# taz.de -- Die Wahrheit: Heim ins Königreich | |
> Aus dem Inneren der CSU berichtet ein Whistleblower, der sämtliche | |
> Geheimnisse des christlich-sozialen Untergrunds kennt. | |
Bild: Bayerns König Horst Seehofer soll ein direkter Nachfahre Jesu sein. | |
Max Gstettenbauer* hat den unsteten Blick eines gehetzten Tieres und die | |
zitternden Hände eines niederbayerischen Gemeinderats kurz vor dem ersten | |
Frühschoppen. Denn seit ihm unbekannte Täter als letzte Warnung einen toten | |
Gamsbart an den Hut genagelt haben, fühlt sich der Whistleblower auch | |
physisch bedroht. Das behauptet er jedenfalls. Dennoch oder gerade deswegen | |
sucht der unscheinbare Gstettenbauer, der sich selbst in der Tradition | |
eines Edward Snowden oder Gustl Mollath sieht, nun den Kontakt mit den | |
Medien. | |
„Schaun’s“, flüstert der Exilbayer. „Für mich gibt es da gar keinen | |
Zweifel. Der CSU will die Macht im ganzen Land übernehmen.“ – „Der CSU?�… | |
„Der Christsoziale Untergrund. Eine einflussreiche Geheimorganisation | |
innerhalb der Partei, die Preußen heim ins Reich holen will. Ins Königreich | |
Bayern, versteht sich. Die Koalition in Berlin war nur ein weiterer kleiner | |
Schritt zur Macht.“ | |
Gstettenbauer schaut uns erwartungsvoll an, als habe er gerade die exakten | |
Koordinaten von Atlantis preisgegeben. | |
„Das erscheint doch etwas spekulativ“, bemühen wir uns höflich um Mäßig… | |
„Die CSU ist doch keine allmächtige Kampforganisation, sondern eine | |
Regionalpartei, die ohnehin nur in einem einzigen Bundesland zur Wahl | |
steht.“ | |
„Wie naiv sind Sie denn?“ höhnt er. „Sie glauben doch nicht im Ernst, da… | |
eine so unbedeutende Partei der Bundespolitik über Wochen die Themen | |
diktieren könnte?“ | |
## Es geht um ganz Duisburg | |
„Doch, leider“, erwidere ich, aber meine Antwort geht in einer ebenso | |
leidenschaftlichen wie hermetischen Tirade unter, wie sie seit jeher zum | |
Handwerkszeug eines jeden Verschwörungstheoretikers gehört. | |
„Das Betreuungsgeld?“ ereifert sich Gstettenbauer. „Nichts als ein | |
staatlich alimentiertes Zuchtprogramm für den eigenen Nachwuchs. Die | |
Autobahnmaut? Ein Ablenkungsmanöver, um das kriegswichtige | |
Verkehrsministerium in die Hand zu bekommen.“ – „Kriegswichtig?“ fragen… | |
ungläubig nach, aber Gstettenbauer hat das Thema bereits abgehakt. | |
„Die Armutsmigrationsdebatte?“ legt er nach. „Da geht es doch nur | |
vordergründig um Osteuropäer. In Wahrheit wird hier die Abschiebung | |
sämtlicher Minderleister argumentativ vorbereitet. Oder, um es plastischer | |
zu formulieren: Dem CSU geht nicht um einen Häuserblock in Duisburg, der | |
die blauweiße Idylle stört, sondern um ganz Duisburg, das die Idylle stört. | |
So sieht es doch aus.“ | |
„Das glauben wir nicht“, wenden wir ein. „Auf die xenophoben Reflexe der | |
CSU konnte man sich immer verlassen. Wenn sie Rumänen sagen, dann meinen | |
sie auch … naja, eigentlich meinen sie dann Zigeuner, trauen sich aber noch | |
nicht, das böse alte Wort zu benutzen, das ihnen auf der Zunge brennt.“ | |
## „Sie kontrollieren das Netz“ | |
Aber Gstettenbauer lässt nicht locker, immer verstiegener werden seine | |
Theorien zur Bayern-Verschwörung. Als er uns den Starkbieranstich am | |
Nockherberg als Gralsritual und Horst Seehofer als direkten Nachfahren Jesu | |
verkaufen will, wird es uns zu bunt. „Also, im Internet haben wir nichts | |
darüber gefunden“, spielen wir unseren Trumpf aus. Denn bekanntlich sind | |
Verschwörungstheorien immer nur so wahr, wie ihre Netzgemeinde umtriebig | |
ist. Aber auch darauf weiß Gstettenbauer eine Antwort. | |
„Die Guglmänner“, quillt es konspirativ aus ihm heraus. „Sie kontrollier… | |
das Netz.“ | |
Immer wieder lässt Gstettenbauer den Blick über den Rastplatz nahe der | |
niederländischen Grenze schweifen, den er selbst als Treffpunkt ausgewählt | |
hat. Nur hier, weit weg von Bayern, fühlt sich der selbsternannte Dissident | |
halbwegs sicher vor seinen Häschern. | |
Dennoch zuckt er bei jedem BMW zusammen, der in die Auffahrt einbiegt, und | |
als gar ein Kleinbus anhält, der mit den Insignien eines großen Münchener | |
Fußballvereins geschmückt ist, hechtet Gstettenbauer kopfüber in einen | |
Abwassergraben. | |
## „Die Zeichen mehren sich“ | |
„Sie sind überall“, blubbert er aus dem Modder. „Und sie breiten sich | |
krakenhaft aus. Die schleichende kulturelle Bajuwarisierung der | |
Gesellschaft ist doch längst im Gange. Oder glauben Sie, es ist Zufall, | |
dass mittlerweile selbst an der Waterkant Oktoberfeste ausgerichtet | |
werden.“ | |
Erstmals werden wir unsicher. Das Oktoberfest in Aurich war tatsächlich ein | |
zutiefst verstörender Anblick, zumal man am Tag zuvor texanischen Gästen | |
versichert hatte, dass nicht alle Deutschen in Lederhose und Dirndl | |
herumliefen. Das triumphierende „See? I told you“ der Amerikaner angesichts | |
der verkleideten Fischköppe werden wir jedenfalls unser Lebtag nicht | |
vergessen. | |
„Die Zeichen mehren sich“, raunt Gstettenbauer apokalyptisch. „Der Sturz | |
der Kanzlerin war doch genauso wenig ein Skiunfall wie der Tod Ludwig II. | |
ein Badeunfall war. Da hat jemand nachgeholfen.“ Gstettenbauer winkt uns | |
noch näher heran. „Der Söder soll übrigens ein exzellenter Langläufer | |
sein.“ | |
„Dieses Gespräch hat nie stattgefunden“, haucht er uns noch ins Ohr, dann | |
taucht Gstettenbauer ganz unter, bis nur noch das sachte Pfeifen eines | |
Schnorchels von seiner Existenz kündet. | |
*Name v. d. Redaktion geändert | |
14 Jan 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Bartel | |
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