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# taz.de -- Schule: Inklusion wird behindert
> Behinderte Kinder an Regelschulen müssen mit immer weniger Unterstützung
> von SchulhelferInnen auskommen. Grund: Der Etat für die Hilfe zur
> Inklusion ist gedeckelt.
Bild: Nicht mehr ganz da: behinderte Kinder und ihre HelferInnen an Regelschulen
Die Kreuzberger Charlotte-Salomon-Grundschule ist weit über den Bezirk
hinaus bekannt und beliebt: wegen ihrer pädagogischen Besonderheiten wie
etwa dem jahrgangsübergreifenden Lernen und wegen ihrer Erfolge bei der
Inklusion, also dem gemeinsamen Unterrichten von Kindern mit und ohne
Behinderungen. 54 der insgesamt 442 SchülerInnen der Grundschule brauchen
aufgrund von Behinderungen oder chronischen Erkrankungen besondere
Unterstützung. 21 von ihnen bekommen dafür sogenannte SchulhelferInnen zur
Seite gestellt.
Die helfen etwa diabeteskranken Kindern bei der Medikamenteneinnahme,
Gehörlosen mit Gebärdensprache bei der Verständigung oder autistischen
Kindern dabei, Vertrauen in die Schulumgebung aufzubauen.
Für viele Kinder mit Behinderungen wäre der Schulbesuch ohne diese
Unterstützung unmöglich. In diesem Schuljahr müssen sie allerdings mit
erheblich weniger Schulhelferstunden als bisher auskommen. Allein an der
Charlotte-Salomon-Grundschule sank die Zahl der bewilligten Stunden um 30
Prozent: von 180 im vergangenen auf 120 im laufenden Schuljahr. Dem
Landeselternausschuss sind fünf weitere Schulen bekannt, bei denen es
Kürzungen von einem bis zu zwei Dritteln des bisherigen Stundenumfangs gab.
Es werde dadurch „schwer, die Qualität der Förderung zu halten“, sagt die
stellvertretende Schulleiterin der Charlotte-Salomon-Grundschule Bärbel
Baurycza. Denn die SchulhelferInnen helfen nicht nur: Sie trainieren mit
vielen Kindern auch Selbstständigkeit. Das brauche aber Zeit, so Baurycza:
„Und wenn die nicht da ist, kann man ein Kind dann eben doch nur schnell
zur Toilette begleiten, statt den selbstständigen Toilettengang zu üben.“
Eine Zeitersparnis, die den Förderbedarf auf Dauer zementiert.
Grund für die sinkenden Stundenzahlen ist nicht nur, dass immer mehr Eltern
von Kindern mit Behinderungen diese an Regelschulen statt an speziellen
Förderzentren unterrichtet sehen möchten. Sondern vor allem, dass der Etat
für diese vom Senat ausdrücklich gewünschte Inklusion gedeckelt ist. Zwar
ist die vom Abgeordnetenhaus für Schulhelferstunden bewilligte Gesamtsumme
von 9,25 Millionen Euro für das Schuljahr 2013/14 mit 9,58 Millionen im
aktuellen Schuljahr sogar leicht gestiegen. Gleichzeitig bekommen die
SchulhelferInnen für ihre Arbeit mehr Lohn. Durch eine Gehaltserhöhung in
Anlehnung an den Tarifvertrag der Länder für den öffentlichen Dienst
stiegen ihre Einkommen um rund 7 Prozent.
## Mehr Lohn = weniger Zeit
Das sei aber die erste Gehaltserhöhung seit 2001, betont Urs Elssel,
Geschäftsführer des Trägers Tandem, der die meisten Helfer an Berliner
Schulen schickt. Natürlich gehe das „zulasten der Kinder, aber auch
zulasten mancher Helfer, deren Verträge nicht mehr verlängert werden
konnten“. Denn mit dem gestiegenen Lohn sinkt bei gedeckeltem Geldtopf die
Zahl der Stunden, die bezahlt werden können. „Das kann man nur durch
Erhöhung des Etats kompensieren“, so Elssel.
Dass die Schulhelfer endlich mehr Geld bekämen, sei richtig, sagt auch
Sigrid Baumgardt, Vorsitzende der Berliner PädagogInnengewerkschaft GEW:
„Sie erfüllen wichtige Aufgaben, die Lehrkräfte nicht übernehmen können.�…
Sie fordert, „den Deckel vom Etat zu heben“: „Wenn man Inklusion will,
steht doch außer Frage, dass Kinder, die Unterstützung brauchen, diese auch
bekommen müssen.“ Statte man Schulen dabei zu schlecht aus, „dann bekommt
man die KollegInnen nicht dazu, sich für Inklusion einzusetzen“.
Auch Inge Hirschmann, Vorsitzende des Berliner Grundschulverbands und
Leiterin einer inklusiven Grundschule, sieht in dem gedeckelten Topf ein
„Grundproblem“ der Inklusion. Inklusive Schulen müssten grundsätzlich und
dauerhaft entsprechend ausgestattet werden: „Dass Schulhelfer jährlich
beantragt werden müssen, ist Unsinn.“
An der Charlotte-Salomon-Schule wurde die Kürzung der Schulhelferstunden
nach Elternprotesten immerhin etwas zurückgenommen: Statt 120 Stunden
stehen nun immerhin wieder 150 zur Verfügung. „Geplant hatten wir aber
eigentlich mit 180 Stunden, wie im vergangenen Schuljahr“, sagt Baurycza,
„und wir haben in diesem Jahr ein Kind mehr mit Förderbedarf.“ So sei
Versorgung zwar irgendwie möglich, sagt die stellvertretende Schulleiterin:
„Aber bedarfsgerecht ist das nicht.“
7 Sep 2014
## AUTOREN
Alke Wierth
## TAGS
Volksinitiative
Kiez
Universität
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