# taz.de -- Demo der Abtreibungsgegner: „Kritik an modernen Lebensentwürfen�… | |
> Am Samstag veranstalten Abtreibungsgegner den „Marsch für das Leben“. | |
> Autor Ulli Jentsch über die Sprengkraft dieser Bewegung. | |
Bild: Jedes Jahr aufs Neue: Abtreibungsgegner mit ihrem "Marsch für das Leben"… | |
taz: Herr Jentsch, zum elften Mal findet an diesem Wochenende der „Marsch | |
für das Leben“ statt. Sie haben über die Bewegung dahinter ein Buch | |
geschrieben – was wollen die selbsternannten Lebensschützer mit dieser | |
Demonstration? | |
Ulli Jentsch: Der Marsch ist das zentrale Event dieser Szene. Die Bewegung, | |
darunter viele christliche Fundamentalisten und einige extrem Rechte, | |
wendet sich damit an die Bundespolitik und will öffentlichkeitswirksam | |
zeigen, dass sie mit der aktuellen Abtreibungspolitik nicht einverstanden | |
ist. Der Marsch wird schon seit einer Weile jedes Jahr größer – wir | |
vermuten, dass das damit zusammenhängt, dass die Themen Familienpolitik | |
oder sexuelle Vielfalt seit einigen Jahren gesellschaftlich intensiver | |
diskutiert werden. | |
Sie beschreiben in Ihrem Buch den Imagewandel, den diese Bewegung | |
durchgemacht habe. Worum geht es dabei? | |
Die Lebensschützer befanden sich Mitte der neunziger Jahre in einer Krise, | |
nachdem ihre Verstrickungen mit dem extrem rechten Rand öffentlich wurden. | |
Daraufhin hat man sich neu aufgestellt: Zum einen wird heute moderater und | |
sanfter formuliert, es werden keine scharfen Angriffe mehr gefahren. Zum | |
anderen gibt es die Ausweitung der Thematik: Längst geht es nicht mehr nur | |
um Abtreibungen, sondern auch etwa um Präimplantationsdiagnostik oder | |
Sterbehilfe. Dazu muss man auch wissen, dass diese Bewegung finanziell sehr | |
gut aufgestellt ist und sehr professionelle Kampagnen, ein sehr | |
professionelles Wording betreiben kann. | |
Ist es dann überhaupt noch richtig, die Lebensschützer als | |
Ein-Punkt-Bewegung zu charakterisieren? | |
Tatsächlich ist die Forderung nach Abschaffung des Abtreibungsparagrafen | |
218 nur eine Zuspitzung. Dahinter steht, zumindest bei den Organisatoren | |
und einem Teil der Teilnehmer, eine fundamentale Kritik an modernen | |
Lebensentwürfen, eine sehr generalisierte Kulturkritik. | |
Der Marsch hat Unterstützung auch aus etablierten Parteien, etwa der CDU. | |
Gleichzeitig sprechen Sie von „antidemokratischen Tendenzen“ der Bewegung �… | |
wie geht das zusammen? | |
Antidemokratisch ist aus unserer Sicht die Vermischung von Kirche und | |
Staat, die hier propagiert wird. Da wird etwa ein „Deutschland nach Gottes | |
Geboten“ gefordert oder die Bibel dem Grundgesetz vorausgestellt. Da | |
kracht’s ganz gewaltig im Gebälk und da fragen wir uns schon, warum die | |
Strömungen der CDU, die diesen Marsch unterstützen, sich dafür eigentlich | |
nie rechtfertigen mussten. | |
Gegen den Marsch wird auch an diesem Wochenende protestiert. Wie kann eine | |
erfolgreiche Strategie gegen eine so auf Außenwirkung bedachte Bewegung | |
aussehen? | |
Zunächst ist eine tiefere Beschäftigung mit der Bewegung wichtig. Es muss | |
klar sein, dass es hier nicht nur um die Entscheidungen einzelner Frauen | |
geht, sondern welche politische Aussagekraft das hat, was da an Themen und | |
Personal drinsteckt. Aber auch beim Thema Abtreibung gibt es große | |
Sprengkraft: Diese Leute wollen den gesellschaftlichen Kompromiss, dass | |
Abtreibungen nicht erlaubt sind, aber auch nicht strafrechtlich verfolgt | |
werden, aufkündigen. Dass Menschen dagegen auf die Straße gehen, kann | |
sicher nicht schaden. | |
## ■ „Deutschland treibt sich ab – Organisierter ’Lebensschutz‘, | |
christlicher Fundamentalismus und Antifeminismus“. Ulli Jentsch, Eike | |
Sanders, Felix Hansen. Unrast Verlag 2014, 98 Seiten, 7,80 Euro | |
19 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Malene Gürgen | |
## TAGS | |
Paragraf 218 | |
Baden-Württemberg | |
Gender | |
Feminismus | |
Schwerpunkt „Marsch für das Leben“ | |
Schwerpunkt Abtreibung | |
Schwerpunkt Abtreibung | |
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