# taz.de -- Debatte „Islamischer Staat“: Ach, „New York Times“! | |
> Die Terrormiliz IS ist eine Herausforderung für die Zivilisation. | |
> Hervorgerufen wurde sie vom Assad-Regime und durch den Irakkrieg 2003. | |
Bild: Die „New York Times“ erwähnt die US-Invasion mit keinem Wort: US-Sol… | |
Ich liebe es, im Flugzeug zu schreiben. Ich liebe die anonyme Umgebung und | |
einfach nur eine unter vielen zu sein – im Strudel von Sprachen und | |
Kulturen. Wie ich leben heute einige mit jedem Bein in einer anderen Kultur | |
und Sprache, wechseln nahtlos von einem sozialen Code in den nächsten, auch | |
wenn sie widersprüchlich sind, und genießen die Vorzüge der | |
unterschiedlichen Denk- und Verhaltenssysteme. | |
Für mich sind die amerikanische, deutsche und ägyptische Kultur Teil meines | |
Lebens und meines Gefühls von Vollständigkeit. Sie sind die Kulturen, in | |
denen ich ein Zuhause gefunden habe. | |
Auf dem Flug von Frankfurt nach Kairo nun fällt mein Blick auf einen weißen | |
Mann, vermutlich einen Deutschen, der eine Dschallabija trägt. Also ein | |
Kleidungsstück, das Tradition unter ägyptischen Bauern hat. Seine | |
Gebetskappe und sein langer Bart, genauso wie seine in eine pechschwarze | |
Abaja gehüllte Frau, signalisieren, dass ihm die ultrakonservativen | |
Salafisten deutlich näher stehen als die traditionelle ägyptische | |
Landbevölkerung. | |
Nicht nur ich, auch andere betrachten den deutschen Muslim neugierig, ohne | |
dabei feindselig zu sein. Wahrscheinlich denken viele Deutsche, dass dieses | |
ostentativ religiöse Paar in Ägypten die Mehrheit repräsentiert, doch das | |
stimmt nicht. Die meisten Ägypter genauso wie die Deutschen oder Amerikaner | |
richten ihren Alltag und ihre Weltsicht nicht an einer starren Ideologie | |
aus. Stattdessen benutzen sie einigermaßen zu ihnen passende soziale Codes, | |
verhalten sich also eher pragmatisch. | |
Als gebürtige Amerikanerin mit ägyptischen Vorfahren konnte ich eine für | |
mich authentische Identität ausbilden, denn ich hatte das Glück, in einem | |
Milieu aufzuwachsen, in dem die Akzeptanz von Differenz als Wert allgemein | |
hochgehalten wurde. Das hat mir Halt gegeben, gerade auch, als bestimmte | |
Kräfte in den USA versuchten, Araber und Muslime zu marginalisieren und zu | |
einer Art fünfter Kolonne des Landes zu degradieren. Und damit wären wir | |
beim – ja doch – Islamischen Staat, bei IS. | |
## Gründe für den Dschihadismus | |
IS ist eine Herausforderung für die Zivilisation, und zwar eine, die mehr | |
Menschen anzieht, als wir zugeben möchten. Gerade erst hatte ich die New | |
York Times aufgeschlagen, um erneut an dem inzwischen täglichen Versuch | |
teilzuhaben, die Monstrosität von IS zu verstehen. Diese intellektuelle | |
Agenda steht im steilen Gegensatz zu der Haltung, die etwa die | |
panarabische, in London beheimatete Tageszeitung Al-Hayat vertritt. Sie | |
spricht von IS nicht mithilfe pathetischer Begriffe wie Monstrosität. Sie | |
bedient sich einer eher technischen Herangehensweise: Welche Flügel von IS | |
treffen welche Regierungsmitglieder mit welchem Anliegen? | |
Der Artikel in der New York Times liegt zwar richtig, wenn er IS als | |
postmoderne Bewegung beschreibt, die sich gekonnt sozialer Medien bedient, | |
um Menschen für ihre Sache zu gewinnen. Doch zur wichtigsten Frage, nämlich | |
