| # taz.de -- Parlamentswahl in Schweden: Chance für die Sozialdemokratie | |
| > Nach acht Jahren konservativer Regierung steht das Land vor einer Wende. | |
| > Der Grund: Die Kluft zwischen Arm und Reich hat sich dramatisch | |
| > vergrößert. | |
| Bild: Die Prognosen stehen im Moment nicht gut für ihn: Schwedens Ministerpäs… | |
| STOCKHOLM taz | Manchmal wurde es auch ein wenig lebendiger. So, als | |
| Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt vor einigen Tagen in einer Debatte der | |
| Parteivorsitzenden seinen sozialdemokratischen Herausforderer Stefan Löfven | |
| der Lüge bezichtigte und ihn als „unwürdig“ bezeichnete, Schweden regieren | |
| zu können. Doch weil Blitzumfragen zeigten, dass die SchwedInnen es gar | |
| nicht schätzen, wenn es allzu kontrovers zugeht, zeigt sich Reinfeldt | |
| seither wieder ganz brav, verzichtet auf alle persönlichen Angriffe und die | |
| Debatten plätschern wieder friedlich-langweilig vor sich hin. | |
| Slogans wie „Alle werden für ein besseres Schweden gebraucht“ | |
| (Konservative) und „Ideen für ein besseres Schweden – für alle“ | |
| (Sozialdemokraten) lassen nicht unbedingt die schärfsten Alternativen | |
| aufeinanderprallen. | |
| Sollte dennoch bei der Parlamentswahl am Sonntag etwas anderes als ein | |
| Regierungswechsel herauskommen, wäre das eine große Überraschung. Die | |
| rot-grünen Oppositionsparteien führen laut Umfragen mit einem Vorsprung von | |
| knapp 10 Prozent vor den vier konservativ-liberalen Parteien der jetzigen | |
| Regierungsallianz. Und sie führen, weil sie eine neue Richtung in der | |
| Politik versprechen. | |
| Zwei Legislaturperioden lang konnte Reinfeldts Allianz ihren | |
| Steuersenkungskurs verwirklichen. Die öffentlichen Kassen wurden um | |
| jährlich 140 Milliarden Kronen (ca 15 Milliarden Euro) ärmer, die | |
| SchwedInnen dafür reicher. | |
| Allerdings höchst unterschiedlich. Bei den Gutverdienenden in den | |
| Villenvororten sammelten sich jährlich schon mal 4.000 Euro mehr auf dem | |
| Konto, bei der Krankenschwester in der Mietwohnung aber höchstens 200 Euro. | |
| 1996 war Schweden die weltweit am meisten gleichgestellte Gesellschaft. Nun | |
| ist man auf den 14. Platz abgerutscht. In keinem OECD-Land hat sich seit | |
| 2007 die Kluft zwischen Arm und Reich so sehr vergrößert wie in Schweden. | |
| Und in keinem Land wurde das Erstattungsniveau für Arbeitslose und Kranke | |
| so massiv gesenkt wie im Reinfeldt-Land. Die Klagen über immer längere | |
| Wartezeiten auf Operationen häufen sich, den Schulen fehlt es an allen | |
| Ecken und Enden und alte Menschen werden unzureichend versorgt, weil beim | |
| Personal zu viel eingespart wurde. Denn natürlich reißt ein geringeres | |
| Steueraufkommen überall im Sozialsystem Löcher. | |
| Nun haben die SchwedInnen zwar nichts gegen Steuersenkungen – aber auf | |
| Kosten der allgemeinen Wohlfahrt soll es möglichst nicht gehen. Die | |
| Kulturchefin von Aftonbladet formulierte das so: „Die Schweden sind ein | |
| sozialdemokratisches Volk und sie wollen sozialdemokratische Politik haben. | |
| Sie sind stolz auf ihr Sozialsystem und gehen ganz selbstverständlich davon | |
| aus, dass es für sie da ist, aber auch für alle anderen.“ | |
| ## Angeblich auch ein Sozialdemokrat | |
