# taz.de -- Islamisten bedrohen Libanon: Nächstenliebe ist hier nicht gefragt | |
> Im Libanon rüsten sich Christen auf dem Schwarzmarkt für einen Angriff | |
> des IS. Militärische Unterstützung kommt auch von der Hisbollah. | |
Bild: Libanesische Soldaten prüfen eine Waffenlieferung aus den USA. | |
KAA ap | Bei Abendrot gleicht das libanesische Dorf Kaa in diesen Tage | |
einer Festung. Zu Dutzenden liegen Bewohner der Ortschaft in der hügeligen | |
Landschaft an der Grenze zu Syrien mit Maschinengewehren auf der Lauer. Sie | |
rüsten sich für einen Angriff muslimischer Extremisten. „Wir alle wissen, | |
dass sie uns ohne Grund die Kehlen durchschneiden werden, wenn sie kommen“, | |
warnt ein Mann, während er vor Einbruch der Dunkelheit durch die Straßen | |
von Kaa fährt. Neben ihm liegt ein Sturmgewehr. | |
Seit Monaten beobachten Christen im Libanon mit Schrecken, wie viele ihrer | |
Glaubensgenossen in Syrien und Irak vor Kämpfern der Terrormiliz | |
Islamischer Staat die Flucht ergreifen. Nicht wenige fürchten, dass sie als | |
nächstes an der Reihe sein könnten. | |
Besonders spürbar ist die Angst in Ras Baalbek und Kaa, zwei christlichen | |
Dörfern im Nordosten des Libanons. Viele von den Tausenden Exillibanesen, | |
die gerne ihre Sommer in der Region verbringen, sind in diesem Jahr | |
weggeblieben. Restaurants und zentrale Plätze der Dörfer sind völlig | |
verwaist. | |
Die Angst vor den Islamisten lässt viele Christen im Libanon erstmals seit | |
Ende des Bürgerkriegs 1990 wieder zum Gewehr greifen. Auf dem Schwarzmarkt | |
von Kaa und Ras Baalbek werden so viele Waffen verkauft wie schon seit | |
langem nicht mehr. Dahinter stecken in erster Linie einige linksgerichtete | |
und kommunistische libanesische Milizen, die seit langem über Kampfgeräte | |
verfügen. | |
## Grenzort tagelang belager | |
Doch auch die Hisbollah unterstützt indirekt die Bewaffnung, sieht sie doch | |
die bedrohten Dörfer bei einem möglichen Einfall von Kämpfern des | |
sunnitischen Islamischen Staats als erste Verteidigungslinie für | |
schiitische Ortschaften in der östlichen Region Bekaa. | |
Nur wenige Kilometer entfernt von Gebieten in Syrien, die sich in der Hand | |
von Dschihadisten befinden, sitzt Suleiman Semaan in seinem Haus in Ras | |
Baalbek. Alarmiert hätten ihn und andere Bewohner vor allem eine Attacke im | |
vergangenen Monat, als Extremisten aus Syrien tagelang den libanesischen | |
Grenzort Arsal belagert und dort mehrere Soldaten sowie Polizisten getötet | |
oder entführt hätten, sagt der Aktivist. | |
So massiv war die Gewalt bislang noch nie von Syrien in den Libanon | |
herübergeschwappt. Daher macht das Dorf mobil - zum Zweck der | |
Selbstverteidigung, wie Semaan betont. „Wir wollen niemanden attackieren, | |
und wir wollen nicht, dass uns irgendjemand attackiert.“ | |
Doch mit der Wiederbewaffnung der Christen drohen neue Spannungen in einem | |
Land, das sich über den Syrien-Konflikt ohnehin entzweit hat. In dieser | |
Woche kursierte etwa ein Video im Internet, das eine Gruppe von Jungen in | |
einem christlichen Viertel von Beirut beim Niederbrennen einer Flagge des | |
Islamischen Staats zeigt. Kurz darauf sprühten Vandalen folgende Worte auf | |
die Wände mehrerer Kirchen im Norden Libanons: „Der Islamische Staat | |
kommt.“ | |
## Muslim werden oder sterben | |
Für die Christen in Syrien und Irak ist das wohl keine leere Drohung. Als | |
Kämpfer des Islamischen Staats im Sommer weite Teile Nordiraks überrannten, | |
stellten sie Anwohner vor die Wahl: Entweder fliehen, Muslim werden oder | |
sterben. Zum ersten Mal seit Jahrhunderten leben in der althistorischen | |
Region um Ninive und der Provinzhauptstadt Mossul keine Christen mehr. | |
Im Laufe des nun seit dreieinhalb Jahren währenden Konflikts in Syrien | |
wurden ebenfalls Tausende Christen vertrieben. Viele der traditionell von | |
ihnen bewohnten Ortschaften gerieten ins Visier von Dschihadisten, erst | |
kürzlich die historische Stadt Mahrade. | |
Zwar galten Christen in Syrien und Irak seit jeher als verstreute | |
Minderheit, genossen jedoch jahrzehntelang unter säkulär gesinnten | |
Machthabern relative Sicherheit. Nun, da große Gebiete beider Länder der | |
Kontrolle der jeweiligen Regierungen entglitten sind, müssen viele | |
anderweitig Schutz suchen. Im Nordosten Syriens etwa kämpfen kleine | |
christliche Gruppen unter der Obhut der sogenannten Einheit für den | |
Volksschutz, einer kurdischen Miliz. | |
## Der Libanon ist pluralistisch | |
Doch in Syrien wie auch im Irak klagen Christen, sie verfügten einfach | |
nicht über genügend Kräfte, Waffen oder Training, um gegen die | |
kampferprobten Islamisten zu bestehen. Viele Flüchtlinge zieht es daher vor | |
allem in den Libanon, den sie mit seiner pluralistischen Gesellschaft als | |
relativ sicher ansehen. Das Land hat den größten Anteil an Christen im | |
Nahen Osten. Doch inzwischen geht auch hier die Angst vor den Islamisten | |
um. | |
Einer der Flüchtlinge ist der 41-jährige Amir, der aus Sorge um seine | |
Sicherheit nur seinen Vornamen nennt. Im vergangenen Jahr kam er aus der | |
nordostsyrischen Region Hassake, wo Araber, Kurden, Assyrer, Armenier und | |
Syrier einst friedlich nebeneinander wohnten. | |
Derzeit lebt er bei seinem Bruder in einer christlichen Gegend im Norden | |
von Beirut und überlegt, ob er nicht im Libanon um Asyl ersuchen soll. „Ich | |
will Syrien nicht aufgeben, will aber auch, dass meine Kinder sicher | |
aufwachsen. Ich will, dass sie an einem Ort groß werden, wo sie sich stolz | |
ohne Furcht bekreuzigen können“, sagt Amir. | |
6 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Bassem Mroue | |
Zeina Karam | |
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