aus: Ein schöner, saftiger Nazivergleich im
passenden Moment erfrischt und belebt jedes Gespräch. Einen Freund, der
sich eine hässliche Brille mit runden Gläsern zugelegt hat, darf man ruhig
mal mit Heinrich Himmler vergleichen. Einen Kumpel, der langsam fett wird
und sich energisch für Tierschutz einsetzt, natürlich auch mit Hermann
Göring. Und wer davon erzählt, dass er das Fallschirmspringen erlernen
will, darf sich nicht wundern über die Erwiderung: „Willst du nach England
und den Weltfrieden retten?“
Ein anderer Aspekt ist aber noch bedeutsamer: Die Bundesrepublik
Deutschland ist ohne Nazivergleich nicht denkbar, sie beruht auf einem
Nazivergleich. Nach dem Krieg grübelte der schon damals nicht mehr ganz
junge Konrad Adenauer, wie es nun mit Deutschland weitergehen sollte.
Millionen von Nazis saßen im Land herum, viele von ihnen hätte man
eigentlich vor Gericht stellen müssen. Gleichzeitig aber fehlten auch
Millionen Arbeitskräfte, um das Land irgendwie wieder flottzumachen.
Was tun? Man konnte ja Deutschland nicht einfach abschaffen! Da sagte sich
Adenauer: „Man schüttet kein dreckiges Wasser aus, wenn man kein reines
hat!“ Und statt die Nazis abzuurteilen, beendete man den Prozess gegen sie
mit einem gütlichen Vergleich: Ihr bessert euch ein bisschen und arbeitet
fleißig mit am Wirtschaftswunder – und wir vergessen im Gegenzug mal die
Schweinereien, die ihr unterm Führer angestellt habt. Und die Nazis, sie
lebten von nun an unauffällig, bis sie schließlich sanft entschliefen. Die
Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland – wir haben sie dem
größten aller denkbaren Nazivergleiche zu danken.
Wenn Adolf Hitler heute als Untoter noch immer durch unsere Vergleiche
geistert, dann liegt das daran, dass die Deutschen mit ihm keinen Vergleich
mehr schließen konnten. So konnte er nie zur Ruhe kommen. Damit wird sich
auch Harald Martenstein abfinden müssen. Die Deutschen können’s ja auch.
27 May 2014
## AUTOREN
Michael Bittner
## TAGS
Hitler-Vergleich
Harald Martenstein
Harald Martenstein
Schwerpunkt AfD
Kriminalität
Chemnitz
Tempelhofer Feld
Bier
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