# taz.de -- Prozessauftakt Bonner Kofferbomber: Aus Rache für den Propheten | |
> Salafist Marco G. soll am Bonner Hauptbahnhof eine Bombe gelegt haben. | |
> Auch ein geplantes Attentat auf den „Pro NRW“-Chef wird ihm zugerechnet. | |
Bild: Einsatzkräfte sichern im Dezember 2012 die Spuren am Bahnhof in Bonn. | |
BONN taz | Das Bild, das die Überwachungskamera aufgezeichnet hat, ist | |
verschwommen. Zu sehen ist ein mittelgroßer Mann mit Bart und Mütze, er | |
trägt eine helle Jacke zur dunklen Cargohose. In der Hand hält er eine | |
blaue Sporttasche. Was man nicht sieht: die selbst gebaute Rohrbombe in der | |
Tasche. Die Aufnahme aus einer McDonald’s-Filiale am Bonner Hauptbahnhof | |
war lange einer der wenigen Hinweise, den die Ermittler hatten. | |
Ab Montag steht Marco G. vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht. Der | |
26-Jährige ist der Mann auf dem Bild, da ist sich die Bundesanwaltschaft | |
inzwischen sicher. Sie hat den Bonner Salafisten, der vor sechs Jahren zum | |
Islam konvertierte, wegen versuchten Mordes angeklagt. Gegen 13 Uhr am 10. | |
Dezember 2012, einem Montag, soll Marco G. die selbst gebastelte Bombe | |
unter einer Bank auf Gleis 1 des Bonner Hauptbahnhofs abgelegt haben. Der | |
Zündwecker war auf 13 Uhr 30 gestellt. Um die Mittagszeit ist der Bahnsteig | |
belebt. Generalbundesanwalt Harald Range ist überzeugt: G. wollte möglichst | |
viele Menschen töten. | |
Die Katastrophe blieb aus. Die Bombe explodierte nicht. Laut Anklage könnte | |
das an einem Konstruktionsfehler gelegen haben. Oder daran, dass die | |
Zündvorrichtung instabil war. Die Bundesanwaltschaft geht trotzdem davon | |
aus, dass die Bombe zündfähig war. Deshalb die Anklage wegen versuchten | |
Mordes. Bei einer Explosion wären Menschen im Umkreis von drei Metern | |
getötet worden, heißt es in Ermittlerkreisen. | |
Jugendliche wurden auf die Tasche aufmerksam und verständigten die Polizei. | |
Der Bahnhof wurde geräumt, die Bombe mit einem Wassergewehr zerstört. | |
Anschließend stellten Ermittler die zerfetzten Überreste sicher: Drähte, | |
Teile des Weckers, Nägel, Batterien und ein mit Ammoniumnitrat gefülltes | |
Metallrohr. Einen Zünder und Initialsprengstoff, der für das Auslösen der | |
Explosion wohl notwendig gewesen wäre, fanden sie nicht. Die Zutaten für | |
die Bombe soll G. im Internet bestellt haben, die von al-Qaida verbreitete | |
Anleitung zum Bombenbau lud er hier herunter. So steht es in der | |
128-seitigen Anklageschrift. | |
## Frühes Scheitern | |
Wie kam Marco G. dazu? Wer sich seine Kindheit und Jugend vor Augen führt, | |
wie es die Anklageschrift macht, erfährt viel über das Scheitern. Marco G. | |
ist in Oldenburg aufgewachsen. Der Vater verließ die Familie, als Marco G. | |
noch ganz klein war. Schon in der Grundschule kam er nicht klar. Er musste | |
erst die 3. Klasse wiederholen, später auch die 8. Klasse der Hauptschule. | |
Früh hatte er Probleme mit der Polizei: Drogendelikte, Körperverletzung, | |
dann raubte er drei Supermärkte aus. Dafür bekam er zweieinhalb Jahre | |
Jugendarrest. Da war er 19 Jahre alt. | |
In der Jugendhaftanstalt Hameln machte er den Hauptschulabschluss, doch | |
eine Ausbildung oder einen festen Job fand er nicht. Im Gefängnis soll G. | |
auch mit dem Islam in Kontakt gekommen sein. Nach der Entlassung | |
konvertierte er und besuchte regelmäßig die Mayram-Moschee in Oldenburg. Ab | |
2010 radikalisierte er sich, laut Ermittlungen vor allem durch Propaganda | |
im Internet. Die „Kuffar“, die Ungläubigen, würden bald „Blut weinen“… | |
er Ende 2010 gesagt haben. | |
2011 zog er mit seiner deutsch-türkischen Frau, mit der er nach islamischem | |
Recht verheiratet ist, und dem kleinen Sohn in den Bonner Stadtteil | |
Tannenbusch. Immer häufiger suchte er im Netz nach Botschaften von | |
Terrorgruppen aus Afghanistan und Pakistan. | |
## Antwort auf „Pro NRW“ | |
Im Mai 2012, in Nordrhein-Westfalen war Landtagswahlkampf, machte die | |
rechtsextreme Splitterpartei „Pro NRW“ unter dem Slogan „Freiheit statt | |
Islam“ wieder einmal mit Provokation von sich reden. Bei Kundgebungen | |
zeigte sie demonstrativ Mohammed-Karikaturen und erzürnte damit viele | |
Muslime. | |
Auch die Bonner Salafisten-Szene versetzten die Bilder in Wut, es kam zu | |
Ausschreitungen. Dabei gingen Salafisten auf Polizisten los, einer stach | |
mit einem Messer auf zwei Beamte ein. Für Marco G. war das Verhalten von | |
„Pro NRW“ „eine nicht hinnehmbare Provokation“, meint Generalbundesanwa… | |
