| # taz.de -- Streitgespräch: „Die Polizei darf auch nicht foltern“ | |
| > In Schleswig-Holstein werden immer wieder Regionen zu „Gefahrengebieten“ | |
| > erklärt. Polizistin Simone Lange (SPD) verteidigt diese Praxis, der | |
| > Piraten-Abgeordnete Patrick Breyer will sie rechtlich überprüfen. | |
| Herr Breyer, wollen Sie die Polizei abschaffen? | |
| Patrick Breyer: Nein, wir wollen, dass die Polizei da ist, wenn wir sie | |
| brauchen, dass sie uns aber auch in Ruhe lässt, wenn wir sie nicht | |
| brauchen. | |
| Frau Lange, bei Ihnen kam es anders an – Sie haben es Herrn Breyer | |
| vorgeworfen. | |
| Simone Lange: Ich gebe zu, das war etwas überspitzt. Aber die Frage sei | |
| erlaubt: Welche innere Sicherheit wollen die Piraten, welche Politik | |
| verfolgen sie? | |
| Erklären Sie es uns, Herr Breyer? | |
| Breyer: Die Polizei wurde ausgedünnt. Stellen wurden gestrichen, | |
| gleichzeitig sind die Befugnisse ausgeweitet worden. Wir wollen lieber mehr | |
| Personal auf der Straße anstelle immer neuer Befugnisse, die kaum Nutzen | |
| bringen, wie Videoüberwachung, Gefahrengebiete, Vorratsdatenspeicherung. | |
| Lange: Die Behauptung, wir würden Instrumente der Überwachung einsetzen, um | |
| Personal zu sparen, stimmt einfach nicht. In diesen so genannten | |
| Gefahrengebieten gibt es Anhalte- und Sichtkontrollen, um Straftaten | |
| aufzuklären. | |
| Herr Breyer, Sie haben angeboten, die Frage juristisch überprüfen zu lassen | |
| – das war ja eher eine Drohung? | |
| Breyer: Das Gesetz erlaubt, in weiten Gebieten Schleswig-Holsteins | |
| unbescholtene Personen zu kontrollieren. Das halten wir für | |
| grundrechtswidrig. Darum werbe ich dafür, wenn wir diesem ineffizienten | |
| Instrument politisch nicht beikommen, es juristisch zu tun. | |
| Lange: Sie sagen, dass es ineffizient ist. Wir können das gern überprüfen – | |
| aber Sie beantragen, das ganze Instrument zu streichen. Was denn nun, | |
| Streichung oder Prüfung? Und wenn es gestrichen wird, wie wollen Sie die | |
| Polizei ausstatten? Anderes Beispiel: Vorratsdatenspeicherung. Wir hatten | |
| sie mal und haben erfahren, dass sie wirkt. | |
| Zur Vorratsdatenspeicherung gibt es in der SPD und im Regierungsbündnis | |
| Konflikte. Innenminister Andreas Breitner geriet in die Kritik, weil er | |
| gesagt hat, fachlich stehe er für das Eine, politisch tut er das Andere. | |
| Ist das für Sie schwierig? | |
| Lange: Ich habe selbst als Polizistin mit der Vorratsdatenspeicherung | |
| gearbeitet und befürworte sie. Auf der anderen Seite bin ich Mitglied der | |
| SPD und halte mich an den Koalitionsvertrag. | |
| Breyer: Es gibt Grenzen, die die Verfassung und die Grundrechte auferlegen | |
| – die Polizei darf auch nicht foltern. Durch Vorratsdatenspeicherung hat | |
| sich die Aufklärungsquote nicht verbessert – und auch nicht verschlechtert, | |
| nachdem sie gestoppt wurde. | |
| Lange: Aber Daten werden nach wie vor gesammelt, weil die Provider sie | |
| speichern – allein für ihre Buchhaltung und das Finanzamt. Es ging nur | |
| darum, diese Daten in Händen privater Provider einheitlich zu regeln. Auch | |
| heute kann die Polizei darauf zurückgreifen. | |
| Breyer: Es stimmt nicht, dass Vorratsdatenspeicherung nur die | |
| Abrechnungsdaten betrifft. Eingehende Anrufe oder Einzelanrufe bei | |
| Flatrate-Verträgen müssen nicht zur Abrechnung gespeichert werden. Durch | |
| die Speicherung entsteht eine zusätzliche Datenbank. | |
| Zurück zu den Gefahrengebieten: Frau Lange, haben Sie kein seltsames Gefühl | |
| bei dem Gedanken, dass man einfach so angehalten und überprüft werden kann? | |
| Lange: Wenn es so wäre, wäre es in der Tat seltsam. Aber es gibt enge | |
| Grenzen, dieses Instrument anzuwenden. Die Polizei muss es begründen und | |
| Prognosen erstellen. Wenn ich Bandenkriminalität unterbinden möchte, dann | |
| muss ich dieses Instrument zur Gefahrenabwehr anwenden. Es gibt keine | |
| Gesellschaft ohne Straftaten, und es gehört mehr als Polizei dazu, um | |
| Straftaten zu verhindern. Also stellt sich die politische Frage: Wie | |
| umgehen mit Instrumenten, die in Grundrechte eingreifen? Ich habe nie | |
