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# taz.de -- Gaza während der Luftangriffe: Die schlimmste Nacht
> In der Nacht auf Dienstag donnern Kampfjets über Gaza, Drohnen sirren und
> Leuchtstoffkugeln weisen den Raketen den Weg. Unser Autor ist mittendrin.
Bild: Leuchtstoffkugeln machen den nächtlichen Himmel zum helllichten Tag.
GAZA taz | Eine Spielzeugpistole schwimmt in einer Blutpfütze. In einer
anderen Blutlache liegt ein paar Sandalen, das einem der Kinder gehörte,
die bis vor wenigen Minuten noch lebten und in dem kleinen Park des
Shati-Flüchtlingslagers vielleicht gerade Fangen spielten oder Fußball.
Durch die Wasserrinne auf der Straße rinnt Blut. Die Bäume haben keine
Blätter mehr. Sie liegen auf der Straße, auf den Dächern der zerstörten
Autos, in den Blutlachen.
Das Blut, das die grünen Blätter rot färbt, ist von acht toten Kindern und
von drei Erwachsenen, die am Montagnachmittag gegen 17.00 Uhr Ortszeit bei
einer starken Explosion am Eingang des Parks gestorben sind. Mindestens
weitere 40 Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Es ist ein Ort des
Grauens, an Häuserwänden kleben Überreste menschlichen Gewebes.
Ein Vater rennt mit einer Plastiktüte in der Hand zu dem Rettungswagen, in
dem seine tote Tochter liegt. Der Vater zeigt dem Sanitäter Gehirnmasse
seiner Tochter, indem er den Boden der Plastiktüte behutsam anhebt. „Nimm
das mit für die Bestattung“, sagt er zum Sanitäter.
Ein anderer Vater trägt seinen toten Sohn zu der Ladefläche eines
Pritschenwagens. Er wird von Männern begleitet, die „Allahu Akbar“, „Gott
ist groß“, rufen und dabei Handyfotos von der verstümmelten Leiche
aufnehmen. Anwohner versuchen eine schreiende Frau, die ihre Schwester
verloren hat, zu beruhigen. Ein Mann liegt bewusstlos auf der Straße. Ein
Arzt versucht, ihn wiederzubeleben. Szenen eines ganz normalen Nachmittags
in Gaza-Stadt. Die Palästinenser machen einen israelischen Luftangriff für
die Explosion am Park verantwortlich, ein Sprecher des israelischen
Militärs eine fehlgeleitete Rakete der Hamas.
## Panorama eines Infernos
Wenige Stunden später: eine ganz normale Nacht in Gaza Stadt. Kampfjets
donnern mit gewaltigem Lärm im Tiefflug über Gaza Stadt, ihr Schall findet
seinen Widerhall zwischen den Wänden der Hochhäuser, die noch stehen. Etwa
alle 30 Sekunden feuern sie eine Rakete ab. Das omnipräsente Sirren der
Kampfdrohnen, die über unserem Viertel, die über jedem Viertel des
Gazastreifens kreisen, klingt wie das Motorenbrummen, das aus den
Fernsehlautsprechern einer Formel Eins Übertragung schallt.
Es ist dies wirklich eine imponierende Darbietung militärischer
Zerstörungskraft, deren Dauerbeschuss zu Luft, zu Land und zu See die
Bevölkerung des Gazastreifens in dieser Nacht kollektiv in Todesangst
versetzt. Eine wahrlich außergewöhnliche Aufbietung des Waffenarsenals der
israelischen Streitkräfte, einer der modernsten Streitkräfte der Welt.
Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich im Wohnhaus einer muslimischen
Familie im Zentrum von Gaza Stadt. In den Nachbarwohnungen unseres Hauses
schreien ununterbrochen kleine Babys, weinen verängstigte Kinder in den
Armen ihrer Mütter, fluchen die Erwachsenen.
Die Bombardierungen beginnen um 23.30 Uhr Ortszeit mit heftigen
Fliegerangriffen auf das Flüchtlingslager Bureji im Zentrum des
Gazastreifens. Von 01.00 Uhr an stehen wir im Zentrum von Gaza-Stadt unter
Feuer. Im Zentrum einer kleinen Stadt, die mit ihren Hunderttausenden
Einwohnern zu den am dichtesten besiedelten Gebieten der Welt gehört. Meine
Freunde und ich verbarrikadierten uns im Wohnzimmer und hören, wie die
Einschläge der Raketen immer näher in unsere Richtung kommen.
