# taz.de -- Mobilbauten für Flüchtlinge: Ein Zwischenort | |
> In Bremen-Hemelingen wohnen Flüchtlinge gezwungenermaßen abgeschottet. | |
> Aber unter überraschend guten Verhältnissen – weil ein Architekt auf | |
> seine schiitische Mitarbeiterin gehört hat. | |
Bild: Nur anders angeordnet - und doch ein anderes Lebensgefühl: Im Hemelinger… | |
BREMEN taz | Wie eine kleine Trutzburg steht das Flüchtlingsdorf zwischen | |
Sportanlagen und einem Maisfeld am Rande von Bremen-Hemelingen. Tatsächlich | |
erinnern die zweigeschossigen Wohneinheiten mit ihren kleineren Anbauten | |
daneben ein wenig an Türme. Im Hintergrund ist die A 1 zu sehen und der | |
Verkehr auch deutlich zu hören. Bauland in Bremen ist rar und hart | |
umkämpft: kaum Anwohner, die sich um Flüchtlingsbauten wie diese hier | |
gerissen hätten. Direkt auf der anderen Straßenseite beginnt ein Wohngebiet | |
mit Einfamilienhäusern und gepflegten Gärten. | |
Container-Wohnen: Eigentlich sollte genau das früher einmal unbedingt | |
vermieden werden. FlüchtlingshelferInnen haben schon vor Jahren darauf | |
aufmerksam gemacht, dass sich abgeschottete Unterbringungen verheerend auf | |
die körperliche und geistige Gesundheit von Flüchtlingen auswirken kann. | |
Aber in Hemelingen kann man sich ansehen, was es bedeutet, wenn der | |
Architekt eines solchen Notbehelfs eine schiitische Mitarbeiterin hat. Wenn | |
er kurz innehält und überlegt, was für die Bewohnerinnen Rückzugsraum sein | |
kann, wenn er Alltägliches im Blick hat, wie die Frage, wo sie sich waschen | |
wollen. | |
Der Komplex ist nagelneu und bisher findet kein Navi die Adresse. Doch | |
nicht nur darum fährt man leicht an der Einfahrt vorbei: Der Bau ist in | |
unterschiedlichen Grüntönen gefertigt und mogelt sich so unauffällig | |
zwischen Bäumen und Feld in die Landschaft. Die farbliche Stimmigkeit ist | |
kein Zufall: Die Nachbarn haben so keinen optischen Fremdkörper vor dem | |
Küchenfenster und den BewohnerInnen mag es leichter fallen, sich in den | |
Mobilbauten zu Hause zu fühlen, wenn sie nicht wie weiße Legebatterien in | |
den Himmel ragen. Zu sehen ist von den BewohnerInnen noch niemand –kaum | |
vorstellbar, dass hier 120 Menschen leben sollen. | |
„Doch, wir sind voll belegt“, sagt Jürgen Schneider, der die Einrichtung | |
für die Arbeiterwohlfahrt betreut. „Mehr gehen auf keinen Fall rein.“ Auf | |
dem Innenhof stehen gerade mal fünf junge Männer um einen Kicker. Sie | |
unterbrechen ihr Spiel und blicken herüber – so häufig scheint Besuch hier | |
nicht zu sein. | |
Hier entpuppt sich die Burg plötzlich als ein lockerer Komplex aus | |
verschiedenen Einzelbauten. Die Raummodule werden von Sekundärdächern | |
überspannt: an die Nachbarhäuser erinnernde Dachschrägen, die zwei baulich | |
verbundene Container nach einem Gebäude aussehen lassen, indem sie die | |
Spalten überspielen. Von der Autobahn ist hier im Hof kaum noch etwas zu | |
hören, dafür knallt ein Teppichklopfer irgendwo zwischen den Containern auf | |
Stoff. | |
Um ein paar Ecken führt der Weg in einen kleineren Innenhof. Metalltreppen | |
an der Außenwand führen hoch auf Balustraden und dort zu den | |
Wohnungseingängen. Wie auf Balkonen stehen hier auch die Bewohnerinnen: Sie | |
haben Teppiche und Handtücher zum Trocknen über die Geländer gehängt und | |
unterhalten sich offensichtlich gut gelaunt, wirken miteinander vertraut. | |
## Erheblich größerer Bewegungsraum | |
Innerhalb solcher nur halb-öffentlicher Nachbarschaften würden viele | |
gläubige Musliminnen ohne Kopftuch aus dem Haus gehen, erläutert Stefan | |
Feldschnieders, aus dem Büro Architekten BDA Feldschnieders + Kister, der | |
die Anlage entworfen hat. In einem solchen Atrium hätten sie darum | |
erheblich größeren privaten Bewegungsraum als es in einreihig | |
aufgestapelten Wohncontainern der Fall wäre. | |
Den Denkanstoß verdankt er einer schiitischen Mitarbeiterin, aber die | |
Bauweise hat auch historische Vorbilder: „Es ist nicht so, dass wir uns das | |
einfach mal eben ausgedacht hätten. Im Orient wird seit Jahrtausenden so | |
gebaut“, sagt Feldschnieders. Außerdem beschatten Sekundärdach und Treppen | |
die Hauseingänge, sodass in den Sommermonaten besser gelüftet werden kann. | |
Wesentlich teurer als es Container in Reihe wären, ist diese Bauweise | |
nicht. „Der Preis dafür“, so Feldschnieders, „sind lediglich etwas höhe… | |
