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# taz.de -- Die Wahrheit: Doomsday, dick und gemütlich
> Propheten des Alltags: Nostradamus ganz privat – Hausbesuch bei einem
> umtriebigen Unsterblichen, der schon Uschi Glas gecoacht hat.
Es dauert, bis wir ihn in der flirrenden Lavendelluft der Provence
antreffen. Seine Vorhersage war einwandfrei: „Mein Haus liegt in einem
Navi-Loch. Sobald sie nach der Total-Tankstelle links abbiegen,
signalisiert das Navi 'Wenden Sie nach 20 Metern'. Fahren Sie trotzdem
weiter – bis zum Schild 'Je suis Michel'. Da wohne ich.“
So machen wir es, und keine Viertelstunde später stehen wir im kaffigen
Städtchen Salon de Provence dem Meister der Prophezeiungen leibhaftig
gegenüber: Nostradamus, erstaunlich rüstig, recht korpulent und unerwartet
positiv, ja fast heiter gestimmt.
„Mein bürgerlicher Name ist Michel de Nostredame, doch unter dem Namen
kennt mich nur die Inquisition. Und die ist ja Gott sei Dank hierzulande
gerade erst wieder im Werden!“ Der alterslose Greis lächelt zufrieden,
„kommen Sie doch die paar Schritte bis zu meinem bescheidenen Anwesen, ich
koche gerade Konfitüre ein und muss noch etwas Gelierzucker beigeben!“
Nostradamus Haus, das er exakt 411 Jahre vor dessen Fertigstellung in einem
seiner berühmten prophetischen Gedichte bereits ankündigte, ist ein
nüchterner Zweckbau aus den sechziger Jahren – selbst die Durchreiche von
der Küche zum Essbereich (Eiche Furnier) hat er in einem Vierzeiler,
französisch Quatrain, kommen sehen. Und im Almanach von 1555, prall gefüllt
mit 353 Quatrains, schreibt er klar und deutlich, was heute die meisten
nicht wahrhaben wollen: „Michel, itzo und in alle Ewigkeit, verbleibet im
Zwischenreich der Guten und Bösen, waret immortel, weiter und immer
weiter.“ Sprich, Michel alias Nostradamus zählt seit dem 14. Dezember 2014
genau 511 Jahre. Zeit, Bilanz zu ziehen. Zeit, Pressevertretern wie uns,
die heiß ersehnte Homestory zu gewähren.
## Leckere Konfitüre
Die Sache mit dem Konfitüre-Einkochen kommt da gerade recht. Denn
Nostradamus, der mit Stolz auf ein schon mehrere Jahrhunderte andauerndes
Single-Leben blickt, ist es leid, immer wieder konsultiert zu werden, wenn
es darum geht, was demnächst auf der Welt los sein wird. „Ich sehe seit den
siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht mehr so gut und auch nicht
mehr so klar.“ Viel lieber verrät er uns deshalb sein Lieblingsrezept für
Mirabellenkonfitüre mit Eau de Vie und Zwieback. „Aber schreiben Sie das
nicht in die Zeitung!“
Dass er den Zwieback erst eigenhändig eine Nacht im Mörser zerkleinert,
wird uns später noch eine Nachbarin berichten. „Beim Marmelade-Machen komme
ich runter von meinen augurenhaften Vierzeilern“, gesteht der Vollbärtige
und lässt den Gelierzucker in die Mirabellenmasse einrieseln.
„Mistepopiste, zut alors, zu viel Zucker!“, entfährt es ihm glockenhell.
Dann muss Nostradamus schon wieder lächeln – wahrhaft ein sonniges Gemüt
par excellence.
Schon früh habe er in seinen späten Jugendjahren mit der Herstellung von
Konfitüre begonnen, das sei alles auch in diesem „flotten Almanach namens
Wikipedia“ nachzulesen, der ihm im Übrigen ausnehmend gut gefalle.
Überhaupt, das Internet, „ein tolles Tool zum Behaupten von allem
Möglichen“ sei das. Er frage sich nur, wer da die Kohle einstreiche. „Für
meine Marmeladen war damals jedenfalls von Anfang an der Markt da“, betont
er fachmännisch und zwirbelt an seinen rotgrauen Barthaaren, dass ein paar
auch den Weg ins Mirabellenmus finden. Bis in die Pfalz habe er exportiert
und auch nach China.
