# taz.de -- TV-Produktionsfirma Degeto: Stadt, Land, Schluss? | |
> Lange war Degeto für die flachen Freitags-„Schmonzetten“ in der ARD | |
> verantwortlich. Die Firma will sich nun neu positionieren, bisher ohne | |
> Erfolg. | |
Bild: Spielt zum ersten Mal bei einer Degeto-Produktion mit: Anna Thalbach | |
Wünsdorf-Waldstadt, eine knappe Autostunde südlich von Berlin: Etwas | |
lädiert liegt das rot-blaue Planschbecken neben dem Wohnmobil und füllt | |
sich mit Regenwasser. Auf den Biergarnituren im Pavillon stehen halb leere | |
Colaflaschen mit übergestülpten Plastikbechern, an der Zeltwand sind | |
Getränkekisten neben dem kalten Grill gestapelt. Das Prasseln der | |
Regentropfen auf das Dach lässt an verregnete Campingurlaube denken – eine | |
trostlose Szenerie. | |
Dabei hat die Degeto Film GmbH, bei der die unterschiedlichen ARD-Anstalten | |
als Gesellschafter fungieren, Journalisten extra hierher eingeladen. Sie | |
sollen Zeuge werden, wie sich der deutsche Film neu positioniert. Anderes | |
Personal und zeitgemäße Geschichten wurden angekündigt. Kann die mächtigste | |
Produktionsfirma Deutschlands ihre Versprechen halten? | |
Die Dreharbeiten sind durch die ungünstigen Wetterverhältnissen nicht | |
beeinträchtigt. Auf dem Gelände eines restaurierten Bauernguts, das mitten | |
im Wald versteckt liegt, wird es heute nur Innenaufnahmen geben. Ländlich, | |
beschaulich, landwirtschaftlich – das hat man in der ARD bereits in | |
unzähligen Variationen gesehen. Es verwundert also nicht, dass gerade hier | |
ein Film für die Degeto gedreht wird. Die Degeto übernimmt sämtliche | |
Einkäufe und Produktionen für das Erste – und ist somit wichtigster | |
Geldgeber der Fernsehbranche insgesamt. | |
Auch wenn „Blutmilch“, der Arbeitstitel des Drehbuchs, geradezu unheimlich | |
anmutet, klingt die Story konventionell: Ein junger, selbstgefälliger | |
Stadtmensch muss nach dem Tod seines Bruders in die alte Heimat nach | |
Sachsen-Anhalt zurückkehren. Er soll die Geschäfte des Milchbauern | |
abwickeln und seine hinterbliebenen Kinder unterbringen. Der Städter | |
erfährt, dass die Existenz seines Bruders durch den Preisdruck der | |
Großmolkereien ruiniert wurde, woraufhin er sich für den insolvenzbedrohten | |
Hof einsetzt und sogar einen Streik anzettelt. | |
## Kitschfabrik | |
Die Geschichte liest sich zwar, als habe man sie aus dem Degeto-Baukasten | |
zusammengesetzt, dennoch weisen einige Details auf Veränderungen hin, die | |
sich bei der als Kitschfabrik kritisierten Degeto gerade vollziehen. | |
Immerhin ist die von David Rott gespielte Hauptfigur durchaus unbequem | |
angelegt. Und die Hintergrundgeschichte thematisiert mit dem Schicksal der | |
vom EU-Dumping gebeutelten Milchbauern ein wirtschaftlich brisantes Thema. | |
„In erster Linie ist es keine Liebesgeschichte“, ergänzt Rott – | |
ungewöhnlich für die sonst seichten Produktionen der Degeto. | |
Immerhin war das gebührenfinanzierte Unternehmen jahrelang für die flachen | |
Freitags-„Schmonzetten“ mit den immer gleichen TV-Gesichtern in der ARD | |
berüchtigt; banale Feelgood-Filme vor idyllischer Kulisse, die das | |
Durchschnittspublikum um die 63 auf keinen Fall überfordern sollten. Kritik | |
von außen wurde auch noch überhört, als selbst der Bundesverband für Regie | |
vor lauter „Traumhotel“, „Neue Chance zum Glück“ und „Sehnsucht nach… | |
öffentlich die Monokultur und „Degotisierung“ des deutschen Fernsehens | |
beklagte. | |
Erst als die Zahl der Zuschauer abnahm und sich herausstellte, dass die | |
Geschäftsführung nicht nur einen „Produktionsstau“ verursacht, sondern au… | |
Etats überschritten hatte und von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft | |
„gravierende organisatorische Mängel“ attestiert bekam, vollzog das | |
