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# taz.de -- Leonardo DiCaprio als J. Edgar Hoover: Härte an der Heimatfront
> Problematische Politik, unglückliche Sexualität: Clint Eastwood erzählt
> das Leben des FBI-Chefs und Kommunistenfressers J. Edgar Hoover.
Bild: J. Edgar Hoover, Begründer des modernen FBI, getrieben von seiner Angst …
Die Anarchistin Emma Goldman war eine politische Figur, wie sie in den USA
heute kaum noch denkbar ist. Sie war tief in den europäischen progressiven
Debatten verwurzelt und engagierte sich während des Ersten Weltkriegs gegen
die Einberufungen zur Armee. 1919 wurde sie des Landes verwiesen, auf
Grundlage eines "Anarchist Exclusion Act", der eindeutig auch
fremdenfeindliche Züge hatte.
Zu den Verfechtern einer harten Linie gegenüber "Radikalen" zählte damals
der Spitzenbeamte J. Edgar Hoover. Die Behörde, die maßgeblich auf seine
Initiative hin entstand, kennt heute jeder Kinogeher: Das FBI taucht
überall dort auf, wo ein Verbrechen mehr Relevanz als nur für die lokale
Jurisdiktion hat.
Über Hoover ist eine Menge geschrieben worden. Auch im Kino tauchte er erst
vor zwei Jahren wieder prominent auf, als Michael Mann in "Public Enemies"
an die dreißiger Jahre erinnerte, eine Ära, in der Verbrecher wie John
Dillinger die Nation in Atem hielten - und die Strukturen für eine
nationale Kriminalitätsbekämpfung geschaffen wurden.
Wenn nun Clint Eastwood mit "J. Edgar" ein Biopic über Hoover vorlegt, dann
beginnt er dies nicht zufällig mit einem beiläufigen Kameraschwenk über
eine Totenmaske von Dillinger, die auch noch in Hoovers späten Jahren das
Büro des FBI-Chefs schmückt.
## Ein Mythos bröckelt
Der Mythos des FBI hatte schon vor 9/11 zu bröckeln begonnen, doch die
zahllosen Versäumnisse im Zusammenhang mit der Terrorismusbekämpfung
machten dann wieder deutlich, dass auch selbstbewusste Polizisten Fehler
machen.
Da nun aber das Thema der Homeland Security wieder in aller Munde ist und
die Spannung zwischen Sicherheit und Freiheit nicht nur das
US-amerikanische Gemeinwesen bestimmt, sollten die Voraussetzungen für
einen Film über "J. Edgar" gut sein. Zumal sich mit Clint Eastwood ein Mann
der Sache annimmt, der als Schauspieler in zahlreichen Western schon häufig
über die Verhältnismäßigkeit der Mittel im Gewaltmonopol nachgedacht hat.
Hinzu kommt als interessanter Aspekt Hoovers komplizierte Psyche, die es
erlaubt, von persönlichen Bedürfnissen nach einem Charakterpanzer auf
starke öffentliche Schutzmechanismen zu schließen. Dass Hoover schon als
junger Mann so auf eine Anarchistin wie Emma Goldman losging, hatte wohl
auch mit dem zu tun, was der Psychoanalytiker Alfred Adler den "männlichen
Protest" nannte - eine Verhärtung, die mit innerer Angst vor Weiblichkeit,
Verweichlichung, Phallusverlust zu tun hat.
Im Falle von Hoover bildet das Wort daffodil die einschlägige Chiffre: "Ich
hätte lieber einen toten Sohn als eine 'Narzisse' ", sagt seine Mutter an
entscheidender Stelle des Films zu ihrem Sohn und bestimmt so buchstäblich
durch die Blume sein Schicksal abgewehrter Homosexualität.
## Perspektivische Ambivalenz
Eastwood erzählt in "J. Edgar" ganz konventionell ein Leben fast von dessen
Ende her. In den Sechzigern diktiert Hoover einem jüngeren FBI-Mitarbeiter
seine Erinnerungen; aus diesen Rückblenden besteht der Film. Zugleich liegt
hier das wesentliche Moment kritischer Distanz, denn die Szenen aus der
Vergangenheit sind nicht durchweg in der subjektiven Perspektive von Hoover
gehalten, sondern korrigieren immer schon das Bild, das dieser von sich
hatte.
"J. Edgar" erhält dadurch eine fundamentale Ambivalenz, von der nie so
richtig deutlich wird, inwiefern genau Eastwood und sein Drehbuchautor
Dustin Lance Black ("Milk") problematische Politik und unglückliche
Sexualität zueinander in Beziehung setzen wollen.
Einerseits geht es hier zweifellos darum, einer inzwischen weitgehend
verachteten Figur durch die Besetzung mit dem Weltstar Leonardo DiCaprio
und durch die respektvolle Darstellung seiner Beziehung zu seinem
eigentlichen Lebensmenschen Clyde Tolson ein wenig Würde zurückzugeben.
Andererseits ging alles, was Hoover als Amtsträger getan hat, in seinen
politischen Implikationen zu weit - er schreckte nicht vor Erpressung
höchster Amtsinhaber zurück und trug wesentlich zu einer bis heute
wirksamen Kommunistenparanoia bei.
Dies alles muss in "J. Edgar" letztlich Judi Dench auf sich nehmen, die als
Hoovers Mutter die Leerstelle der Motivation notdürftig besetzt. Dass von
diesen Familienszenen eine Wirkmacht bis in die rassistische Wut reicht,
mit der Hoover zuletzt noch Martin Luther King verfolgte, ist allerdings so
trivial wie fragwürdig und verweist zurück auf die Probleme des Formats
Biopic: Es bekommt immer zu viel und zu wenig ins Bild, es findet selten
das richtige Maß zwischen Komplexität und Interpretation.
## Biopic als Erzählpanzer
Leonardo DiCaprio, der physiognomisch durchaus passt, findet zudem nie
richtig in die Rolle. Er versucht sich zwar mit forcierter Modulation vor
allem stimmlich als Hardliner, wirkt dabei aber eher wie eine Parodie auf
Jack Nicholson als wie ein Neurotiker von nationaler Bedeutung.
Und so schleppt sich "J. Edgar" von Szene zu Szene durch das 20.
Jahrhundert, lässt überall frustrierte Existenzen herumstehen (Naomi Matts
als "Miss Gandy" ist das Mauerblümchen in der Junggesellenfestung) und labt
sich zwischendurch an den Berührungspunkten mit der Weltgeschichte. Als
John F. Kennedy ermordet wurde, war Hoover der Erste, den man anrief - doch
mehr als das bloße Faktum vermochte ihm zu diesem Zeitpunkt auch niemand zu
sagen.
Der Film "J. Edgar" will zu den Fakten auch noch Begründungen liefern, doch
so richtig auf die Spur kommt er seinem Protagonisten nicht. Dazu sind die
Konventionen der Form zu stark. Das Biopic erscheint hier als
Abwehrmechanismus par excellence, als Erzählpanzer über den unheimlichen
Energien des Politischen.
16 Jan 2012
## AUTOREN
Bert Rebhandl
## TAGS
Antisemitismus
Kino
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