Aber viel lukrativer sei es gewesen, in die inhabergeführte
Kosmetikproduktion einzusteigen: Nach dem frühen Tod seiner Frau Henriette,
für die er seine erste Creme, basierend auf unraffiniertem Nashorntalg,
kreiert hatte, fragten immer mehr Provenzalinnen und später auch
Pariserinnen nach dem „Turbo-Tiegel“. Ab 1539 kam Nostradamus gar nicht
mehr nach mit der Produktion. Erst die tatkräftige Unterstützung einiger
Wikinger, die von einer dumm gelaufenen Vorhersage übrig geblieben waren,
führte schließlich zu einem globalen Erfolg. Der „Turbo-Tiegel“ laufe auch
heute noch in einigen Weltregionen unter dem Namen „Penaten“ hervorragend.
## Falsche Mischung
„Aber jetzt kosten Sie doch erst mal von der Mirabellenkonfitüre“,
frohlockt der Hausherr und checkt bei chefkoch.de, dass er noch
Exklusivinhaber des Rezepts ist.
Ob er nicht doch ganz kurz mal was zu Griechenland, der Ukraine und den
Mohammed-Karikaturen prophezeien könnte?, fragen wir den 511-Jährigen und
lecken dabei genießerisch den angebotenen Probierlöffel ab. „Aber nur ganz
kurz“, ziert sich Nostradamus, „dann muss ich ihnen noch meine tollen
Kippfenster im Hobbyraum zeigen.“ Weil das interessant klingt, nicken wir.
„Wie immer antworte ich in einem Vierzeiler zu diesen konfliktträchtigen
Substantiven.“ Wieder nicken wir. „Also: Ist des Februars Ende kalt, / ist
zu helfen nicht mehr der Akropolis. / Ist des Februars Ende für die
Jahreszeit zu warm, / ist des Schokofabrikanten Land auch zu helfen nicht
mehr.“ – „Und was ist mit den Mohammed-Karikaturen?“, haken wir nach. �…
verstehe nichts von Zeichnerei“, antwortet der sonst so zuvorkommende
Prophet brüsk.
Um die Homestory nicht zu gefährden, erkundigen wir uns nochmal nach den
Kippfenstern. Sofort gerät er fast aus seinem nüchternen Zweckbau.
Mittlerweile sind wir allerdings im Keller angelangt. „Ein Geschenk von
Uschi Glas! Kippfenster sind eine Rarität bei uns in Frankreich, dabei sind
sie soooo praktisch! Ich habe sie das erste Mal bei der Uschi in München
erleben dürfen!“ Die Schauspielerin und der Mann mit dem Händchen für alles
Mögliche: Ist diese Verbindung wirklich von dieser Welt?
„Es war einmal“, antwortet Nostradamus bekümmert. „Ich habe die Uschi
anlässlich der Lancierung ihrer ,Hautnah face cream' anno 2004 gecoacht –
die Zusammenarbeit war ein Traum und die Kippfenster waren Teil meines
Honorars.“ Nostradamus Miene verdüstert sich. „Aber dann hat sich die Uschi
nicht an die von mir empfohlene Mischung gehalten. Doch ohne unraffinierten
Nashorntalg geht es nicht im Cremesegment.“ Das Ergebnis: Heute noch klagen
damalige Nutzerinnen der „Hautnah face cream“ über Pickel.
## Herzensgute Geschenke
Wir sind ehrlich erschüttert darüber, wie sehr dem Alten das geplatzte
Coaching von Uschi Glas noch nachgeht. „Falls Sie die Uschi mal in
Deutschland antreffen sollten: Bestellen Sie ihr warme Grüße. Jederzeit
kann sie sich bei mir hier in Salon de Provence Nashorntalg abholen.“ Wir
versprechen, ihn auf alle Fälle in der Causa Glas auf dem Laufenden zu
halten, als das hölzerne Smartphone von Nostradamus schellt. Wetter Online
ruft das aktuelle Welt-Urlauber-Wetter bei Nostradamus ab – ein
„wunderbares finanzielles Zubrot“. Beim Barte des Propheten! „Und das Gute
daran“, fährt der kregelige 511-Jährige fort: „Als Wetterfrosch ist es ga…
egal, ob man noch klar sehen kann!“ Dieses Wochenende, so der Augur, der
keiner mehr sein will, schneit es von Bozen bis zum Apennin, in Chicago und
am Tempelberg.
Unsere vorab vereinbarte Besuchszeit ist um. Selten hat uns ein Prominenter
so freimütig ins Haus gebeten; nur Thekla Carola Wied verströmte vor Jahren
eine ähnliche Herzenswärme wie der jetzt doch leicht erschöpfte
Nostradamus. Reich beschenkt mit einem Glas Mirabellenkonfitüre, einer
„Turbo-Tiegel“-Creme und keinen weiteren Vorhersagen, verlassen wir wenig
später Nostradamus nüchternen Zweckbau.
14 Feb 2015
## AUTOREN
Harriet Wolff
## TAGS
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