| Nicht zufällig kam auch Fredrik Reinfeldt nur an die Macht, weil er | |
| behauptete, der bessere Sozialdemokrat zu sein, und weniger Steuern und ein | |
| besseres Wohlfahrtssystem versprach. Ein Versprechen, das er ebenso wenig | |
| halten konnte, wie er die Arbeitslosigkeit senken konnte. Als | |
| „Massenarbeitslosigkeit“ hatte er 2006 eine Arbeitslosenrate von 6 Prozent | |
| gegeißelt. Nach seinen acht Regierungsjahren liegt sie bei 8 Prozent. | |
| Oppositionsführer Stefan Löfven und die Sozialdemokraten wollen eine | |
| massive Aufrüstung des Sozialsystems und der vernachlässigten Infrastruktur | |
| des Landes und sie versprechen neue Arbeitsplätze. Finanziert durch | |
| Steuererhöhungen von mindestens 10 Milliarden Euro. Die WählerInnen | |
| scheinen das zu mögen. Dass Reinfeldt in letzter Minute eine Kehrtwende | |
| hinlegte, kommt vermutlich zu spät. | |
| Als wahrscheinlichstes Wahlergebnis gilt eine rot-grüne Koalition, | |
| toleriert von der Linkspartei und der „Feministischen Initiative“, die | |
| erstmalig in den Reichstag einziehen könnte. Ein Unsicherheitsfaktor ist | |
| das Abschneiden der rassistischen „Schwedendemokraten“. Bekommen die ein | |
| zweistelliges Ergebnis, könnte eine Regierungszusammenarbeit über die | |
| Blockgrenzen nötig werden. | |
| 11 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Reinhard Wolff | |
| ## TAGS | |
| Parlamentswahl | |
| Fredrik Reinfeldt | |
| Stefan Löfven | |
| Kohlekraft | |
| EU | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Kommentar Wahlausgang in Schweden: Rot-Grün ohne Mehrheit | |
| Von den sozialen Gräben in Schweden haben bei der Wahl vor allem | |
| Rechtspopulisten profitiert. Es droht eine ständig wechselnde | |
| parlamentarische Mehrheit. | |
| Regierungswechsel in Schweden: Keine Königsmacher von rechts | |
| Die Sozialdemokraten haben die Wahl gewonnen, aber für eine Regierung | |
| reicht es nicht. Die rassistische SD verdoppelt ihren Stimmenanteil. | |
| Liebe zu Schweden: Risse im Bild | |
| Fiese Rechte, keine Jobs und marode Schulen. Es läuft viel schief in | |
| Elchland. Trotzdem lieben wir es. Das muss man erstmal schaffen. | |
| Wahlkampf in Schweden: Ist das Volksheim morsch? | |
| Am Sonntag wählen die Schweden einen neuen Riksdag. Wie sieht es aus im | |
| Land des einstigen „Volksheims“? Ein Besuch in der Provinz. | |
| Vattenfall im schwedischen Wahlkampf: Nebelwolken vor dem Wasserfall | |
| Zwingt Stockholm Vattenfall, aus der Braunkohle auszusteigen? Neue Tagebaue | |
| sind in Schweden zum Wahlkampfthema geworden. | |
| Wahlkampf in Schweden: Humanität in Kronen und Öre | |
| Die schwedische Regierung verfolgt eine großzügige Flüchtlingspolitik. Doch | |
| jetzt werden die vermeintlich hohen Kosten zum Thema. | |
| Streit um EU-Kommissionspräsidenten: Vielleicht reißt's eine Bootfahrt raus | |
| Schwedens Ministerpräsident hat in seinen Landsitz geladen und Angela | |
| Merkel, David Cameron und Mark Rutte kommen. Um über Jean-Claude Juncker zu | |
| sprechen. | |
| Rassismus in Schweden: Polizeischutz für Neonazis | |
| Individuelle Volksverhetzung ist in Schweden strafbar – organisierter | |
| Rassismus erlaubt. Deshalb schützt die Polizei eine Demo der „Partei der | |
| Schweden“. |