# taz.de -- Luc Bessons „Lucy“: Das blaue Wunder | |
> In „Lucy“ mit Scarlett Johansson geht es ums große Ganze: Eine leicht | |
> verwirrte Frau gerät in die Fänge von Luc Bessons Einfallsreichtum. | |
Bild: Wirr und wirrer: Scarlett Johansson in „Lucy“. | |
Man kann sich des Eindrucks kaum erwehren, Luc Besson habe in seinem | |
aktuellen Film „Lucy“ stark mit dem ganz großen Ganzen geschäkert. Das ka… | |
gut ausgehen, bei Besson aber ergab die Zusammenkunft eine Fantasterei, aus | |
der schließlich Spinnerei wurde. | |
Hin und wieder scheint es allerdings, der Regisseur („Das fünfte Element“) | |
sei sich über eine gewisse Abgeschmacktheit durchaus im Klaren gewesen – | |
was wiederum die besseren Momente von „Lucy“ ausmacht. Anfangen muss man, | |
natürlich, bei Scarlett Johansson. Die von ihr dargestellte Figur ist nicht | |
nur verantwortlich für den eingängigen Filmtitel, Besson benutzt sie auch | |
als Hülse für sein philosophisches Substanzenexperiment. Und als solche | |
packt er auch einiges in sie hinein. Wortwörtlich. Aber von vorn. | |
Die ersten Minuten mit Lucy sind eigentlich die schönsten. Die letzte Nacht | |
hat sie offenbar nicht schlafend verbracht, ihre blonden Haare sind | |
ausgeblichen und strohig (tatsächlich wird sich an diesem herrlich | |
desolatem Zustand nichts ändern), das Augen-Make-up hat sich Richtung | |
Nasenrücken verkrümelt. Und die Klamotten, ja, die sind selbst für die | |
Dunkelheit etwas zu grell geraten. Aber von wegen Dunkelheit: In Taipeh, wo | |
Besson sie aussetzt und aufspürt, ist davon ohnehin nicht allzu viel zu | |
spüren. | |
Lucy jedenfalls sieht aus wie eine, die schnell unter die Dusche und dann | |
ins Bett gehört, was auch genau ihren Plänen entspricht. Wäre da nicht die | |
Bekanntschaft Richard (Pilou Asbæk), der sie vor einem schmucken Hotel um | |
einen „Gefallen“ bittet. Lucy will nicht, kommt aber nicht drumherum. Eine | |
ambitionierte Szene, die Besson mit National-Geographic-Bildern parallel | |
setzt: Löwe lauert auf Antilope, nähert sich, schlägt zu. Lucy ist nicht | |
der Löwe. | |
## Ein Koffer voller Drogen | |
Es geht um einen ominösen Koffer, den sie überbringen soll. Als sie einem | |
Herren an der Rezeption den Namen des Empfängers verrät (Mr. Jang), weicht | |
diesem sogleich die Farbe aus dem Gesicht. Kein gutes Zeichen. Und dann | |
schiebt sich Mr. Jang (Min-sik Choi) auch schon frisch beschmutzt mit | |
fremdem Blut ins Bild. In der Hotelsuite, die Lucy anschließend betritt, | |
tastet sich die Kamera vorsichtig über den Flur und entdeckt sogleich ein | |
paar übereinandergestapelte Leichen in einem Nebenraum. Nein, tauschen | |
möchte man mit Lucy ganz und gar nicht. | |
Nach ein paar spannenden Augenblicken ist klar: Im Koffer befinden sich | |
Drogen. Säckchenweise blaues Granulat. Um zu überprüfen, ob es sich auch um | |
die vermutete Substanz handelt, lässt der brutale Mr. Jang eine krude | |
Gestalt aufrufen, die, nachdem sie ein paar Bröckchen konsumiert hat, | |
völlig durchdreht. Also wird sie schnellstens abgeknallt, und nun hat auch | |
Lucy ein bisschen Blut auf der Haut. | |
Das Zeug, das etwas lächerlich unter seiner Plastikfolie schimmert, | |
entspricht also dem Gesuch von Mr. Jang. In Taipeh kann es allerdings nicht | |
bleiben. Doch wie schmuggelt man die wertvollen Beutel außer Landes? | |
Eingenäht im menschlichen Bauchraum. „Brauchst du einen Job?“, fragt Jang, | |
und Lucys Antwort ist eigentlich zweitrangig, denn kurz darauf zieht sich | |
schon ein großer Schnitt über ihren Körper. | |
## Raum und Zeit verlieren an Bedeutung | |
Man ahnt: Es gibt bald Komplikationen. Und auch, dass es etwas mit den | |
blauen Kristallen zu tun haben wird. Hier nun sollte „Lucy“ beginnen, | |
sowohl der Film als auch die eigentliche Reise der Person Lucy. | |
Komischerweise endet „Lucy“ an diesem Punkt jedoch (selbstverständlich | |
folgen noch knapp eineinhalb Stunden mit Scarlett Johansson). Wohl auch, | |
weil die leicht verwirrte Frau nun unglücklicherweise völlig in die Fänge | |
von Luc Bessons Einfallsreichtum geraten ist. | |
Die Geschichte mutiert zu einer Aneinanderreihung von audiovisuell | |
referierten Features, die Lucy mehr und mehr an sich bemerkt, seitdem die | |
leuchtende Chemikalie Bestandteil ihres Blutkreislaufs ist. Lucy wird zur | |
Bewusstseinserweiterung pur. Sie kann sich an alles erinnern, alles fühlen, | |
alles sehen. Raum und Zeit verlieren an Bedeutung, die vermeintlich | |
einschränkende zehnprozentige Nutzung des menschlichen Gehirns prescht aufs | |
Unvorhersehbare, Unkontrollierbare. Was dann passiert, weiß noch nicht | |
einmal Professor Norman (Morgan Freeman), obwohl der ein renommierter | |
Biologe ist. Zehn Prozent, und was ist mit den restlichen neunzig? | |
Das ist die irgendwie gute und dann als Plot doch dürftige Frage, die | |
Besson zum Inhalt von „Lucy“ macht. Sein Mittel: ein Count-up. So einfach | |
wie schmal. Was philosophische Kaskade sein will, ist Zimmerbrunnen mit | |
lila Glaskugeln. Und steht leider in einem ziemlichen Gegensatz zu Lucys | |
gar nicht mal uninteressantem Trash-Charme. | |
13 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Carolin Weidner | |
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