Nach ein paar Stunden gehe ich auf den Balkon im zweiten Stock. Vor meinen
Augen erstreckt sich eine Trümmerlandschaft, breitet sich das Panorama
eines Infernos aus. Unzählige militärische Leuchtstoffkugeln machen den
nächtlichen Himmel über Gaza zum helllichten Tag und weisen den Raketen der
Kampfjets ihren Weg zum Ziel.
## Symphonie einer Großstadt im Krieg
Das Licht der langsam gen Boden gleitenden Leuchtstoffkugeln durchdringt
die pilzformartigen Staubwolken, die nach jedem Raketeneinschlag aus
Richtung des jeweils zerstörten Hauses in Höhe schießen. Die Geräusche des
Krieges und Schreie der Angst vermischen sich mit dem Heulen der Sirenen
der Rettungswagen zu der Symphonie einer Großstadt im Krieg.
Morgens um fünf, als das Dauerbombardement noch anhält, wird auch noch das
Krähen des Hahnes in unserm Hof mit einstimmen. Hoffentlich als finaler
Schlussakt. Noch mehr Raketeneinschläge verkraften wir nicht. Die Kinder,
und auch mancher Erwachsene, zittern schon die ganze Nacht am ganzen Leib.
Maher Issa, meinem Gastgeber, läuft der Angstschweiß den Rücken hinunter.
Sein Hemd ist klatschnass.
Jetzt schlägt wieder eine Rakete nur wenige Hunderte Meter von uns entfernt
ein. Sie trifft die Al Amin Moschee, die ich gestern noch fotografiert habe
und die direkt neben dem Haus des palästinensischen Präsidenten Mahmoud
Abbas (Fatah) liegt. „Ich gehe in der Al Amin Moschee jeden Tag beten“,
sagt Maher. „Jetzt muss ich auf die Al Furqan Moschee ausweichen, die
jedoch deutlich weiter von unserem Haus entfernt liegt. Wenn die Al Furqan
Moschee nicht auch heute Nacht zerbombt wurde.“
## Noch nie so verzweifelt
Später erfährt Maher durch den Telefonanruf eines Freundes, das in dieser
Nacht auch das Haus von Ismael Hanija, des palästinensischen
Ministerpräsidenten und Hamas-Führers, zerstört wurde sowie das
Finanzministerium. „Das hat Israel gemacht, damit die Hamas ihren
Angestellten in der Verwaltung und in den Sicherheitsdiensten kein Gehalt
mehr zahlen kann.“ In einer Liveschalte des Fernsehsenders Al Jazeera sind
viele Kinder und Frauen mit starken Verbrennungen und schweren Verletzungen
zu sehen, die von Rettungskräften oder Nachbarn ins Al Shifa Krankenhaus in
Gaza Stadt gebracht wurden. Frauen und Kinder, die in dieser Nacht nur
friedlich schlafen wollten.
Inzwischen ist uns klar, dass dies doch keine ganz normale Nacht ist in
Gaza Stadt. „Es sind die heftigsten Angriffe seit Beginn des Krieges vor
drei Wochen und sogar die intensivste Bombardierung während aller der drei
Gaza-Kriege seit Dezember 2008“, sagt Maher. So verzweifelt habe ich ihn
noch nie erlebt.
In dieser Nacht bangen alle in Gaza um ihr Leben, alle sorgen sich um ihre
Verwandten und Freunde. „Hayak Allah!“, rufen die Mitglieder meiner
Gastfamilie jedes Mal aus, wenn eine Rakete in den Boden kracht: „Gott
stehe uns bei!“ Und nach jedem Bombenanschlag erzählen mir die Jungs, ob
dies nun das Geschoss eines Kampfjets oder eines Kriegsmarineschiffes war.
Am Morgen, der inzwischen schon heute ist, werden die Überlebenden ihre
Toten zählen. Allerdings nur, sofern dieses Höllenfeuer irgendwann einmal
aufhört. Denn während solcher Angriffe kann niemand aus dem Haus gehen,
ohne sein Leben zu riskieren. Er wäre sofort im Visier der Drohnen, welche
die Umgebung nach möglichen Zielen auskundschaften und die genauen
Zielkoordinaten in Sekundenschnelle an die Bomberpiloten übermitteln.
„Sobald die Angriffe beendet sind, können wir in unserer Nachbarschaft nach
Verletzten in den zerstörten Häusern suchen“, sage ich zu Maher. Er schaut
mich ernst an: „Sie werden niemals aufhören uns anzugreifen. Sie wollen uns
bekämpfen, bis wir alle tot oder vertrieben sind.“
29 Jul 2014
## AUTOREN
Martin Lejeune
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