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# taz.de -- Wahlen in der Türkei: Ein islamischer Papiertiger
> Ahmet Davutoglu ist neuer Chef der AKP und wohl auch der nächste
> Regierungschef. Ist er Erdogans Befehlsempfänger oder hat er eigene
> Spielräume?
Bild: Der „Führer“ und sein Partner: Tayyip Erdogan (re.) und Ahmet Davuto…
ISTANBUL taz | Die Türkei hat einen neuen starken Mann – zumindestens auf
dem Papier. Am Mittwoch wurde der bisherige Außenminister Ahmet Davutoglu
auf einem Sonderparteitag der regierenden AKP zum Parteivorsitzenden
gewählt und als Tayyip Erdogans Nachfolger für den Posten des
Ministerpräsidenten nominiert.
Nun ist laut Verfassung Davutoglu derjenige Politiker, der ab Freitag, wenn
er sein neues Kabinett vorstellen wird, in der Türkei den Ton angibt. Doch
nicht einmal er selbst glaubt, dass alles so ist, wie es auf dem Papier
steht.
Nachdem ihn der Parteivorstand der AKP unter Leitung von Erdogan bereits in
der vergangenen Woche zum Kandidaten für den Posten des Premiers nominiert
hatte, bedankte er sich in seiner anschließenden Rede bei Erdogan und
nannte ihn den „Führer“ des Landes.
Erdogan selbst wird am Donnerstag im Parlament seinen Amtseid als neuer
Präsident der Türkei ablegen und sich anschließend bei einer großen
Inaugurationsfeier offiziell als „Führer der neuen Türkei“ feiern lassen.
## Gesegneter Marsch
Seit Tagen diskutieren die türkischen Zeitungen über die Rolle, die
Davutoglu künftig als Ministerpräsident spielen wird. Wird er zum reinen
Befehlsempfänger Erdogans, oder gibt es für ihn vor allem in der
Außenpolitik Spielräume? Wird Davutoglu den konfrontativen, die
Gesellschaft spaltenden Stil Erdogans fortsetzen oder eine konziliantere
Haltung gegenüber den Kritikern der AKP einnehmen?
In seiner Rede auf dem AKP-Sonderparteitag, ließ Davutoglu wenig Neigung
erkennen, auch die Gegner seiner Partei als akzeptierte Bürger eines
demokratischen Landes anzuerkennen. Vielmehr beschwor er die Mission der
AKP. Sie sei die aktuelle Erscheinung eines gesegneten Marsches (der
gläubigen Muslime), der bis in alle Ewigkeit weitergehen werde.
Als Programm seiner Regierung kündigte Davutoglu die „Restauration“ der
Türkei an. Die „Fehler der Republik“ sollen korrigiert werden. Das alles
erinnert mehr an eine religiöse Erweckungsbewegung denn an eine Regierung,
die eine pragmatische Politik zum Wohl ihrer Bürger machen will.
## Partner des „Führers“
Davutoglu sieht sich nicht als Befehlsempfänger Erdogans, sondern als
Partner seines Führers bei der Mission, die Türkei wieder auf ihre
islamische Grundlage zurückzuführen. Während Erdogan der
durchsetzungsfähige populistische Führer ist, ist der intellektuelle
Professor Davutoglu eher der Theoretiker der Bewegung.
Doch wie schnell Visionen an der praktischen Politik scheitern, hat
Davutoglu als Außenminister erleben müssen. Von seiner Parole „Null
Probleme mit den Nachbarn“ ist ein Land geblieben, dass praktisch von
Feinden umstellt ist. Mit Bagdad ist die Türkei über Kreuz, die
Syrienpolitik ist dramatisch gescheitert, und mit Israel und Ägypten sind
die diplomatischen Beziehungen abgebrochen worden.
Auch als Premier könnte Davutoglu schnell auf dem Boden der Tatsachen
landen. Die Wachstumsraten der türkischen Wirtschaft brechen seit Ende 2013
ein und das Defizit in der Handelsbilanz steigt. Wenn ausländische
Investoren ihr Geld abziehen, weil die türkische Zentralbank, wie von
Erdogan gewünscht, die Zinsen senkt, hat Davutoglu ein Riesenproblem. Er
kann seinem Führer die populistischen Maßnahmen nicht verbieten, und wenn
es dann schiefläuft, ist er der Schuldige.
Die große Bewährungsprobe kommt bei den Parlamentswahlen 2015. Dann soll
Davutoglu für Erdogan eine Zweidrittelmehrheit holen, damit das Parlament
die Verfassung im Sinne einer Präsidialherrschaft nach zentralasiatischem
Vorbild verändern kann. Damit Erdogan dann nicht mehr nur de facto, sondern
auch auf dem Papier wieder der starke Mann der Türkei ist.
27 Aug 2014
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
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