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# taz.de -- Kolumne Die eine Frage: Live is Life
> Wird das Fussball-Erlebnis im Stadion den Leuten zu langweilig? Und ist
> die Digitalisierung womöglich schuld daran?
Bild: Alles in der Hand. Warum noch ins Stadion gehen?
In meinem Bundesligastadion sitzen seit Jahren derselbe Mann und ich
nebeneinander und schauen Fußball. Beziehungsweise eben nicht. Denn er
sieht nicht hin. Mindestens die halbe Zeit hat er den Kopf nach unten und
starrt auf den Bildschirm seines Smartphones. Er hat sogar Sky Go und kann
damit alle anderen Spiele sehen. Er blickt meist erst dann auf, wenn die
Nordkurve zu raunen beginnt.
Die eine Frage lautet daher: Ist den Menschen die Realität zu undigital
geworden?
In diesen Tagen haben die San Francisco 49ers in Santa Clara im Silicon
Valley – wo ich gerade bin – ihr neues Footballstadion eingeweiht.
Flächendeckendes WLAN. Eine riesige Videowand, die Spielzüge aus allen
Perspektiven zeigt. Eine App, die einem sagt, vor welchem Bierstand und in
der Folge vor welchem Klo die kürzeste Schlange steht. Eine App, auf der
man sich die spannenden Szenen ansehen kann, die man verpasst hat, weil man
auf dem Klo war.
Andere amerikanische Footballstadien rüsten gerade auch digital nach, und
der Grund ist: Zuschauerrückgang. Durch den Verkauf der Bildrechte des
„Live“-Erlebnisses Sport verdienen die Clubs viele Millionen Dollar. Das
macht ihre Eigentümer zu reichen Menschen. Aber auch die Teams profitieren,
weil ihre sportliche Darbietung qualitativ hochwertiger wird. Und dennoch
gibt es ein Problem: Die Leute bleiben zunehmend lieber zu Hause.
In der deutschen Bundesliga boomt der Stadionbesuch noch. Aber das wird
sich ändern. Die Preise? Klar, das kann ein Grund sein. Aber man sieht
nicht nur bei meinem Sitznachbarn, dass auch die analoge Fußballrealität
Leuten schlicht zu langweilig ist. Die Kraft der Digitalisierung verändert
– im Gegensatz zur Moral – Lebensstile fundamental und binnen kürzester
Zeit. Auch weil sie – im Gegensatz zur Moral – mit dem
Bequemlichkeitsfaktor arbeitet.
Früher war eine Sehnsuchtsfolie des Stadion-Erlebnisses, aus seinem
Wohnzimmer rauszukommen. Das Leben zu spüren. Und die des
Wohnzimmer-Erlebnisses, die Stadion-Atmosphäre reinzuholen. Heute ist die
Erlebnisstrategie Stadion, den riesigen Fernseher, den man den
Sportfernseh-Interessierten aufgeschwatzt hat, durch die LED-Megaleinwand
zu substituieren. Die Leute sollen sich im Stadion wie im eigenen
Wohnzimmer fühlen. Das funktionierende Smartphone ist dann die stets
griffbereite Fernbedienung und außerdem für Digital Natives essenziell,
weil ihre Sehnsucht – oder womöglich lebenskonzeptuelle Grundbedingung –
darin besteht, nicht von ihrer sozialen Kommunikation abgeschnitten zu
sein.
## Manchmal unkonzentriert
Jetzt müsste eigentlich der kulturpessimistische Teil kommen. Wie sehr die
jüngste Fußballweltmeisterschaft gezeigt hat, dass viele Menschen nicht
mehr zwischen Fernsehfußball und Fußball, zwischen zensierten Bildern und
dem eigenen Blick auf die Wirklichkeit unterscheiden können. Und dann diese
jungen Leute. Schlimm.
Aber, das ist interessant: Wenn man in Kalifornien ist, denkt man anders.
Entspannter. Ich stimme daher lediglich Marshal McLuhan dahingehend zu,
dass Technik keine Moral hat, aber ein (neues) Medium das Selbstkonzept von
Individuen und Gesellschaft formt. Den Rest soll jeder erst mal mit sich
selbst ausmachen.
Wenn ich ausnahmsweise ehrlich bin, muss ich zugeben, dass auch ich
manchmal unkonzentriert bin, wenn ich auf der Tribüne im Fußballstadion
sitze. Ich kämpfe dagegen an, aber immer wieder mal beuge ich mich zu dem
Mann neben mir und schaue auf den Bildschirm seines Smartphones. Einmal
habe ich dort sogar live ein Tor gesehen. Es fiel in unserem Stadion.
8 Aug 2014
## AUTOREN
Peter Unfried
## TAGS
Fußball
Digitalisierung
Weltmeisterschaft
Grüne
Fußball
Gleichberechtigung
Europa
WM 2014
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