Ansprüche an die Außendämmung.“ Denn ohne Innenflure liegt mehr Wandfläche | |
außen. | |
Eine Bewohnerin zeigt stolz die Wohnung, die sie mit einer anderen Frau | |
teilt: Sechs Quadratmeter Küche mit eigenem Herd, eine gewöhnliche | |
Einbauküche mit Buchenfurnier, die noch nach Neubau riecht. Daneben ein Bad | |
mit eigener Dusche – etwas mehr als halb so groß. Und zum Schluss das | |
Schlafzimmer mit zwei Betten auf zwölf Quadratmetern. Familienwohnungen, | |
wie es sie eine Tür weiter gibt, haben zwei Schlafräume und eine größere | |
Küche. Im Erdgeschoss gibt es auch drei barrierefreie Wohnungen. | |
## Notdürftig in den Küchen gereinigt | |
Auch Gruppenduschen seien im Gespräch gewesen, sagt Feldschnieders, die | |
Frauen hätten sie aber kaum angenommen und sich stattdessen notdürftig in | |
den Küchen gereinigt – auch das ein Hinweis von Feldschnieders’ | |
Mitarbeiterin. Die Bewohnerin dieses Moduls sagt „friend“, wenn sie | |
Mitbewohner meint und das scheint nicht nur eine Unklarheit in den Vokabeln | |
zu sein: Die Stimmung ist ausgesprochen gut in diesem kleinen Bereich, wo | |
selbst die Männer am Kicker weit weg zu sein scheinen. | |
Auch Konflikte zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft gibt es hier | |
kaum, sagt Verwalter Schneider. Vielleicht liegt es daran, dass die | |
einzelnen Wohnhäuser autark funktionieren: Die meisten haben einen eigenen | |
Waschraum und eigene Schuppen für den Müll, damit der sich nicht irgendwo | |
auftürmt. Alles besteht aus Containerelementen, wie sie auch bei den | |
Wohnungen verwendet wurden. Von außen lassen sich Verwaltungsgebäude, | |
Gemeinschaftshaus, Lager und Wohnungen nur an Türen und Fenstern | |
unterscheiden: In den meisten Wohnungen sind Gardinen zu sehen, der | |
Müllraum hingegen hat gar keine Fenster. | |
Für den Architekten Feldschnieders ist das Zusammenstellen der Einheiten | |
ein Puzzlespiel mit mehreren richtigen Lösungen: Theoretisch können aus den | |
Bausätzen auch Studentenwohnheime oder Unterrichtsräume für überbelegte | |
Schulen entstehen. Auch hier in Hemelingen gibt es Schulungsräume, in denen | |
täglich Deutschkurse stattfinden. An der Wand lehnt eine Tafel mit | |
aufgemalten Uhrzeiten: sechs Uhr, Viertel vor vier, halb zwölf. | |
## Der Zusammenhang von Wohnort und Leben | |
Nebenan ein Spielzimmer für Kinder, die es zurzeit kaum gibt: Nur acht | |
wohnen momentan hier. Man hatte mit mehr gerechnet, aber das | |
Flüchtlingsaufkommen ist eben sehr viel flexibler als der organisatorische | |
und politische Vorlauf solcher Übergangswohnheime. Jetzt gucken die Puppen, | |
Bilderbücher und die Holzeisenbahn ein bisschen verloren aus den | |
Pappkartons. | |
Auch der Sandkasten im Innenhof ist noch unbenutzt. Feldschnieders könnte | |
ihn jetzt umplanen: Die Sandkiste vielleicht abdecken und in Sitzgruppen | |
für die älteren BewohnerInnen integrieren. Kleinigkeiten auf den ersten | |
Blick, aber sie bestimmen die Nutzung des Raums nachdrücklich. Mehr als | |
irgendwo sonst wird der Zusammenhang von Wohnort und Leben da deutlich, wo | |
mittellose Menschen kaserniert zusammenleben. | |
Zumindest in Bremen ist das erklärte Ziel darum auch die Unterbringung in | |
privatem Wohnraum. Auch die Bewohner dieser Mobilbauten sollen nach | |
spätestens drei Monaten anderswo untergekommen sein. Bis dahin aber liegen | |
hier möglicherweise auch Chancen: Im Nachbarschafts-Atrium leben die | |
Menschen mit anderen zusammen, die ähnliche Fluchtgeschichten haben, mit | |
denen sie sich austauschen und miteinander irgendwo ankommen können. | |
Vielleicht ist das gar eine notwendige Vorstufe richtiger Integration: Denn | |
die privaten Wohnungen draußen sind hart umkämpft, gerade der sogenannte | |
„bezahlbare Wohnraum“. Um den drängen sich Obdachlose, | |
SozialhilfeempfängerInnen, Studierende oder RentnerInnen. | |
Wohnungseigentümer können sich die Menschen, die hier miteinander um ein | |
paar Quadratmeter konkurrieren, praktisch nach Belieben aussuchen. | |
Schneider spricht im Schulungsraum dann auch gar nicht zuerst von | |
Sprachkompetenz, sondern von Mut. Und den braucht man, um die Trutzburg | |
irgendwann zu verlassen und einen eigenen Mietvertrag zu unterschreiben. | |
15 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Jan-Paul Koopmann | |
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