Unternehmen einen Schnitt. Mit der neuen Geschäftsführerin Christine Strobl | |
wurde 2013 das Degeto-„Reset“ verkündet. Seitdem arbeitet man dort am Abbau | |
der Altlasten und setzt öffentlichkeitswirksam auf Transparenz. | |
Auch inhaltlich und stilistisch, so beteuern die jetzigen Verantwortlichen | |
der 1928 als „Deutsche Gesellschaft für Bild und Ton“ gegründeten Firma, | |
werde sich einiges ändern. Man wolle „zeitgemäßer“ erzählen. „Die Deg… | |
befindet sich in einem wirklich massiven Umbruch“, sagt der seit knapp zehn | |
Monaten amtierende Redaktionsleiter Sascha Schwingel. | |
## Kein neuer Inhalt, aber ein neuer Regisseur | |
Hinsichtlich des „Blutmilch“-Drehs schränkt er jedoch ein: „Was das Thema | |
und den Inhalt des Films angeht, ist der Film nicht unbedingt ein Symbol | |
für die Neuausrichtung der Degeto, weil es eine Geschichte ist, die wir | |
grundsätzlich schon häufiger erzählt haben.“ Das Engagement des jungen | |
Regisseurs Ingo Rasper allerdings, der sich in der Branche mit nur wenigen | |
Filmen den Ruf eingehandelt hat, für frischen Wind sorgen zu können, sei | |
ein Schritt nach vorne. Auch die Besetzung mit dem ehemaligen | |
Burgtheater-Darsteller David Rott, dem 23-jährigen Nachwuchstalent Max | |
Hegewald oder Anna Thalbach in ihrer ersten Degeto-Produktion überhaupt sei | |
„ein Zeichen der Neuausrichtung“. Gerade die Personalie Rott macht aber | |
auch deutlich, dass die Geschichte von „Blutmilch“ auf einer allzu | |
bekannten Blaupause stattfindet. Denn in der vor Kurzem abgedrehten | |
Degeto-Produktion „Unterm Eis“ spielte Rott auch so einen Städter, der nach | |
dem Verschwinden seines Bruders in seinem Heimatdorf mit dem elterlichen | |
Betrieb und familiärer Verantwortung konfrontiert wird. | |
„Interessanterweise sehen es unsere Zuschauer echt gerne, wenn ein | |
Stadtmensch zurück aufs Land geht – meistens den Ort seiner Herkunft –, um | |
dann einen familiären Konflikt zu lösen, der mit dem elterlichen Hof oder | |
einem Erbe zusammenhängt“, kommentiert Schwingel die Formel, die für viele | |
Degeto-Stoffe immer wieder herhalten muss „Das werden wir wahrscheinlich | |
auch noch in zwanzig Jahren erzählen, weil das ein Urkonflikt ist. Genauso | |
wie wir Liebesgeschichten noch in zwanzig Jahren erzählen. Man muss nur | |
schauen, warum man die Geschichte 2014 so und nicht anders erzählt.“ | |
Ist die angekündigte Neuausrichtung des Unternehmens auf der Erzählebene | |
vielleicht doch nur eine alte Verpackung mit neuem Lack? Schwingel will das | |
so nicht stehen lassen: „Wenn wir einen Film wie ’Mona kriegt ein Baby‘ f… | |
den Freitagabend machen, in dem es um eine Teenagerschwangerschaft geht, | |
dann ist das noch einmal etwas ganz Neues. Da erschließen wir ein | |
Themengebiet, das es in der Vergangenheit auf diesem Sendeplatz nicht gab.“ | |
## In Zukunft provokant | |
Klingen solche Ankündigungen nicht immer noch äußerst zahm, wenn selbst das | |
ZDF sich ein provokatives Serienkonzept wie „Breaking Bad“ zum Vorbild | |
nehmen will? „Wir diskutieren in der Redaktion gerade über einen Stoff, bei | |
dem sich die Hauptfigur nach moralischen Maßstäben ganz klar fehlverhält | |
und gleichzeitig unser Protagonist ist, mit dem wir mitgehen müssen“, | |
erwidert Redaktionsleiter Schwingel. „Das ist wie in „The Wolf Of Wall | |
Street‘ – Leonardo DiCaprio spielt einen Riesenarsch, aber das ist eine | |
total spannende Figur. Wenn Sie das unter provokant verstehen, dann wird | |
die Degeto in Zukunft provokant sein.“ | |
Große Worte. Bisher sind es nur Beteuerungen und Ankündigungen. | |
17 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Jens Mayer | |
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