Range. G. beschloss, eine Bombe zu bauen. Als Racheakt. | |
Im Netz stieß G. auch auf Propagandavideos von Monir und Yassin Chouka, | |
zwei Bonner Brüdern, die in den Dschihad gezogen waren und sich im | |
afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet der „Islamischen Bewegung Usbekistan“ | |
anschlossen. Die Chouka-Brüder sind deren wichtigste deutsche | |
Propagandisten für den Heiligen Krieg. Yassin Chouka, der sich inzwischen | |
Abu Ibrahim nennt, forderte im Netz „Tod der Pro NRW“. | |
## Sprengstoff im Kühlschrank | |
Die Ermittler tappten lange Zeit im Dunkeln, nahmen erst zwei | |
Deutschsomalier fest, die sie dann wieder laufen lassen mussten. Sie | |
schnappten Marco G. erst, als er im März 2013, drei Monate nach dem Bonner | |
Hauptbahnhof, gemeinsam mit drei Gesinnungsgenossen einen Mordanschlag auf | |
„Pro NRW“-Chef Markus Beisicht vorbereitete. Die Ermittler hatten das | |
Quartett schon eine Weile im Visier, das Auto von Marco G. wurde abgehört. | |
Doch die Polizei hatte keine Ahnung, was die vier vorhatten. Im März 2013 | |
belauschten sie Marco G. und einen zweiten Mann der Truppe dabei, wie sie | |
das Haus des „Pro NRW“-Chefs in einem Vorort von Leverkusen ausspähten. Aus | |
dem Gespräch der beiden ging auch hervor, dass die Gruppe vielleicht schon | |
am frühen Morgen zuschlagen wollte. Die Polizei reagierte schnell: Sie nahm | |
die vier fest. G. und B. noch in Leverkusen, die beiden anderen in Bonn und | |
Essen. In G.s Wohnung in Bonn-Tannenbusch fanden die Beamten eine Pistole | |
der Marke Ceska, Schalldämpfer und Ammoniumnitrat. Später entdeckten | |
Kriminaltechniker noch eine Beretta in einem sichergestellten Staubsauger. | |
Was die Polizei jedoch übersah: Sprengstoff, den G. im Kühlschrank | |
aufbewahrte. Den stellte sie erst sicher, als G., längst in | |
Untersuchungshaft, aus Sorge um seine Familie einer Sozialarbeiterin | |
eröffnete, was er dort lagerte. | |
## DNA am Bombenrohr | |
Die Funde versetzten die Ermittler in Aufregung: Das Ammoniumnitrat ähnelte | |
der Mischung, die bei der Bonner Bombe verwendet wurde. Die Substanz im | |
Kühlschrank hätte als Initialsprengstoff verwendet werden können. Und die | |
Beamten stießen auf eine weitere Spur: G.s DNA war jener sehr ähnlich, die | |
auf dem Metallrohr der Bonner Bombe gefunden wurde. Ähnlich, aber nicht | |
identisch. Die DNA, stellten die Ermittler fest, stammte von G.s | |
dreijährigem Sohn. Eine Spur auf dem Wecker identifizierten sie als die DNA | |
von G.s Frau. | |
Die Anklage geht davon aus, dass Marco G. die Bombe allein gebaut und | |
abgelegt hat. Für Mittäter gebe es keine belastbaren Hinweise, heißt es in | |
Ermittlerkreisen. | |
Noch am Abend der Bombenlegung in Bonn soll sich Marco G. mit Enea B. | |
getroffen haben, einem seiner drei Mitstreiter. Wie lange sich die Männer | |
schon kennen, weiß man nicht. Die Anklage datiert die Gründung einer | |
terroristischen Vereinigung „spätestens“ auf kurze Zeit danach. Das Ziel: | |
Führungskader von „Pro NRW“ zu ermorden. Bei den Hausdurchsuchungen fanden | |
die Ermittler eine Liste, auf der insgesamt neun Namen rot markiert waren, | |
einer davon: Markus Beisicht. Alle vier Angeklagten stehen ab heute vor dem | |
Düsseldorfer Oberlandesgericht. | |
## Bisheriges Schweigen | |
„Pro NRW“-Chef Beisicht, der selbst Rechtsanwalt ist, wäre gern als | |
Nebenkläger in dem Prozess aufgetreten. Das hat das Gericht abgelehnt. Es | |
könnte sogar sein, dass Beisicht dem Prozess ganz fernbleiben muss, damit | |
er irgendwann noch als Zeuge gehört werden kann. Mit einem Geständnis von | |
Marco G. kann die Bundesanwaltschaft nicht rechnen, bislang hat er nicht | |
ausgesagt. Sein Verteidiger, der Bonner Rechtsanwalt Peter Krieger, geht | |
von einem langwierigen Verfahren aus. | |
„Die Anklage enthält viele unbewiesene Behauptungen, die in der | |
Hauptverhandlung überprüft werden müssen“, sagt Krieger, der Marco G. | |
gemeinsam mit seinem Kollegen Mutlu Günal verteidigt. „Der | |
Generalbundesanwalt wollte ein Beweisgebäude errichten, doch bei näherer | |
Betrachtung ist es nur ein Haufen Steine.“ Ein Angriffspunkt der | |
Verteidigung dürfte der fehlende Zünder bei der Bonner Bombe werden. | |
Bislang sind mehr als 50 Termine bis April kommenden Jahres anberaumt, die | |
Ankläger rechnen mit einer Dauer von etwa zwei Jahren. Marco G. droht bei | |
einer Verurteilung lebenslange Haft. | |
8 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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