wie eine solch brutale Gruppierung überhaupt Mitstreiter rekrutieren | |
konnte, wird nur gesagt, dass die Leute, die ohnehin im Heiligen Krieg | |
sind, nun in Scharen zu IS überlaufen, weil dieser so extrem erfolgreich | |
ist. Doch warum ist der Heilige Krieg so attraktiv für so viele geworden? | |
Diese Frage wird nicht gestellt. | |
Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich bin überzeugt davon, dass es eine | |
Strömung unter Muslimen gibt, die an den Heiligen Krieg um seiner selbst | |
Willen glauben und dem Nahen Osten wie der Welt ein dogmatisches und | |
autoritäres System aufzwingen wollen. Sie nehmen den Koran buchstäblich, | |
sind fundamental frauenfeindlich und getrieben von einem tiefen | |
Machthunger. Diese Leute würden unter allen Umständen und überall zum | |
Heiligen Krieg aufrufen. Und es gibt in der Islamischen Tradition und | |
Literatur eine Richtung, die dieses Anliegen legitimiert. | |
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass jüdische Siedler gewalttätige | |
Besetzung von palästinensischem Land ebenfalls mit der buchstäblichen und | |
chauvinistischen Lektüre des Alten Testaments rechtfertigen. Gewalttätiger | |
Fundamentalismus ist keine exklusiv muslimische Eigenschaft. | |
## Assad ist der Terrorist Nr. 1 | |
Doch warum ist der Heilige Krieg attraktiv für so viele, die eben nicht in | |
die Kategorie der unverbesserlichen Fundamentalisten fallen? Wiederum gibt | |
die New York Times die Antwort. Sie sieht den Irak „an der Schwelle zum | |
Bürgerkrieg“ und erwähnt die US-Invasion mit keinem Wort. | |
Jeder, der behauptet, der Aufstieg von IS sei unabhängig von der Zerstörung | |
und Fragmentierung des Irak durch die USA, führt seine Leser entweder | |
bewusst in die Irre oder ist ungeheuer naiv. Oder hängt der rassistischen | |
Vorstellung an, Araber und Muslime seien von Natur aus sektiererisch und | |
gewalttätig. | |
In Syrien verweist Baschar al-Assad fröhlich auf die von IS ausgehende | |
Zerstörung (und wartet darauf, dass die Amerikaner IS für ihn erledigen) | |
und alle ignorieren, dass der größte Terrorist des Morgenlands genau dieser | |
Assad ist. An seinen Händen klebt das Blut von Hunderttausenden von Toten. | |
Natürlich hat der Heilige Krieg unter solchen Zuständen Zulauf. | |
Die Islamisten sind das Problem und auch das Symptom des Problems. Nämlich, | |
dass Diktatoren sicher sein können, dass niemand unter den internationalen | |
Entscheidungsträgern ihre Machttechniken zum Thema machen wird. Ihre | |
Monstrosität wird stets ausgeblendet. | |
Alle Menschen, darunter auch die in ihrer Mehrheit undogmatischen Muslime, | |
möchten in friedlichen Gesellschaften leben. Die Zerstörung des Irak durch | |
die Amerikaner und das Abschlachten der Syrer (in der Mehrheit Sunniten) | |
durch das Assad-Regime haben IS nicht nur ins Leben gerufen, sondern sorgen | |
für ihren Aufstieg. | |
Nur die Zivilisation, die genügend Demut zeigen kann, um ihre Rolle in dem | |
universellen System von Auslöser und Effekt zu verstehen, und nur die | |
Kultur, die die größtmögliche Toleranz für die allermeisten Menschen | |
anbieten kann, wird den Fundamentalismus besiegen können. | |
5 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Sarah Eltantawi | |
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Dschihadismus | |
New York Times | |
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