# taz.de -- Die Wahrheit: Mit Puschen ins Loft | |
> Wer kein bestechendes Wohnkonzept hat, der geht auf dem deutschen | |
> Mietmarkt ab jetzt leer aus. Begehrt ist der unverwechselbare Mieter. | |
Bild: Einfach leben geht nicht – man muss schon wohnen wollen | |
Die Schlange ist lang, die meisten Gesichter sind es auch. Im Treppenhaus | |
des annoncierten „Schlachthof-Loft mit Kultstatus“ stehen die Wartenden bis | |
draußen auf die vierspurige Schnellstraße. Für Kathi und Jobst P. (Name der | |
Red. bekannt) neigt sich ein langer Tag der Wohnungssuche in einem | |
westdeutschen Ballungsraum seinem erneut erfolglosen Ende zu. | |
„Josef und Maria war nichts dagegen“, grantelt der Rechtspfleger, und seine | |
Frau, eine Krankenschwester („Wir sind seit sieben Jahren verheiratet mit | |
Schufa-Auskunft“), pflichtet ihm bei: „Ich bin nicht schwanger, wir haben | |
keine Haustiere und sind beide fest angestellt. Trotzdem machen die Makler | |
abwinkend winkewinke, wenn sie unseren ausgefüllten Bewerberbogen lesen.“ | |
Was machen die beiden auf ihrer Herbergssuche bloß falsch? | |
„Wir haben kein überzeugendes Konzept, wie wir eine angemietete | |
Privatwohnung nutzen wollen“, entfährt es mutlos und enttäuscht dem | |
angenehm langweilig wirkenden Backenbartträger um die fünfzig. „In unserer | |
jetzigen Unterkunft, die uns der Vermieter zum Jahresende wegen kreativen | |
Eigenbedarfs gekündigt hat, haben wir sieben Tage die Woche, von unserem | |
Jahresurlaub an der bulgarischen Goldküste abgesehen, geschlafen und | |
gewohnt.“ Das reiche heute nicht mehr, auch nicht bei Nichtrauchern, meint | |
die mollige Kathi P. und muss weinen. | |
## | |
Makler und Vermieter: Sie trachten mittlerweile nach dem besonderen, dem | |
unverwechselbaren Mieter, der Perle unter den von ihnen abhängig Hausenden. | |
Denn die Auswahl an demütigen Kandidaten, die ein bestechendes Wohnkonzept | |
vorweisen können, ist mehr als groß. Wer heute dauerhaft privaten | |
Lebensraum ergattern will, muss mindestens die eigene Großmutter versetzen, | |
um sich ins rechte Licht als Mieter zu setzen. Selbstoptimierung, das | |
Stichwort unserer zu Stress geronnenen Zeit, fordert nicht nur die | |
Gewerbe-, sondern auch die Wohnszene vehement heraus. | |
Da reichen die dürren, handschriftlichen Zeilen von Jobst P. nicht, die er | |
auf dem im Kartoffeldruck geschöpften Bewerberbogen unter dem Mieterhashtag | |
#me and my new place auf 140 Zeichen notiert hat: „Meine Frau und ich sind | |
Jungfrau. Wir besitzen einen Elektrogrill und einen Bekanntenkreis. Dem | |
Austausch mit Nachbarn steht nichts im Weg.“ Ganz anders dagegen die | |
Message der vollverschleierten, jungdynamischen Fatima B., die soeben | |
freudestrahlend an den P.s vorbei zum Ausgang, dem ehemaligen | |
Schlachthoftor, eilt. Mit welchem Tweet hat sie sich verkauft? | |
Die Musik-Ethnologin mit Wurzeln in Kasachstan und Bad Aibling trägt ihn in | |
einem glockenhellen zweigestrichenen d vor: „Das Leben drinnen lieben, | |
lautlos singen und tanzen mit all meinen Freunden in Puschen, ja, das will | |
ich in diesem herausfordernden Loft.“ Fatima B., die einen solventen | |
Migrationshintergrund aufweist, rechnet sich gute Chancen auf die 49 | |
Quadratmeter große, vergitterte Einraumwohnung mit integriertem Carport aus | |
– ebenso wie der 3-D-DJ und freiberufliche Kindergärtner Tom K. Der | |
33-Jährige skandiert sichtbar beseelt seinen Tweet: „All den toten Tieren, | |
die hier im Schlachthof verendeten, wird meine vegane Wohnweise wieder | |
Seele einhauchen.“ | |
Und Kathi und Jobst P.? Der Rechtspfleger und die Krankenschwester nehmen | |
noch einen Anlauf bei ihrer Herbergssuche – sie leisten sich eine | |
Konzeptberatung bei der Agentur „Lebst du noch oder wohnst du schon?“ | |
Kostenpunkt: zwei Durchschnittsmonatsmieten kalt im Suchradius. „Wenn es | |
anschließend nicht zu einer Mietvertragsunterzeichnung kommt,“ unkt Jobst | |
P., „lassen Kathi und ich uns Atteste wegen psychischer Zerrüttung und | |
drohender Wohnungsnot ausstellen.“ | |
Was die beiden damit anstellen wollen? Kathis Augen leuchten: „Dann bleiben | |
wir in unserem alten Haus und kriegen zwei Plätze im betreuten Wohnen unter | |
uns.“ Ihren Elektrogrill wollen die beiden unbedingt mitnehmen. Aber ob | |
sich der Bekanntenkreis dann noch blicken lässt? | |
12 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Harriet Wolff | |
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