| gesagt, dass es triviale Eingriffe sind. Aber ich lasse nicht gelten, dass | |
| die Maßnahme wirkungslos ist. Im Instrumentenkoffer der Polizei liegen | |
| mehrere Dinge, unter denen ich gehalten bin, das mildeste zu wählen. Hier | |
| bringen mich die Piraten in Rage, die suggerieren, wir würden die Mittel | |
| auch noch illegitim anwenden. | |
| Bei den bekannt gewordenen Fällen ging es nicht um konkrete Taten, sondern | |
| ganze Regionen, etwa Neumünster, wurden für Monate zum Gefahrengebiet | |
| erklärt. Und der Erfolg? In Hamburg wurde ein Mensch mit einer | |
| hochgefährlichen Klobürste gefunden. | |
| Lange: Hamburg ist nicht Schleswig-Holstein. Wir haben andere und zwar | |
| strengere Voraussetzungen für Gefahrengebiete. Richtig ist, dass die Länge | |
| zu hinterfragen ist. Aber hier hat der Innenminister angekündigt, er wolle | |
| künftig unterrichtet werden. Das Gesetz sagt: 28 Tage, eine Verlängerung, | |
| dann muss ein Gericht eingeschaltet werden. | |
| Herr Breyer, in Hamburg war der Protest groß, in Schleswig-Holstein | |
| passierte nichts – laufen Sie mit Ihren Forderungen ins Leere? | |
| Breyer: Ich glaube, dass die Leute es in Hamburg anders gespürt haben. Die | |
| Gebiete wurde abgesperrt, es wurde kontrolliert, wer rein- und rausgegangen | |
| ist. Bei uns unterschied es sich nicht von normaler PKW-Kontrolle, nur dass | |
| auch in Kofferräume und Taschen geschaut wurde. | |
| Dann würden Sie Frau Lange Recht geben, die sagt, das Mittel sei milde | |
| angewendet worden? | |
| Breyer: Frau Lange vermischt zwei Dinge. Es gibt bestimmte Befugnisse an | |
| Orten, an denen Straftaten drohen, doch das ist normale Gefahrenabwehr. Wir | |
| wenden uns gegen das Gesetz, das vorsieht, dass aufgrund polizeilicher | |
| Erkenntnisse beliebige Personen angehalten werden dürfen. In einem ganzen | |
| Gebiet. Und ohne Prognose. Hier ist ein grundsätzlicher Unterschied: Die | |
| SPD will einen Präventionsstaat aufbauen, wir Piraten sind dagegen, im | |
| Nebel zu stochern. Der Innenminister sagt, wir müssten begründen, warum wir | |
| der Polizei Rechte nehmen wollen – das hat mich erschüttert. Wir sagen: Der | |
| Staat muss begründen, warum er unsere Rechte als Bürger einschränken will. | |
| Frau Lange, wer muss einen Eingriff begründen? | |
| Lange: Der Gesetzgeber, da sind wir einer Meinung. Aber wir haben einen | |
| Instrumentenkoffer, den ich, den die SPD für ausgewogen hält, auch um | |
| präventiv Straftaten zu verhindern. Wenn ich die Gefahr der Straftat nicht | |
| eingedämmt habe, ist es sinnvoll, die Maßnahme zu verlängern. | |
| Breyer: Straftaten werden immer stattfinden – trotz Gefahrengebieten. Sie | |
| sagen: Das Gefahrengebiet hat nichts geändert, daher bleibt es – das ist | |
| die Quintessenz der Innenpolitik der letzten Jahrzehnte: Das Instrument hat | |
| nichts bewirkt, also brauchen wir mehr davon. Wir Piraten sehen es | |
| umgekehrt: Wenn etwas nichts bringt, dann müssen wir etwas anderes | |
| versuchen. | |
| Piraten machen eine Anfrage nach der andren – nervt das, oder freut Sie das | |
| Interesse? | |
| Lange: Es ist ein Wust von Anfragen. Natürlich ist legitim, aber – und da | |
| schließt sich der Kreis – ich erkenne keine Linie bei den Piraten. Heute | |
| fragen sie nach Schusswaffen, morgen nach der Straffälligkeit von | |
| Polizisten … | |
| Breyer: Gute Idee, gute Frage! | |
| Lange: Ich bin weit entfernt zu sagen, dass es nervt, sondern gespannt, was | |
| die Piraten noch wissen wollen – ich erzähle auch gern was aus meinem | |
| Arbeitsalltag. | |
| ## Um Gefahrengebiete und den „Instrumentenkoffer“ der Landespolizei | |
| sprechen und streiten am Dienstag, 10. September, ab 19 Uhr in der „Pumpe“ | |
| in Kiel Innenminister Andreas Breitner, Patrick Breyer, der Innenexperte | |
| der Piraten-Landtagsfraktion, Burkhard Peters (Grüne) und Gunda | |
| Diercks-Elsner, Rechtsanwältin und Demobeobachterin der Humanistischen | |
| Union | |
| 4 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Esther Geisslinger | |
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