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# taz.de -- Clint-Eastwood-Film "Der fremde Sohn": Epische Verwechslung
> Clint Eastwoods neuer Film, "Der fremde Sohn", beginnt ganz intim und
> weitet sich dann doch zu einer großen amerikanischen Geschichte über
> gefährdete Freiheit.
Bild: "Bist Du mein Sohn?", fragt sich Angelina Jolie.
Auf Rollschuhen fährt Christine Collins durch ihr Büro. Sie ist eine
moderne Frau, eine Angestellte in der neuen Arbeitswelt der 1920er-Jahre,
in der die Geschlechterverhältnisse sich allmählich verändern. Sie ist
Abteilungsleiterin in einer Telefonvermittlungszentrale. Die vielen
Gespräche, die hier hereinkommen, müssen noch von Hand weitergeleitet
werden. Hunderte Frauen sitzen an den Pulten und stöpseln Kabel in Buchsen.
Wenn es ein Problem gibt, rollt Christine Collins heran. Wenn sie abends
nach Hause kommt, wartet dort nur ihr neunjähriger Junge Walter. Auch das
macht Christine zu einer modernen Frau. Sie erzieht allein, sie macht das
mit Umsicht, in ihrem Haushalt ist alles gut organisiert. Der Vater von
Walter hat sich davongemacht, er war nicht geschaffen für "die
Verantwortung".
Die Katastrophe, die in Clint Eastwoods Film "Der fremde Sohn" die
Geschichte bestimmt, ereignet sich während der Arbeitszeit von Christine.
Als sie nach Hause kommt, ist Walter nicht mehr da. Die Polizei wiegelt
erst einmal ab. Vermisstenanzeigen bei Kindern werden erst nach 24 Stunden
aufgenommen. Aber Walter taucht am nächsten Tag nicht auf, und auch danach
nicht wieder. Als in einer christlichen Pfarrgemeinde für ihn gebetet wird,
weitet sich zum ersten Mal der Blick dieses Films, und als schließlich die
Medien auf die Sache aufmerksam werden, bekommt "Der fremde Sohn" das
Format einer großen amerikanischen Geschichte.
Denn die Polizei von Los Angeles war in diesen Jahren legendär korrupt und
zynisch, sie kümmerte sich nicht um die Wünsche und Nöte der Bürger und
vertrat in erster Linie ihre eigenen zweifelhaften Anliegen. Die Suche nach
Walter wird nachlässig betrieben, während das Engagement der Mutter immer
verzweifelter wird. Schließlich bekommt sie den erlösenden Anruf: Ihr Sohn
wurde gefunden, in einer kleinen Stadt in Illinois. Er wird mit dem Zug
nach Kalifornien gebracht, zu der Ankunft hat die Polizei nicht nur die
Mutter bestellt, sondern auch Vertreter der Medien. Der Erfolg will
gefeiert werden. Im Inneren der Szene aber, dort wo der Trubel nicht
hinreicht, wo Christine Collins ihren Jungen in die Arme schließen will,
gibt es ein Problem: Sie erkennt Walter nicht wieder. Der gefundene Junge
ist nicht ihr Sohn. Unter dem Druck des Ereignisses (und dem des
danebenstehenden Captain Jones) lässt sie sich aber doch mit ihm
fotografieren, und die Medien haben ihre glückliche
Familienzusammenführung.
"Der fremde Sohn" heißt im Original "The Changeling", also "Wechselbalg".
Für Clint Eastwood bietet der Fall eine weitere Möglichkeit, ein
Community-Drama wie "Mystic River" zu erzählen. In dem Maß, in dem
Christine Collins beginnt, sich gegen diese falsche Lösung zu wehren,
bekommt sie es mit den Instanzen der Macht in Los Angeles zu tun. Sie
erfährt aber auch Hilfe, vor allem ein Reverend namens Gustav Briegleb
(John Malkovich) ist jederzeit bereit, sich mit der Stadtverwaltung
anzulegen. Mit jeder neuen Wendung fügt "Der fremde Sohn" neue Facetten
hinzu. Und so bekommt dieser Film, der so intim begonnen hatte, unvermutet
episches Format.
Das einzige Moment der Ironie, das Eastwood sich dabei gestattet, betrifft
die erzählte Zeit, die sich über fast ein Jahrzehnt erstreckt und Mitte der
30er-Jahre ausgerechnet in den Tagen der ersten "Oscar"-Verleihung endet.
Angelina Jolie, die er für die Rolle der Christine Collins ausgewählt hat,
ist auch als Reminiszenz an die Leinwandheldinnen dieser Ära zu begreifen,
an eine Zeit, als Frauen es mit den Männern ganz anders aufnahmen als
heute. Die Rollschuhe sind das Requisit einer gefährdeten Freiheit, von der
"Der fremde Sohn" eine ungeheure Geschichte erzählt.
"Der fremde Sohn". Regie: Clint Eastwood. Mit Angelina Jolie, John
Malkovich u. a. USA 2008, 142 Min.
22 Jan 2009
## AUTOREN
Bert Rebhandl
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