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# taz.de -- Die Wahrheit: Hohe Scotch-Wellen
> Auch fast eine Woche nach dem Unabhängigkeits-Referendum bewegen die
> Schotten die Gemüter der Separatisten dieser Welt.
Bild: Der Scotch fließt in Strömen bei den erstaunlich ausgelassenen Schotten.
Mit seinen letzten Getreuen hat sich der scheidende schottische
Ministerpräsident Alex Salmond auf den Gipfel des Arthur’s Seat
zurückgezogen, jenen stets nebelverhangenen Berg, der sich grau und drohend
über Edinburgh erhebt. Deutlicher als erwartet hatten die Schotten am
vorigen Donnerstag für den Verbleib ihres Landes im United Kingdom gestimmt
und den hochfliegenden Unabhängigkeitsplänen eine Absage erteilt.
Doch wer hier in den innenstadtnahen Highlands oberhalb der Royal Mile ein
schottisches Alamo erwartet hatte, wird enttäuscht. Die Stimmung im Camp
der unterlegenen Sezessionisten ist gelassen, wenn nicht gar ausgelassen,
um nicht zu sagen: außer Rand und Band. Scotch und Ale fließen in Strömen,
und alle paar Minuten wankt ein Parlamentarier an die Abbruchkante, um sich
zu erleichtern oder dem nahe gelegenen Holyrood Palace, der Residenz der
Queen, den nackten Hintern entgegenzustrecken. Denn so will es ein alter
schottischer Brauch, den bereits Nationaldichter Robert Burns in seinem
Poem „Show ye butte (to the king)“ verherrlicht hat.
Zwar reißt es beim trunkenen Entkleidungsversuch immer wieder
Kabinettsmitglieder der Scottish National Party in die Tiefe, doch wird
jeder Rücktritt begeistert mit gälischen Gesängen gefeiert, die von
heldenhaft verlorenen Schlachten gegen die Engländer berichten. Der
Nuancenreichtum, den die gälische Sprache an den Tag legt, wenn es darum
geht, schmerzliche Niederlagen nachträglich schönzusingen, ist stets
beeindruckend.
Auch Alex Salmond reiht sich nahtlos in diese großartige keltische
Tradition ein. „Endlich haben wir die Engländer da, wo sie hingehören“,
röhrt der untersetzte Politiker, dessen Kilt das Fischgrätmuster des Hauses
Salmond trägt. „Auf ewig in Schottland?“, fragt ungläubig ein Gefolgsmann,
dessen Kilt aus Duct Tape und Büroklammern ihn als waschechten MacGyver
ausweist. „Nein, auf ihren gottverdammten Knien“, ruft Salmond, und seine
Anhänger schlagen zustimmend ihre Schwerter gegen die Schilde. Natürlich
schlagen sie bloß Kugelschreiber gegen Aktenordner, aber hier zählt noch
die virile Geste.
So viel Optimismus erstaunt denn doch, zumal Gerüchte über
Unregelmäßigkeiten beim verlorenen Referendum die Runde machen. Elizabeth
II. etwa soll kurz vorher verdächtig viel Personal angestellt haben. Zwar
sollten die zusätzlichen 17.000 Gärtner den Parks rund um ihr Anwesen
Balmoral angeblich bloß einen flotten Herbstschnitt verpassen, tatsächlich
aber wurde das unionistische Lager so mit Stimmvieh versorgt, denn
traditionsgemäß hat sich die Dienerschaft der Meinung ihrer Herrschaft
anzuschließen. Den Slogan des UK-Lagers „No thanks“ hatte die Monarchin
zuvor in ein entschiedeneres „For fuck’s sake No“ umformuliert und mit der
Nagelschere in die Buxbaumhecke schnitzen lassen.
Dennoch birgt die Niederlage taktische Vorteile, spielen die schottischen
Nationalisten das Blatt geschickt aus, das der britische Premier David
Cameron ausgeteilt hat, als er sich kurz vor der Wahl zu weitgehenden
Autonomieversprechen hinreißen ließ. „Wir schottischen Parlamentarier
können in Westminster Gesetze machen, die bloß Engländer betreffen, während
englische Parlamentarier bald überhaupt keinen Einfluss mehr auf Beschlüsse
des schottischen Parlamentes haben werden. Darauf haben wir 300 Jahre
gewartet“, fasst ein Labour-Hinterbänkler zusammen, der das United Kingdom
heimlich in einem Großschottland aufgehen lassen will. „Dazu müssen wir
aber die Mehrheiten in Großbritannien umkehren. Deswegen bieten wir allen
sezessionswilligen Völkern schnell und unbürokratisch den Beitritt zum
Vereinigten Königreich an. Sie müssen halt bloß vorher Schotten werden,
trojanische Schotten gewissermaßen.“
„Dagegen ist nichts einzuwenden“, findet Jordi Poum, den die Katalanen als
Wahlbeobachter geschickt hatten. „Etwas besseres als Spanien findet man
überall.“
Ein belgischer Abgeordneter des reaktionären Vlaams Belang wiederum
schwärmt von der vorbildlichen Sozialpolitik der Tories, während ein
baskischer Wahlbeobachter verträumt auf seiner Gaita spielt, der
baskisch-galizischen Variante des Dudelsacks. Sogar aus dem fernen Lugansk
sind Unterstützer angereist, denen ein Beitritt zum Vereinigten Königreich,
das der EU ohnehin bald den Rücken kehrt, als verlockende Alternative zur
Assoziierung mit Russland erscheint. Die Separatisten wollen ihr
Herrschaftsgebiet Novo Rossija in Nova Scotia umbenennen, scheitern aber an
einer Markenschutzklage der gleichnamigen kanadischen Provinz.
„Dann nennen wir uns eben New Caledonia“, meint Yevgeni MacMalevitch,
Sprecher der ostukrainischen Neo-Schotten, der stolz die Farben seines
Clans trägt: schwarze Quadrate auf weißem Grund. „Wir werden jedenfalls den
Fehler von Bonnie Prince Charlie nicht wiederholen“, erläutert der
Labour-Politiker. Der royale Rebell war 1746 mit einer schottischen
Invasionsarmee gen London marschiert, ohne sich vorher internationaler
Unterstützung zu versichern. CHRISTIAN BARTEL
22 Sep 2014
## AUTOREN
Christian Bartel
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Schottland
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