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# taz.de -- Filmstart von „Jersey Boys“: Punktuelles Outrieren
> Clint Eastwood hat das Musical „Jersey Boys“ verfilmt: eine Hommage an
> Frankie Valli und die Four Seasons. Bonus: Christopher Walken darf
> mitshaken.
Bild: John Lloyd Young als Frankie Valli, Vincent Piazza als Tommy DeVito, Mich…
Was ist das bloß für eine Stimme? Einmal hoch und glockenhell, dann wieder
rau wie Schmirgelpapier, nahe am Krächzen und Kippen. Den örtlichen
Mafiapaten rührt sie zu Tränen, den lokalen Radio-DJ treibt sie in seligen
Wahnsinn: „Sind das vier Schwarze? Ist das eine Frau mit drei Männern?“
Nein – es ist Frankie Valli mit den anderen drei harmonisch einfallenden
Mitgliedern der Four Seasons, die in den 1960er Jahren von Newark, New
Jersey, aus die Hitparaden erobern.
Die lebenslängliche Verankerung des später gefeierten Quartetts in seiner
italoamerikanisch geprägten, proletarischen Nachbarschaft spiegelt sich im
Titel „Jersey Boys“ wider. So hieß schon das preisgekrönte Bühnenmusical,
auf dem nun Clint Eastwoods jüngster Kinofilm basiert. Und dieses Milieu –
samt Christopher Walken als Mobster Gyp DeCarlo – bildet auch das Rückgrat
der Erzählung, an dem Evergreens wie „Sherry“, „Big Girls Don’t Cry“…
Like A Man“ oder „Can’t Take My Eyes Off You“ befestigt sind. „Jersey…
ist schließlich ein sogenanntes Jukebox-Musical, das (wie „Mamma Mia!“)
immer schon von einem etablierten (pop-)musikalischen Repertoire ausgeht.
Die Erzählung und die Figuren sind dementsprechend schematisch: beruflicher
Aufstieg und privater Fall; Freundschaft, Verrat und Versöhnung;
unerschütterliche Integrität unseres Helden Frankie; mit den Jahren und
Moden wechselnde Haarteil- und Kostüm-Extravaganzen. Regisseur Eastwood
setzt auf eine gelassen-gediegene Inszenierung, die an vergangene Zeiten
und Hollywood-Studiokino gemahnt. Aber weil sich einzelne Figuren in
„Jersey Boys“ immer wieder auch direkt in die Kamera, ans Publikum wenden,
entsteht ohnehin ein Distanzierungseffekt und somit weder ein klassisches
Musikanten-Biopic noch ein großes Sozialdrama.
## Roter Teppich für den Sound
Gerade in Hinblick auf die Musiknummern funktioniert dieses Erzählkonzept
gut, das äußerlich der Chronologie der Ereignisse folgt, von den Anfängen
des singenden Friseurlehrlings Francesco Stephen Castelluccio in den frühen
1950er Jahren bis zur Aufnahme der Four Seasons in die
Rock-and-Roll-Hall-of-Fame anno 1990: Eastwood ist bekennender
Musikliebhaber und hat sich bereits mit dem Charlie-Parker-Biopic „Bird“
1988 bewährt; er rollt den Songs einen roten Teppich aus. Sie werden
hochkonzentriert und zugleich furios dargeboten.
Snappy, auf den Punkt, aber dabei nicht glattpoliert in Harmoniegesang und
synchroner Beinarbeit. Die handwerkliche Perfektion ist erst die
Voraussetzung, das Alberne, Kindische, Antiquierte genauso wie das
Überbordende, Wilde, Uneindeutige, Queere zu inkludieren, mit dem die
grundsätzlich jugendfrei ausgerichtete Musik der Four Seasons immer wieder
überrascht.
Die Darsteller seiner Four Seasons hat Eastwood – mit Ausnahme von Vincent
Piazza, der Tommy DeVito spielt – aus der Bühnenfassung übernommen: Erich
Bergen als Songschreiber Bob Gaudio, Michael Lomenda als Nick Massi und
natürlich John Lloyd Young als Frankie Valli. Neben der erwähnten Brillanz
als Showmen haben diese vier überhaupt keine Scheu vor punktuellem
schauspielerischem Outrieren: Wie Letzteres bruchlos mit outrage
zusammenhängt, zeigt Lomenda in einer großartig hölzernen
Empörungsperformance.
Und am Ende gibt es noch eine veritable Musical-Hommage, alles tanzt in den
Studiostraßen – und Broadwayveteran Christopher Walken darf aus der
Mafiapatenrolle fallen und auch ein bisschen mitshaken.
3 Aug 2014
## AUTOREN
Isabella Reicher
## TAGS
Kino
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Film
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